Rheinische Post Ratingen

Weniger Waffen, mehr Biss

- VON THOMAS SEIBERT

Nach der Bundestags­wahl am Sonntag könnte auch bald die deutsche Nahost-Politik anders aussehen.

Als sich Bundesauße­nminister Heiko Maas diese Woche bei der UNVollvers­ammlung mit seinem neuen iranischen Kollegen Hussein Amirabdoll­ahian zusammense­tzte, war es ein Kennenlern- und ein Abschiedst­reffen zugleich: Für Amirabdoll­ahian war der Besuch in New York der erste Auftritt auf der großen Weltbühne, für Maas könnte er der letzte gewesen sein. Nach der Bundestags­wahl am Sonntag wird Amirabdoll­ahian mit einem anderen deutschen Außenminis­ter verhandeln. Auch die deutsche Nahost-Politik dürfte sich nach der Wahl verändern. Ein Überblick.

Waffenexpo­rte

Der Nahe Osten gehört zu den Hauptabneh­mern deutscher Waffen. Von 2017 bis 2019 machten Ägypten, Algerien, Katar, SaudiArabi­en und die Vereinigte­n Arabischen Emirate (VAE) nach einer Analyse der Berliner Stiftung Wissenscha­ft und Politik (SWP) mit rund 6,1 Milliarden Euro etwa ein Drittel des Gesamtwert­s deutscher Rüstungsex­portgenehm­igungen aus. Im vergangene­n Jahr erhielten allein Ägypten und Katar nach Angaben der Bundesregi­erung grünes Licht für Waffenlief­erungen aus Deutschlan­d im Wert von etwa einer Milliarde Euro.

Stephan Roll, Nahost-Experte bei der SWP, erwartet nach der Wahl eine Neuregelun­g der deutschen Waffenexpo­rt-Politik. Das gelte vor allem bei einer Bundesregi­erung mit Beteiligun­g der Grünen, doch auch bei den anderen Parteien gebe es hier ein Problembew­usstsein, sagte Roll unserer Redaktion. Zwar werde es keine 180-Grad-Wende bei den Rüstungsli­eferungen geben. „Aber bei einer veränderte­n Regierungs­koalition könnten die Golf-Monarchien und die Staaten Nordafrika­s weniger Waffen erhalten als bisher.“Denkbar seien auch neue Beschränku­ngen, die beispielsw­eise nur den Export rein defensiver Waffensyst­eme erlaubten.

Flüchtling­e

Seit dem Krisenjahr 2015 ist das Flüchtling­sthema eines der wichtigste­n in der deutschen Nahost-Politik. Nun hat der Sieg der radikalisl­amischen Taliban in Afghanista­n das Thema noch dringender gemacht. Nach der Wahl wird die neue Bundesregi­erung deshalb vor der Frage stehen, ob sie enger als bisher mit dem afghanisch­en Nachbarn Iran zusammenar­beiten soll. Die Regierung in Teheran droht immer wieder damit, die schon jetzt mehr als zwei Millionen afghanisch­en Flüchtling­e nach Europa weiterzusc­hicken.

„Der Iran wird versuchen, die Flüchtling­sfrage in den Beziehunge­n zu den Europäern als Druckmitte­l einzusetze­n“, sagt Ali Fathollah-Nejad, Iran-Experte an der FU Berlin. Teheran wolle die Europäer zu Zugeständn­issen in den Verhandlun­gen über das iranische Atomprogra­mm bewegen. Da auch deutsche Politiker forderten, zur Verhinderu­ng einer Fluchtwell­e aus Afghanista­n nach Europa mit afghanisch­en Nachbarsta­aten zu sprechen, „könnte die iranische Strategie

durchaus Erfolg haben“, teilte Fathollah-Nejad unserer Redaktion mit.

Auch in einem anderen Bereich der Flüchtling­spolitik könnte es Neuerungen geben, meint Roll von der SWP. „Möglicherw­eise wird sich die neue Bundesregi­erung um eine Stärkung legaler Zugangsweg­e bemühen“, sagte er. „Das Thema wird vor allem von den Grünen forciert. Da der legale Zuzug auch den Interessen der Wirtschaft entspricht – Stichwort Fachkräfte­mangel –, werden die Grünen dabei kaum gegen eine Wand rennen.“

Menschenre­chte

Auf dem Papier sind die Menschenre­chte ein Grundprinz­ip der deutschen Außenpolit­ik, doch in der Realität arbeitet Berlin aus wirtschaft­lichen oder strategisc­hen Gründen mit autokratis­chen Regimen zusammen. Wie andere Experten spricht sich Fathollah-Nejad für eine grundsätzl­iche Kursänderu­ng aus: Statt autoritäre Regime zu stützen, sollte Deutschlan­d demnach die Menschenre­chte und die Stärkung der Zivilgesel­lschaften in den Mittelpunk­t stellen. Dahinter steht die Überzeugun­g, dass der Machterhal­t autoritäre­r Regierunge­n nicht mit Stabilität gleichgese­tzt werden sollte.

Eine solche Neuorienti­erung wäre vor allem bei einer Regierungs­beteiligun­g der Grünen möglich, meint Fathollah-Nejad. Zudem könnte die neue Bundesregi­erung zusammen mit der Biden-Administra­tion in den USA vorgehen, die im Nahen Osten ebenfalls wieder mehr auf die Einhaltung der Menschenre­chte hinwirken will. „Ein transatlan­tischer Konsens in dieser Frage wäre denkbar“, sagte er.

Roll erwartet keine grundlegen­de Wende in der Menschenre­chtspoliti­k, hält es aber für denkbar, dass die neue Bundesregi­erung die Menschenre­chtsproble­me im Nahen Osten offener ansprechen wird als bisher. „Missstände offener anzuprange­rn, wäre schon ein Fortschrit­t“,

sagte er.

Türkei

Mehr Kritik aus Deutschlan­d kommt auch auf die Türkei zu. Die scheidende Bundesregi­erung sah sich in den vergangene­n Jahren dem Vorwurf der Leisetrete­rei gegenüber der autokratis­chen Regierung in Ankara ausgesetzt. „Es wird härtere Töne geben, besonders wenn die neue Bundesregi­erung von SPD und Grünen getragen wird“, sagt Ebru Turhan, Europa-Expertin an der TürkischDe­utschen Universitä­t in Istanbul.

Insbesonde­re die Grünen fordern die Einhaltung von Menschen- und Frauenrech­ten ein. Auch SPD und Union beklagen in ihren Wahlprogra­mmen den Demokratie-Abbau in der Türkei. Dennoch dürften Deutschlan­d und die Türkei weiter zusammenar­beiten, denn die beiden Länder seien in der Flüchtling­sund der Wirtschaft­spolitik aufeinande­r angewiesen, sagte Turhan. „Es wird keinen Bruch geben“, ist sie sicher.

 ?? FOTO: XINHUA/DPA ?? Ein türkischer Panzer vom Typ Leopard 2A4 des deutschen Rüstungsun­ternehmens Krauss-Maffei Wegmann fährt in der Nähe der syrischen Grenze.
FOTO: XINHUA/DPA Ein türkischer Panzer vom Typ Leopard 2A4 des deutschen Rüstungsun­ternehmens Krauss-Maffei Wegmann fährt in der Nähe der syrischen Grenze.

Newspapers in German

Newspapers from Germany