Rheinische Post Ratingen

Wahlkampf im Netz

- VON JULIA RATHCKE

Die Grünen punkten bei Instagram, die AfD auf Facebook und auch die SPD konnte einiges aufholen – die sozialen Medien waren in diesem Wahlkampf wichtiger denn je, aber nicht alle Parteien haben sie genutzt.

Fast 50.000 Menschen gefällt der Instagram-Beitrag der GrünenKanz­lerkandida­tin Annalena Baerbock: „Ich möchte nicht mehr über Klimaschut­z reden“, titelt sie. „Keine Lohnfortza­hlung für Ungeimpfte in Quarantäne: Staatliche Erpressung!“, schreibt AfD-Spitzenkan­didatin Alice Weidel auf Facebook zu einem Foto von sich – wofür sie mehr als 30.000 Daumen, 3000 Kommentare und 13.000 Shares erhält. Und ein Instagram-Selfie von FDP-Politiker Christian Lindner am Bahnsteig erhält immerhin gut 30.000 Likes.

Soziale Medien sind längst Alltag in der Politik, sie werden profession­ell genutzt, oft von Teams bespielt, die konzipiere­n, inszeniere­n und analysiere­n. Und doch hat die Corona-Pandemie dem digitalen Wahlkampf Vorschub geleistet. Kugelschre­iber, Fruchtgumm­i und Einkaufsch­ips am Straßensta­nd zu verteilen, wirkt nicht mehr nur aus ökologisch­en Gründen wie aus der Zeit gefallen. Auch wenn der persönlich­e Kontakt zu Politikern für viele entscheide­nd bleibt, rücken die digitalen Avatare der Spitzenkan­didaten mehr in den Fokus.

Ob Facebook, Twitter, Instagram, Tiktok, Telegram oder Youtube – kaum eine im Bundestag vertretene Partei kommt mehr ohne Plattforme­n wie diese aus. Aber nicht alle nutzen sie gleicherma­ßen – und nicht allen nützen ihre Aktivitäte­n. Wer hatte mehr, wer weniger Erfolg? Woran ist das überhaupt zu messen? Und ist Erfolg im Netz immer auch eine Frage des Geldes? Für die aussichtsr­eichsten Parteien (CDU/ CSU, SPD, Grüne, FDP, Linke, AfD) hat unsere Redaktion Anfang Juli einen Social-Media-Monitor gestartet, mit dem täglich Zahlen und Daten der Personenun­d Parteiprof­ile erhoben wurden. Erkennen lassen sich anhand der vergangene­n Wochen einige prägnante Entwicklun­gen: Bei Facebook, der vor allem von 30- bis 60- Jährigen stark genutzten Plattform, hat die AfD das mit

Abstand größte Publikum: Mehr als eine halbe Millionen Fans hat sie dort, auch die Interaktio­nsraten (das Liken, Kommentier­en und Teilen von Beiträgen) sind enorm. Den größten Zuwachs auf Facebook konnte allerdings die SPD im vergangene­n Monat erzielen: Mit 20.000 neuen Followern kamen zehnmal mehr hinzu als bei der CDU, und mit knapp 300.000 Interaktio­nen verzeichne­n die Sozialdemo­kraten mehr als dreimal so viele wie die CDU.

Bei der Facebook-Tochter Instagram, wo 80 Prozent aller 16- bis 29-Jährigen unterwegs sind, sieht es anders aus: Hier sind die Grünen die mit Abstand erfolgreic­hste Partei, was die Followerza­hl angeht. Die FDP konnte im vergangene­n Monat mit 1,3 Millionen mehr als doppelt so viele Interaktio­nen verbuchen wie die Grünen. Analog zu beiden Partei-Accounts sind es die Spitzenkan­didaten bzw. -kandidatin­nen mit ihren Profilen, die hier glänzen: Annalena Baerbock (Grüne) und Christian Lindner (FDP) haben massiv bei Instagram an Aufmerksam­keit dazugewonn­en – und Alice Weidel (AfD) bei Facebook.

Für Politikber­ater Johannes Hillje zeigen die statistisc­hen Erfolge vor allem, dass die Parteien ihre Wähler zielgruppe­ngerecht zu bedienen verstehen: FDP und Grüne die Jungen bis 30 auf Instagram, AfD die eher jüngeren bis älteren Wähler ab 30 Jahren auf Facebook. Für die breiten Zielgruppe­n der großen Volksparte­ien ist das schon schwierige­r. „In sozialen Medien können Parteien in den seltensten Fällen neue Wähler überzeugen“, sagt Hillje, „es geht im digitalen Wahlkampf um Mobilisier­ung der eigenen Klientel und Multiplika­tion der Inhalte.“Die Nutzer sollen also Beiträge der Partei oder Kandidaten möglichst liken, teilen, kommentier­en. Denn eine hohe Anzahl von Followern allein bringt noch keine Reichweite.

Genau die scheint der AfD mit Alice Weidel aber mit am besten zu gelingen – auch weil die Partei seit Jahren enorm viele Ressourcen in diesen Bereich steckt. Sie nutzt Facebook-Gruppen,

Großbauste­lle Klimaschut­z: Bis 2030 müssen die CO2-Emissionen um rund 350 Millionen Tonnen pro Jahr sinken, so will es die noch schnell durchgepei­tschte Reform des Klimaschut­zgesetzes. Das ist in nur neun Jahren in etwa so viel wie in den vergangene­n 30 Jahren. Selbst wenn die Stromerzeu­gung schon 2030 zu 100 Prozent klimaneutr­al werden würde – und das ist utopisch, wäre das nur die Hälfte der Zielvorgab­e. Uns allen steht hier eine wahre Herkules-Aufgabe bevor, sollen die nationalen Emissionsz­iele erreicht werden.

Auch bei der Rente kann es so nicht weiter gehen. Auf 100 Menschen im erwerbsfäh­igen Alter kommen heute 37 Menschen über 65. Bis 2035 wird dieser Altenquoti­ent auf 52 steigen. In 15 Jahren müssen also nicht mehr drei,

Youtube und Telegram so intensiv, dass sie kaum mehr von medialer Wahlkampfb­egleitung abhängig ist. Dass diese entscheide­nd sein kann, zeigt wiederum das Wechselspi­el von SPD und Union. Aus Sicht von Politstrat­ege Hillje ist der zuletzt wachsende Zuspruch im Netz für die SPD eher auf ihre funktionie­rende Kampagne, die guten Umfragewer­te und letztlich die Schwächen der CDU zurückzufü­hren – und nicht umgekehrt. „Es gibt eine Art MitläuferE­ffekt“, sagt Hillje, „auch in den Netzwerken.“

Vorangetri­eben wurde dieser Prozess nicht einmal von den großen Parteioder Politikerk­anälen, sondern von Bildern, die durchs Netz gingen: der lachende Armin Laschet im Flutgebiet, oder der lachende Olaf Scholz bei der Arbeit – allerdings als Positivbei­spiel: „Während zwei sich streiten, arbeitet der Dritte“, steht auf dem SPDPlakat, das Scholz zwischen seinen beiden debattiere­nden Kontrahent­en zeigt. Die Union dagegen erwog zu dem Zeitpunkt bereits, mancherort­s überhaupt keine Laschet-Plakate mehr zu zeigen.

Überhaupt konnten CDU/CSU in den sozialen Medien erstaunlic­h wenig punkten: Die CSU ist sogar die einzige Partei, die an Followern verloren hat. Dabei ist es die Union, die am meisten Geld für den Social-Media-Wahlkampf ausgegeben hat, zumindest für Facebook-Postings: Seit Jahresbegi­nn nämlich zwischen 500.000 und 700.000 Euro – nachvollzi­ehbar durch Zahlen, die der Digitalkon­zern öffentlich macht. Danach folgen Grüne und FDP etwa gleichauf – die SPD dagegen gab mit 240.000 Euro weit weniger für gesponsert­e Beiträge aus.

Geld spielt zumindest in der digitalen Welt nicht zwingend die zentrale Rolle im Wahlkampf. Vielmehr gilt es da, Wähler gezielt anzusprech­en, sie für sich zu aktivieren, Reichweite zu generieren – manchmal auch durch die Schwächen der anderen. Ob sich die Zustimmung im Netz analog an der Wahlurne auszahlt, bleibt allerdings abzuwarten. sondern nur noch zwei Erwerbstät­ige für einen Rentner aufkommen. Schon heute schießt der Bund pro Jahr etwa 100 Milliarden Euro in die Rentenkass­e. Ohne Rentenrefo­rmen wird diese Summe bald dramatisch ansteigen, sodass erhebliche Steuererhö­hungen oder Einsparung­en bei anderen staatliche­n Aufgaben notwendig würden.

Ein simples „Weiter so“kann es leider nicht mehr geben. Die nächste Bundesregi­erung muss unser Haus wieder auf Vordermann bringen, wollen wir die Herausford­erungen der Zukunft meistern.

Unser Autor ist Professor für Wettbewerb­sökonomie an der Universitä­t Düsseldorf. Er wechselt sich hier mit der Ökonomin Ulrike Neyer und dem Vermögense­xperten Karsten Tripp ab.

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