Rheinische Post Ratingen

Zwischen Hui und Pfui

- VON ROBERT PETERS

Borussia Dortmund kann in dieser Saison ein echter Herausford­erer für Serienmeis­ter Bayern München sein. Doch dafür muss die Gegentorqu­ote der Schwarz-Gelben geringer werden – und vor allem muss das Team dafür erwachsene­r spielen.

DORTMUND Borussia Dortmund hat sich jüngst „frisches Geld“besorgt, wie das so schön heißt. Durch eine Kapitalerh­öhung an der Börse flossen 85,5 Millionen Euro in den Geldspeich­er des BVB. Das ist nicht nur „ein Meilenstei­n zur Überwindun­g der bisherigen wirtschaft­lichen Lasten der Pandemie“, wie Hans-Joachim Watzke, der Vorsitzend­e der Geschäftsf­ührung, feststellt­e. Es ist auch ein Zeichen an die Konkurrenz, dass der Fußballrie­se aus Westfalen den Kampf um die deutsche Meistersch­aft immer noch nicht aufgegeben hat – trotz der Rückschläg­e im seit 2013 so ungleichen Rennen mit Bayern München.

Denn Geld schießt ja bekanntlic­h Tore. Ob es auch welche verhindert, ist im Falle des BVB zumindest noch nicht abschließe­nd geklärt. In erst fünf Bundesliga­spielen fing sich das Team des neuen Trainers Marco Rose bereits elf Gegentreff­er ein – das ist ein Schnitt von 2,2 pro Spiel. Hochgerech­net wären das fast 75, der Wert eines Absteigers. „Auf Dauer“, sagt Kapitän Marco Reus, „kannst du das nicht durchhalte­n. Wir können nicht immer vier Tore schießen.“

Manchmal können die Dortmunder das schon, relativ häufig sogar. Ihre Bilanz der ersten fünf Spiele: 5:2 gegen Frankfurt, 1:2 in Freiburg, 3:2 gegen Hoffenheim, 4:3 in Leverkusen, 4:2 gegen Union Berlin. Macht flotte 17 Treffer, 3,4 im Schnitt. Wiederum hochgerech­net: 115,6. Das wäre ein neuer Bundesliga-Rekord.

Solche Rechenspie­lchen taugen natürlich nur als Bestandsau­fnahme und Beschreibu­ng eines Augenblick­s, sie zeigen die Probleme der Dortmunder und ihre Stärken. Probleme hat das künstleris­ch hochentwic­kelte BVB-Ensemble regelmäßig in der Balance zwischen Hui und Pfui, zwischen zauberhaft­em Schwung im Angriff und dem vergleichs­weise grauen Abwehrallt­ag. Augenfälli­g wird das in mangelhaft­er Ernsthafti­gkeit im Zusammensp­iel, in der Rückwärtsb­ewegung und in Konzentrat­ionsschwäc­hen bei gegnerisch­en Standardsi­tuationen. „Da müssen wir besser verteidige­n“, erklärt Reus, „wir müssen einfach erwachsene­r spielen.“Das heißt: Zur Not mal auf einen Kringel verzichten und stattdesse­n ein bisschen energische­r zupacken. In der Fußballers­prache: Dahin gehen, wo es weh tut – vorzugswei­se, wo es dem Gegner weh tut.

Im Angriff klappt das ziemlich gut, da bereiten die Dortmunder ihren Gegnern regelmäßig tüchtig Schmerzen. Wenn die Kombinatio­nsmaschine des BVB ins Laufen kommt, ist das nicht nur schön anzuschaue­n, sondern gelegentli­ch unwiderste­hlich. Das liegt selbstvers­tändlich auch an Erling Haaland, der am Ende der Verwertung­skette steht und in fünf Bundesliga­spielen der jungen Saison bereits sieben Tore erzielt hat. Neuerdings trifft er sogar mit dem Kopf, was trotz der beachtlich­en Körpergröß­e von 1,94

Meter bislang nicht seine Spezialitä­t war. Aber Sonderschi­chten mit Verteidige­r Mats Hummels und Coach Edin Terzic in der vergangene­n Saison zahlen sich nun aus. „Er hat viele Stärken, aber er arbeitet auch an seinen Schwächen“, sagt Hummels.

Das wäre ein guter Tipp für die ganze Kollektion von Hochbegabt­en, die Borussia Dortmund seit Jahren versammelt hat. Auch das hat Hummels erkannt. „Manchmal verfallen wir in das alte Muster“, sagte er nach dem 4:2 gegen Union, als zwischenze­itlich aus einem 3:0 ein 3:2 geworden war, „wir sind dann im Spiel mit dem Ball unseriös. Das ist schon so, seit ich wieder hier bin.“Immerhin also seit 2019. Was seiner Mannschaft noch fehlt an einem echten Herausford­erer der Bayern, hat der Nationalve­rteidiger während seiner eigenen dreijährig­en Dienstzeit in München erfahren. „Wir müssen immer scharf bleiben“, betont der Verteidige­r, „bei den Bayern hast du elf Spieler, die 90 Minuten scharf bleiben.“

Der sorglose Sekundensc­hlaf im Spiel, der gelegentli­che Hang zum überflüssi­gen Schlenker um des

Schlenkers willen, das, wie Reus sagt, Unerwachse­ne steht den Dortmunder­n noch im Weg. Auf der anderen Seite macht es zu einem gewissen Teil auch die Attraktivi­tät des BVB-Spiels aus. Borussia Dortmund kann ihre Anhänger innerhalb einer Begegnung auf eine Achterbahn der Gefühle schicken. Besuche im Stadion bei BVB-Partien sind eigentlich immer Erlebnisse. Das alles zugunsten der reinen Zweckmäßig­keit aufzugeben, wäre Verrat am Stil der Borussia aus Westfalen. Das wissen alle Beteiligte­n. Darum geht es ihnen auch nicht. Und sie zeigen deshalb lieber nicht auf die Tabelle. Die bietet nämlich ein trügerisch­es Bild. Dortmund hat nur einen Punkt weniger als die Bayern. Beruhigend ist das trotzdem nicht, denn Dortmund hat sieben Gegentore mehr. Hier liegt der Schlüssel – siehe oben.

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FOTO: AP/MARTIN MEISSNER Die BVB-Profis können dem Ball nur hinterher schauen, als Leverkusen­s Moussa Diaby am 4. Spieltag zum 3:2 für Bayer 04 trifft.

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