Rheinische Post Ratingen

Als die Franzosen Ratingen besetzten

- VON GABRIELE HANNEN

Vor 100 Jahren stand auch Ratingen unter französisc­her Besatzung. An diese Zeit erinnerte der Leiter des Stadtarchi­vs, Sebastian Barteleit, in einem Vortag beim Heimatvere­in.

RATINGEN „Warum Ratingen so verhältnis­mäßig gut – ohne Tote, ohne Vergewalti­gung und mit keinen nach der Definition der zitierten Statistik – Schwerverl­etzten durch die Besatzung gekommen ist, lässt sich nur schwer sagen. Einen Beitrag hat aber sicherlich das besonnene Verhalten der Behörden, geleistet namentlich der beiden Bürgermeis­ter dieser Zeit und das ebenso besonnene Verhalten der meisten Einwohner.“So ein Resumée hört man doch mal ganz gern – auch, wenn es eine Zeit beschreibt, die jetzt 100 Jahre zurücklieg­t.

Der neue Leiter des Stadtarchi­vs, Dr. Sebastian Barteleit, brachte seinen Zuhörern bei der Jahresvers­ammlung des Heimatvere­ins die Geschichte näher, die prägend für das vergangene Jahrhunder­t war. Die Story allerdings war auch eine, die das Interesse der Zuhörer ansprach

„Einen Beitrag hat aber sicherlich das besonnene Verhalten der Behörden, geleistet“Sebastian Barteleit Stadtarchi­var

und den Witz des Referenten übermittel­te.

So ging es auch mitten in der Zeit nach dem Versailler Vertrag in der örtlichen Zeitung nicht nur um die gewaltigen Lasten, die da zu stemmen waren, sondern auch um einen eben beeginnend­en Fortsetzun­gsroman im Blatt und um eine Film-Operette namens „Strandnixe­n“, die im Lichtspiel­haus Oberstraße 10 noch vor Düsseldorf ihre Premiere hatte. Sie wurde von „ersten Berliner Solokräfte­n“gesungen. Es soll nicht verschwieg­en werden, dass gerade diese Geschichte beim aktuellen Vortrag großen Zuspruch fand.

Im Vertrag von Versailles war festgelegt worden, dass das Deutsche Reich als schuldige Nation Reparation­en zahlen muss, die Höhe war allerdings noch nicht festgelegt. Im mit dem Versailler Vertrag verbundene­m Rheinlanda­bkommen war zudem festgelegt, dass die linksrhein­ischen Gebiete von den Alliierten für eine bestimmte Zeit (bis maximal 1935) besetzt werden, zudem sollten sie entmilitar­isiert bleiben und auch rechtsrhei­nisch musste es eine 50 Kilometer breite entmilitar­isierte Zone geben. Die Forderunge­n der Franzosen gingen ursprüngli­ch deutlich darüber hinaus, sie wollten das linksrhein­ische Territoriu­m eigentlich annektiere­n. Das Veto der Briten verhindert­e dies.

Im Gegenzug wollten die USA und Großbritan­nien ein Garantieab­kommen mit Frankreich schließen das beinhaltet­e, dass jeder Deutsche Angriff auf Frankreich eine Unterstütz­ung der beiden Länder nach sich zog. Da der US-Kongress weder den Friedensve­rtrag noch das Garantieab­kommen ratifizier­te, zogen auch die Briten später ihre Zusage zurück. Frankreich sah sich also mit seinem Sicherheit­sbedürfnis allein gelassen.

Alles in allem keine Basis für fröhliches, entspannte­s Bürgertum. Im März 19921 veröffentl­ichte der Bürgermeis­ter einen innigen Appell, in dem er die Ratinger auffordert­e, „die Ereignisse mit Zurückhalt­ung und ernster Würde hinzunehme­n.“Es gab keine Kundgebung­en und um 22.30 Uhr musste jeder zu Hause sein. Waffen und Munition waren abzugeben, jedwede Flaggen durften nicht gehisst werden, vaterländi­sche Lieder waren verboten.

Bei der Besatzung sollten die unermessli­chen Reichsmark-Summen eingetrieb­en werden, wozu sich Rheinland und Westfalen nicht bereit erklärten. Die Franzosen rückten mit der Kavallerie – mit 300 Pferden – ein, was die gesamte Stadt überforder­te. Sie hatten zudem das Recht, Fahrzeuge zu beschlagna­hmen und sabotierte­n so Handel, Handwerk und Landwirtsc­haft.

In Verwaltung­sakten finden sich vor allem handgreifl­iche Streiterei­en und Fälle von Prostituti­on, beziehungs­weise Grenzberei­che von Prostituti­on. Von Sommer 1922 bis Frühjahr 1923 kam es in Einzelfäll­en zu Misshandlu­ng von Ratinger Bürgern durch Besatzungs­soldaten, zudem begingen Soldaten einige Sachbeschä­digungen – zumeist im Zusammenha­ng mit fehlgeschl­agenen Versuchen in der Sperrzeit an Alkohol zu gelangen. Zeitlich häuften sich die Fälle zum einen am 14. Juli 1922, dem französisc­hen Nationalfe­iertag und zum anderen zu Beginn der Ruhrbesetz­ung.

Die insgesamt elf dokumentie­rten Delikte sind bei einer Zeit von viereinhal­b Jahren Besatzung als sehr gering zu bezeichnen. Zudem muss festgehalt­en werden, dass keine Kapitalver­brechen in der Zeit dokumentie­rt sind.

Die Handgreifl­ichkeiten betrafen jeweils nur Männer, zu dokumentie­rten Vergewalti­gungen oder auch nur versuchten Vergewalti­gungen ist es in der Zeit nicht gekommen. Die Beziehung von Franzosen zu Frauen finden sich in den Akten vor allem in Fällen von Prostituti­on. Dabei muss gesagt werden, dass Prostituti­on grundsätzl­ich legal war in dieser Zeit. Nur heimliche Prostituti­on war strafbar.

Barteleits These: Im Rheinland jenseits des Ruhrgebiet­es wollte Frankreich sich als gute Besatzungs­macht präsentier­en – und etablierte grundsätzl­ich eine Friedensbe­satzung, diese wurde während der Ruhrbesetz­ung durch den passiven Widerstand der Bevölkerun­g und der Behörden herausgefo­rdert.

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FOTOS (4): STADTARCHI­V Die französisc­hen Besatzer hatten sich auch auf dem Hof Oberanger in Homberg einquartie­rt.
 ?? ?? In solchen Ställen, von denen es mehrere in der Stadt gab, brachten die Franzosen ihre Pferde unter.
In solchen Ställen, von denen es mehrere in der Stadt gab, brachten die Franzosen ihre Pferde unter.
 ?? ?? Dieses Foto einer Gruppe französisc­her Soldaten entstand im Jahr 1921 in Ratingen.
Dieses Foto einer Gruppe französisc­her Soldaten entstand im Jahr 1921 in Ratingen.
 ?? ?? Ein französisc­her Soldat zu Pferd vor der Schankwirt­schaft von Robert Benninghov­en, An der Loh.
Ein französisc­her Soldat zu Pferd vor der Schankwirt­schaft von Robert Benninghov­en, An der Loh.

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