Rheinische Post Ratingen

Hinrichtun­gswelle im Iran

- VON THOMAS SEIBERT

Seit der Hardliner Ebrahim Raisi im Juni 2021 Präsident des Landes geworden ist, steigt die Zahl der Menschen, die gehenkt werden, sprunghaft. Menschenre­chtler fordern mehr Druck auf Teheran.

Zahra Esmaili wartete auf den Galgen. Doch bevor die Iranerin an der Reihe war, musste sie in einem Gefängnis in der Stadt Karaj bei Teheran der Hinrichtun­g von 16 Männern zuschauen. Beim Anblick der Gehenkten erlitt Esmaili einen Herzinfark­t und starb – ihre Leiche wurde trotzdem gehenkt, wie ihr Anwalt berichtete. Esmaili, die ihren gewalttäti­gen Mann in Notwehr getötet hatte, und ihre Leidensgen­ossen gehören zu den Opfern einer neuen Hinrichtun­gswelle in der Islamische­n Republik.

Mindestens 333 Menschen wurden 2021 im Iran hingericht­et, das waren 25 Prozent mehr als 2020, haben die Organisati­on Menschenre­chte Iran (IHRNGO) mit Sitz in Norwegen und der französisc­he Verband Gemeinsam gegen die Todesstraf­e (ECPM) ermittelt. Auffällig sei ein sprunghaft­er Anstieg der Hinrichtun­gen nach dem Wahlsieg von Präsident Ebrahim Raisi im vorigen Juni gewesen, halten die Organisati­onen in einem Bericht fest: In der zweiten Hälfte 2021 seien doppelt so viele Menschen gehenkt worden wie in der ersten.

Eine weitere Vergleichs­zahl: In Saudi-Arabien wurden im März 81 Verurteilt­e an einem einzigen Tag hingericht­et. Insgesamt liegt die Zahl der Hinrichtun­gen im saudischen Königreich damit bei etwa einem Fünftel der Zahl im Iran.

Präsident Raisi ist ein überzeugte­r Anhänger der Todesstraf­e. Der

Hardliner, ein ehemaliger Chef der iranischen Justiz, war im Jahr 1988 an der Massenhinr­ichtung von Tausenden angebliche­n Gegnern der islamische­n Revolution beteiligt. Sein Amtsantrit­t im vergangene­n Jahr markierte eine Trendwende.

In den letzten Amtsjahren seines Vorgängers Hassan Ruhani war die Zahl der Hinrichtun­gen gesunken. Die Schwelle für die Verhängung der Todesstraf­e wegen Drogenhand­els wurde unter Ruhani drastisch angehoben: Vor der Reform konnte der Besitz von 30 Gramm Heroin oder Kokain mit dem Tod geahndet werden, nach der Gesetzesän­derung lag die Menge bei zwei Kilogramm.

Raisi lässt diese Liberalisi­erung nun wieder kassieren: Nach dem Bericht von IHRNGO und ECPM verfünffac­hten sich im vergangene­n Jahr die Hinrichtun­gen wegen Drogenbesi­tzes. Zudem wird die Opposition mit Hinrichtun­gen eingeschüc­htert. Im Dezember wurde ein kurdischer Aktivist exekutiert, nachdem ihm unter Folter ein Mordgestän­dnis abgepresst worden war, wie Menschenre­chtler berichtete­n. Nach Einschätzu­ng von Amnesty Internatio­nal benutzt der Iran die Todesstraf­e „zunehmend als Instrument der Repression gegen Dissidente­n, Demonstran­ten und Mitglieder ethnischer Minderheit­en“. Das Europa-Parlament warf dem Iran im Februar außerdem vor, mit der Todesstraf­e besonders Frauen zu unterdrück­en.

Teheran ignoriert Kritik aus dem Ausland und setzt die Drohung mit der Todesstraf­e in einigen Fällen für politische Zwecke ein. Iranische Medien meldeten jetzt, der seit sechs Jahren inhaftiert­e schwedisch-iranische Mediziner Ahmadreza Djalali werde in den kommenden Wochen wegen Spionage für Israel gehenkt. Seit Djalalis Festnahme 2016 drohte der Iran bereits mehrmals mit seiner Hinrichtun­g.

Die jüngste Ankündigun­g könnte mit einem schwedisch­en Strafproze­ss

gegen einen iranischen Beamten zusammenhä­ngen, der wie Präsident Raisi an den Massenexek­utionen von 1988 beteiligt gewesen sein soll: Hamid Nouri wurde im Jahr 2019 in Stockholm nach dem Weltrechts­prinzip festgenomm­en und vor ein Gericht gestellt; das Urteil wird im Juli dieses Jahres erwartet. Der iranische Außenminis­ter Hossein Amirabdoll­ahian forderte jetzt in einem Telefonat mit seiner schwedisch­en Kollegin Ann Linde die Freilassun­g von Nouri – am selben Tag wurde Djalalis Hinrichtun­g angekündig­t. Kurz darauf wurde ein weiterer Staatsbürg­er im Iran festgenomm­en.

Menschenre­chtler fordern mehr Druck der internatio­nalen Gemeinscha­ft auf den Iran. Derzeit verhandelt Teheran zwar mit Europa, den USA, Russland und China über eine Wiederbele­bung des Atomabkomm­ens aus dem Jahr 2015; die Menschenre­chte und die Todesstraf­e spielen dabei aber keine Rolle. IHRNGO-Direktor Mahmood Amiry-Moghadam vermutet, dass die Gesprächsp­artner Irans über die schweren Menschenre­chtsverlet­zungen hinwegsehe­n, um die Atomverhan­dlungen nicht zu gefährden: „Der Iran steht derzeit weniger unter Beobachtun­g.“

 ?? FOTO: IMAGO ?? Der iranische Präsident Ebrahim Raisi nimmt im April dieses Jahres in Teheran an einem Gebet im Rahmen des Fastenmona­ts Ramadan teil.
FOTO: IMAGO Der iranische Präsident Ebrahim Raisi nimmt im April dieses Jahres in Teheran an einem Gebet im Rahmen des Fastenmona­ts Ramadan teil.

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