Albanien dankt Merkel mit Orden
Auf dem Westbalkan gab es Lobeshymnen und Kritik an der Politik der Kanzlerin.
BELGRAD/TIRANA Mit großem Sicherheitsabstand posierten die Regierungschefs von sechs Westbalkan-Staaten am Dienstag in Albaniens Hauptstadt Tirana für das letzte Gruppenfoto mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Niemand habe den Westbalkan besser verstanden als die Kanzlerin, würdigte Albaniens Premier Edi Rama die mit einem Orden ausgezeichnete Amtskollegin. Die Region werde Merkel vermissen: Sie sei „ein Freund des Balkans, der Albaner und aller Völker dieser Region“.
Als „Patron“hatte Merkel zuvor im serbischen Belgrad bei ihrer zweitägigen Abschiedsreise auf den Westbalkan die Rolle Berlins bei der ins Stocken geratenen EU-Erweiterung beschrieben – und die Sorge vor einem nachlassenden Interesse nach ihrem Abtritt zu zerstreuen versucht: „Jeder deutsche Bundeskanzler“werde sich für den Westbalkan „weiter interessieren“.
Ähnlich wie Rama schienen auch Serbiens allgewaltigen Landesvater Aleksandar Vucic beim letzten Treffen mit Merkel gar wehmütige Verlustängste zu plagen. Er habe ein „bisschen Angst, was auf uns zukommt“, bekannte der Chef der nationalpopulistischen SNS. Merkel sei eine „politische Autorität, die wir immer gerne hören wollten“. Sie könnte „sehr stolz sein“auf das, was sie auf dem Westbalkan hinterlassen habe, versicherte Vucic. Dabei hat die Kanzlerin in Sachen Erweiterung in 16 Amtsjahren auffällig wenig erreicht: Nur Kroatien hat 2013 den EU-Beitritt geschafft. Die EU-Anwärter Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien scheinen hingegen von Europas Wohlstandsbündnis nach wie vor weit entfernt.
Mit griffigen Konzepten für die Beschleunigung der von ihr als „absolutes geografische Interesse“der EU bezeichnete Erweiterung wartete Merkel nicht auf. Erneut wiederholte sie stattdessen ihr Credo von den offenen EU-Türen und dem „langen Weg“, den die Anwärter noch zu bewältigen hätten. Bei der Journalistennachfrage nach den autoritären Tendenzen in der Region sprach sie diplomatisch von „Rückschritten, aber auch Fortschritten“, mahnte zu „weiteren Schritten in Richtung Rechtsstaat“und pries höflich ihren Gastgeber: Sie habe Vucic „als Person kennengelernt, die nichts Falsches verspricht“.
Doch außer überschwänglichen Lobeshymen wurde bei Angela Merkels
Abschiedsreise auch verbitterte Kritik laut. Während Amtsträger ihren Einsatz für die EU-Erweiterung würdigten, warfen ihr regierungskritische Medien und Oppositionelle vor, mit ihrem kritiklosen Schulterschluss mit zweifelhaften Politfürsten indirekt den autoritären Tendenzen in der Region Vorschub zu leisten.
„Merkel und Vucic wiederholten die leeren Floskeln von der Fortsetzung der Reformen“, konstatierte die serbische Zeitung „Danas“. Das Erbe von Merkel seien „korrupte und autoritäre Regimes auf dem Balkan“, ätzte der Oppositionspolitiker Mladjan Djordjevic. „Gehen sie endlich Frau Merkel“, forderte ein deutschsprachiges Protestplakat der Bürgerbewegung Preokret („Kehrtwende“): „Seit neun Jahren unterstützen Sie die Diktatur.“
„Leb wohl Angela und nehmen sie Vucic mit sich mit“, titelte am Dienstag bissig die Belgrader Zeitung „Nova“. Merkel sei nur an „Ruhe an der EU-Peripherie“und der Absicherung der deutschen Investitionen, aber kaum an Demokratie gelegen gewesen: Die Hinterlassenschaft der deutschen Kanzlerin seien „Stabilokratie und der Rückgang der Unterstützung für die Europäischen Union“.
Im symbolischen Sinne sei der Besuch von Merkel „außerordentlich wichtig“gewesen, meinte hingegen der frühe Berlin-Botschafter Ognjen Pribicevic. Doch man müsse diesen „realistisch“sehen: „Merkel ist das Symbol einer Zeit, die vorbei ist.“