So stimmen Sie taktisch ab
Die Bindekraft der Parteien war noch nie so schwach wie heute. Deshalb wollen viele lieber Personen und Koalitionen wählen. Aber wie stellt man das am besten an?
In Zeiten des Lagerwahlkampfs waren die Rollen klar verteilt. Wenn SPD und Grüne gegen eine bürgerliche Koalition aus Union und Liberalen antraten, wählten einige bewusst den kleineren Partner. Im DreiParteien-System davor war die FDP für etliche der Garant dafür, dass linke Kräfte bei der SPD oder konservative bei der Union nicht zu stark wurden. Die Liberalen wurden gewissermaßen zur Funktionspartei. Und die Parteiführung nutzte dieses Verhalten, um über Zweitstimmen-Kampagnen der SPD oder Union Wähler abzujagen.
Taktisch wurde also schon immer gewählt. Im Sechs-Parteien-Parlament aber kann fast jeder mit jedem koalieren (mit Ausnahme der AfD und teilweise der Linkspartei), wenn keine Partei über 30 Prozent kommt. Nach den jüngsten Umfragen sind eine große Koalition aus SPD und Union sowie die üblichen Dreier-Konstellationen Ampel (SPD, Grüne, FDP), Jamaika (Union, Grüne, FDP) und Rot-Grün-Rot (SPD, Grüne, Linkspartei) möglich. Die Stärke der SPD macht die Kombinationen Deutschland (SPD, Union, FDP) und Kenia (SPD, Union, Grüne) unrealistisch, weil FDP und Grüne derzeit als Mehrheitsbeschaffer nicht gebraucht werden.
Laut Parteienforschern denken Wähler auch schon in Koalitionen und wollen deren Zusammensetzung bestimmen: Sie wählen eine Partei – auch unabhängig von ihrer eigentlichen Präferenz. Wir listen Ziele und Optionen auf:
Olaf Scholz soll Kanzler werden
Das ist der Wunsch fast aller SPD-Wähler. Mit seinem moderaten und souveränen Kurs ist er aber auch bei vielen konservativen, liberalen und grünen Wählern beliebter als die Kandidaten Armin Laschet (Union) und Annalena Baerbock (Grüne). Viele von ihnen würden aber der SPD nicht ihre Stimme geben, weil sie ihr Programm nicht attraktiv finden. Konservative und liberale Wähler müssten in einem solchen Fall die FDP wählen. Damit können sie einen allzu starken sozialdemokratischen Kurs verhindern. Und sollte die Union doch stärker als die SPD werden, hätten sie wenigstens ihre Präferenzen abgesichert.
Wer aus Sorge um die Umwelt lieber grün wählt, darf darauf hoffen, dass die erste Option dieser Partei das Bündnis mit den Sozialdemokraten ist. Allerdings müssen solche Wähler auch damit rechnen, dass die Parteiführung womöglich mit der Union koaliert. Wer das verhindern will, muss die SPD wählen. Grüne und FDP dürften sich mit jener der beiden großen Parteien verbinden, die am Ende klar vorne liegt. Unberechenbar für den Wähler wird es, wenn Sozialdemokraten und Union fast gleichauf liegen.
Union soll in die Opposition
Wer definitiv den Regierungswechsel will, hat eigentlich nur die Wahl zwischen AfD, Linkspartei und SPD. Bei allen anderen Parteien muss er damit rechnen, dass die Union mit Armin Laschet den Kanzler stellt. Es hängt natürlich von den sonstigen Präferenzen der Wahlberechtigten ab, welcher Partei sie ihre Stimme geben. Wer die Linkspartei wählt, schwächt die SPD und erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Unionssiegs.
Starke liberal-bürgerliche Regierung
Es gibt viele Wahlberechtigte, die von Laschet als Kanzlerkandidat nicht überzeugt sind, aber doch eine liberal-bürgerliche Regierung aus Union und FDP wünschen. Um ganz sicher zu gehen, müssten diese doch die Union wählen, in Bayern sogar bevorzugt die CSU, um ein Gegengewicht zu Laschet zu schaffen. Wer ein Zeichen setzen will gegen den Unions-Kandidaten, kommt um die
FDP nicht herum. Das Risiko: Die Liberalen bilden eine Ampel-Koalition. Immerhin würde dann auch hier der bürgerlich-liberale und wirtschaftsfreundliche Teil des Bündnisses stärker.
Linke Wende durch Rot-Grün-Rot Wahlberechtigte, die ein Linksbündnis für geeignet halten, müssen unabhängig von ihrer sonstigen Präferenz die Linke wählen. Nur ihre Wahl garantiert die Chance auf Rot-Grün-Rot. Kreuzen sie SPD oder Grüne an, sind moderatere Konstellationen wahrscheinlicher, weil beide Parteien erklärt haben, mit den Linken nicht regieren zu wollen. Je stärker also diese beiden Parteien bei der Wahl abschneiden, desto größer ist die Zahl derer, die kein solches Linksbündnis wollen. Allerdings riskieren LinksWähler, dass die Union als im Vergleich zur SPD stärkere Partei die Grünen auf ihre Seite zieht. Wer also die Ampel-Koalition oder Rot-Grün als gute zweitbeste Lösung ansieht, wählt besser die SPD.
Laut Parteienforschern denken Wähler schon in Koalitionen und wollen deren Zusammensetzung bestimmen
Linksbündnis verhindern
Eine Koalition aus SPD, Grünen und Linken unmöglich zu machen, gelingt nur bei einer Wahl von Union oder FDP. Selbst ein Kreuz bei der AfD macht ein Linksbündnis wahrscheinlicher, wenn dadurch die Union geschwächt wird und die FDP nicht springen mag. Allerdings dürfte das keine allzu große Rolle spielen, weil die Liberalen dann unter Druck gerieten, Rot-Grün-Rot zu verhindern. Auch wer Rot-Grün allein verhindern will, muss für die bürgerlichen Parteien stimmen.
Gewichten der Wähler und die Wählerin allerdings Köpfe stärker als Programme, müssen sie SPD oder Union wählen. Denn die Grünen-Kandidatin Baerbock ist zu weit zurückgefallen. Die Grünen sind also für Wechselwähler genauso wie die FDP eine Funktionspartei. Der Aufbruch der Öko-Partei an die Spitze des Staates wird wohl ausbleiben.