Nur eine Identität von vielen
Der Islam spielte in NRW im Wahlkampf keine explizite Rolle – das sagt etwas aus.
Wenige Tage vor der NRWWahl wurde ich zu einer Diskussion in einer Moscheegemeinde eingeladen, um mit muslimischen Vertretern und Vertreterinnen über die Haltung der Parteien zu Islam und Muslimen zu diskutieren. Einige Mitdiskutierende beklagten, dass im Wahlkampf kaum auf das Thema Islam eingegangen wurde. Sie empfanden dies als Desinteresse an den Anliegen der Muslime im Land. Andere hingegen deuteten dies als Zeichen dafür, dass Muslime zu einem selbstverständlichen Teil der Gesellschaft geworden sind – nicht als Zeichen der Ignoranz, sondern der Würdigung der Vielfalt der muslimischen Bevölkerung. Man wolle womöglich vermeiden, aus den Muslimen und Musliminnen eine homogene Gruppe zu konstruieren und sie als das „Andere“zu behandeln.
Diese zweite Position finde ich sehr sympathisch, denn sie zeugt in der Tat von der Wahrnehmung der Muslime als Individuen, die sich nicht nur beziehungsweise nicht primär über ihre religiöse Zugehörigkeit definieren. Das Muslimsein ist nur eine Identität neben vielen anderen. Für manche Muslime steht sie mehr, für andere weniger im Vordergrund. Aber so einfach ist der Sachverhalt nicht, denn Muslime stellen auch Ansprüche, die spezifisch das Muslimsein betreffen. Dazu gehören zum Beispiel die Forderung nach dem Ausbau des islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen oder der Errichtung von muslimischen Wohlfahrtsverbänden. Aber auch in diesen Fragen sind sich alle politischen
Parteien bis auf die AfD einig. Man möchte diesen Forderungen der Muslime nachgehen und sie als selbstverständlichen und gleichberechtigten Teil der Bevölkerung behandeln. Interessant fand ich bei der Diskussion, dass anwesende Muslime sich so unterschiedlich zu den einzelnen Parteien geäußert haben. Dabei spielte ihr Muslimsein so gut wie keine Rolle. Für den einen hatte die Klimapolitik oberste Priorität, für andere die Sicherheitsfrage oder wirtschaftliche Überlegungen, entsprechend wählen sie unterschiedliche Parteien.
Unser Autor ist Islamwissenschaftler an der Universität Münster. Er wechselt sich hier mit der Benediktinerin philippa Rath, der evangelischen pfarrerin Friederike Lambrich und dem Rabbi Jehoschua Ahrens ab.