Der Wahl-O-Mat ist wie Kinderschokolade
Der Online-Fragenkatalog hilft Millionen Menschen dabei, ihre Stimmen bei der Bundestagswahl zu vergeben – in diesem Jahr wurde er so häufig genutzt wie nie zuvor. Begleitet und erforscht wird das Werkzeug in Düsseldorf.
DÜSSELDORF Vielleicht ist es am Sonntag wirklich die wichtigste Wahl seit Jahrzehnten – ganz sicher ist in jedem Fall das große Interesse in der Bevölkerung daran. Der WahlO-Mat, die Entscheidungshilfe der Bundeszentrale für politische Bildung, ist seit dem 2. September online und wurde bis Mittwoch rund 17,8 Millionen Mal genutzt. So häufig wie nie zuvor.
Seit 2002 ist das Tool im Internet zu finden – damals klickten sich die Deutschen rund 3,6 Millionen Mal durch die Thesen. Zur Bundestagswahl 2017 war die Nutzerschaft auf 15,7 Millionen Aufrufe gewachsen, in diesem Jahr könnten es erstmals mehr als 20 Millionen werden, sagt Politikwissenschaftler Stefan Marschall. Die wissenschaftliche Betreuung des Wahl-O-Mats leistet ein Team der Heinrich-Heine-Universität (HHU) in Düsseldorf um den Marschall – sie begleiten die Entwicklung des Tools und erforschen, wie es genutzt wird.
Die Nutzerinnen und Nutzer, sagt Marschall, sind in der Regel jung und politisch interessiert. Ein Großteil nutzt den Wahl-O-Mat, um seine eigene Position zu bestätigen, andere suchen noch Orientierung. Es zeigt sich aber auch, dass die Nutzerschaft durchschnittlich immer älter wird. Das hat sicherlich mit der wachsenden Bekanntheit des Tools zu tun, mit einer steigenden Internetnutzung bei älteren Leuten und damit, dass die Nutzer, die zum Start des Wahl-O-Mat noch Erstwähler waren, heute um die 40 Jahre alt sind. Es ist aber auch, so schätzt es der Politikwissenschaftler ein, die Einfachheit, die auch ältere Personen überzeugt. „Das ist wie Kinderschokolade“, sagt Marschall. Eigentlich für Jüngere gemacht, aber auch von Älteren geschätzt.
Die 38 Thesen, die das Tool abfragt, werden in mehreren Workshops von einer Redaktion aus Erst- und Zweitwählern erarbeitet. 20 junge Menschen, zwischen 18 und 26 Jahre alt, haben in drei Tagen zunächst 80 Thesen erstellt, die von den beteiligten Parteien möglichst unterschiedlich und eindeutig beantwortet werden müssen.
Fragen, die immer wieder vorkommen, sind etwa solche zum Wahlrecht ab 16 Jahren oder zur Legalisierung von Cannabis. Andere haben mit der Zeit an Bedeutung verloren – eine Entscheidung über die gleichgeschlechtliche Ehe etwa ist schon gefallen, auch der Atomausstieg ist beschlossene Sache. Dafür finden sich neue Aspekte in dem Fragenkatalog – Corona hat zum Beispiel die Fragen nach Heimarbeit und nach dem Patentschutz für Impfstoffe verschärft. Und auch die Thesen zur Klimapolitik, zum CO2Preis oder zur Förderung von Windkraft, sind deutlich konkreter geworden, sagt Marschall.
Die 80 Thesen schickt das Team den Parteien zur Stellungnahme zu – sie geben an, ob sie der These zustimmen, widersprechen oder neutral gegenüberstehen. So wie die
Nutzerinnen und Nutzer des WahlO-Mat es später auch tun. In einer zweiten Runde wird der Katalog auf 38 Fragen reduziert. So viele Thesen müssten es sein, damit es bei der Vielzahl an Parteien funktioniert, sagt Redakteurin Alina Langenberg. Die Parteien sollen schließlich gut voneinander unterscheidbar sein.
Der Wahl-O-Mat hat aber den Anspruch, mehr zu sein als eine Entscheidungshilfe. Die Nutzung regt auch dazu an, an der Wahl teilzunehmen – das zeigen Abschlussbefragungen, sagt Lucas Constantin Wurthmann von der HHU. Zudem wird der Fragenkatalog oft im Schulunterricht genutzt. Und: Die Menschen reden über die Ergebnisse, die ihnen der Online-Wahlhelfer ausspuckt und kommen so über politische Themen ins Gespräch.
Eines kann und will das Tool aber nicht: die Personen hinter den Parteien berücksichtigen, die etwa für eine Kanzlerschaft kandidieren. Die Fragen ergeben sich allein aus den Wahlprogrammen der Parteien, Aussagen von Spitzenkandidaten oder gar Sympathien spielen dabei keine Rolle. Ob das Kreuz auf dem Stimmzettel also da landet, wo es der Wahl-O-Mat vorhergesagt hat, kann von diesen Faktoren noch stark beeinflusst werden.
Übrigens: Eine Auswertung, wie die Nutzerinnen und Nutzer im Wahl-O-Mat abgestimmt haben, gibt es nicht. Die Ergebnisse werden aus Datenschutzgründen von der Bundeszentrale für politische Bildung nicht gespeichert.