Als die Franzosen Ratingen besetzten
Vor 100 Jahren stand auch Ratingen unter französischer Besatzung. An diese Zeit erinnerte der Leiter des Stadtarchivs, Sebastian Barteleit, in einem Vortag beim Heimatverein.
RATINGEN „Warum Ratingen so verhältnismäßig gut – ohne Tote, ohne Vergewaltigung und mit keinen nach der Definition der zitierten Statistik – Schwerverletzten durch die Besatzung gekommen ist, lässt sich nur schwer sagen. Einen Beitrag hat aber sicherlich das besonnene Verhalten der Behörden, geleistet namentlich der beiden Bürgermeister dieser Zeit und das ebenso besonnene Verhalten der meisten Einwohner.“So ein Resumée hört man doch mal ganz gern – auch, wenn es eine Zeit beschreibt, die jetzt 100 Jahre zurückliegt.
Der neue Leiter des Stadtarchivs, Dr. Sebastian Barteleit, brachte seinen Zuhörern bei der Jahresversammlung des Heimatvereins die Geschichte näher, die prägend für das vergangene Jahrhundert war. Die Story allerdings war auch eine, die das Interesse der Zuhörer ansprach
„Einen Beitrag hat aber sicherlich das besonnene Verhalten der Behörden, geleistet“Sebastian Barteleit Stadtarchivar
und den Witz des Referenten übermittelte.
So ging es auch mitten in der Zeit nach dem Versailler Vertrag in der örtlichen Zeitung nicht nur um die gewaltigen Lasten, die da zu stemmen waren, sondern auch um einen eben beeginnenden Fortsetzungsroman im Blatt und um eine Film-Operette namens „Strandnixen“, die im Lichtspielhaus Oberstraße 10 noch vor Düsseldorf ihre Premiere hatte. Sie wurde von „ersten Berliner Solokräften“gesungen. Es soll nicht verschwiegen werden, dass gerade diese Geschichte beim aktuellen Vortrag großen Zuspruch fand.
Im Vertrag von Versailles war festgelegt worden, dass das Deutsche Reich als schuldige Nation Reparationen zahlen muss, die Höhe war allerdings noch nicht festgelegt. Im mit dem Versailler Vertrag verbundenem Rheinlandabkommen war zudem festgelegt, dass die linksrheinischen Gebiete von den Alliierten für eine bestimmte Zeit (bis maximal 1935) besetzt werden, zudem sollten sie entmilitarisiert bleiben und auch rechtsrheinisch musste es eine 50 Kilometer breite entmilitarisierte Zone geben. Die Forderungen der Franzosen gingen ursprünglich deutlich darüber hinaus, sie wollten das linksrheinische Territorium eigentlich annektieren. Das Veto der Briten verhinderte dies.
Im Gegenzug wollten die USA und Großbritannien ein Garantieabkommen mit Frankreich schließen das beinhaltete, dass jeder Deutsche Angriff auf Frankreich eine Unterstützung der beiden Länder nach sich zog. Da der US-Kongress weder den Friedensvertrag noch das Garantieabkommen ratifizierte, zogen auch die Briten später ihre Zusage zurück. Frankreich sah sich also mit seinem Sicherheitsbedürfnis allein gelassen.
Alles in allem keine Basis für fröhliches, entspanntes Bürgertum. Im März 19921 veröffentlichte der Bürgermeister einen innigen Appell, in dem er die Ratinger aufforderte, „die Ereignisse mit Zurückhaltung und ernster Würde hinzunehmen.“Es gab keine Kundgebungen und um 22.30 Uhr musste jeder zu Hause sein. Waffen und Munition waren abzugeben, jedwede Flaggen durften nicht gehisst werden, vaterländische Lieder waren verboten.
Bei der Besatzung sollten die unermesslichen Reichsmark-Summen eingetrieben werden, wozu sich Rheinland und Westfalen nicht bereit erklärten. Die Franzosen rückten mit der Kavallerie – mit 300 Pferden – ein, was die gesamte Stadt überforderte. Sie hatten zudem das Recht, Fahrzeuge zu beschlagnahmen und sabotierten so Handel, Handwerk und Landwirtschaft.
In Verwaltungsakten finden sich vor allem handgreifliche Streitereien und Fälle von Prostitution, beziehungsweise Grenzbereiche von Prostitution. Von Sommer 1922 bis Frühjahr 1923 kam es in Einzelfällen zu Misshandlung von Ratinger Bürgern durch Besatzungssoldaten, zudem begingen Soldaten einige Sachbeschädigungen – zumeist im Zusammenhang mit fehlgeschlagenen Versuchen in der Sperrzeit an Alkohol zu gelangen. Zeitlich häuften sich die Fälle zum einen am 14. Juli 1922, dem französischen Nationalfeiertag und zum anderen zu Beginn der Ruhrbesetzung.
Die insgesamt elf dokumentierten Delikte sind bei einer Zeit von viereinhalb Jahren Besatzung als sehr gering zu bezeichnen. Zudem muss festgehalten werden, dass keine Kapitalverbrechen in der Zeit dokumentiert sind.
Die Handgreiflichkeiten betrafen jeweils nur Männer, zu dokumentierten Vergewaltigungen oder auch nur versuchten Vergewaltigungen ist es in der Zeit nicht gekommen. Die Beziehung von Franzosen zu Frauen finden sich in den Akten vor allem in Fällen von Prostitution. Dabei muss gesagt werden, dass Prostitution grundsätzlich legal war in dieser Zeit. Nur heimliche Prostitution war strafbar.
Barteleits These: Im Rheinland jenseits des Ruhrgebietes wollte Frankreich sich als gute Besatzungsmacht präsentieren – und etablierte grundsätzlich eine Friedensbesatzung, diese wurde während der Ruhrbesetzung durch den passiven Widerstand der Bevölkerung und der Behörden herausgefordert.