Die letzten Tage von Sylt
Die Insel ist ein Symbol für Exklusivität. Doch damit könnte es mit der Einführung des Neun-Euro-Tickets vorbei sein, befürchten manche. Ein Abgesang auf den einzigen Ort, an dem Männer mit roten Hosen passend gekleidet sind.
Eigentlich wäre jetzt die Zeit für die endgültige Sylt-Serie, eine Art „Kir Royal“von der Nordsee, ein „Monaco Franze“vom Roten Kliff. Nur leider ist Helmut Dietl ja schon tot, der wäre der einzige gewesen, der das gekonnt hätte, und vielleicht wäre selbst ihm nur mehr ein bitterer Nekrolog gelungen, in dessen Schlussszene ein Herr in roten Hosen und weißen Slippern von einer Klippe stürzt. Denn Sylt ist bald auch nicht mehr, was es mal war.
Das jedenfalls argwöhnen viele, seit die Regierung das Neun-Euro-Monatsticket angekündigt hat, mit dem man im Juni, Juli und August im Nah- und Regionalverkehr durch ganz Deutschland reisen kann. Natürlich auch den acht Kilometer langen Hindenburg-Damm hoch nach Sylt. Der Geschäftsführer der Sylt-Marketing hat schon mal gewarnt, dass die Insel nicht gerüstet sei für den zu erwartenden Ansturm. Seitdem fegt über Sylt ein Sturm der Häme hinweg. Über die „Syltokalypse“spotten sie im Netz und posten dazu Bilder von extrem überfüllten Zügen aus Indien.
Das ist gemein, aber genau genommen auch eine Ehrbezeugung. 3,69 Euro kostet bei Amazon ein waschanlagenfester, witterungs- und UV-beständiger
Aufkleber, der die Form Sylts hat. Dieser Sticker wirkt wie ein Vereinsabzeichen, wie ein Augenzwinkern für Eingeweihte. Er prangt unwiderruflich auch auf solchen zwölfzylindrigen Autos, deren Besitzer mit ihren Kindern schimpfen, wenn die beim Einsteigen mit Schokofingern aus Versehen auf den Lack tatschen. Die Silhouette Sylts erinnert entfernt an einen Notenschlüssel, und sie bringt etwas zum Klingen: „Diese eine Liebe wird nie zu Ende gehen / Wann werd‘ ich sie wiedersehen?“
Die Band Die Ärzte singt das, „Westerland“heißt das Lied, und die Verse „Es ist zwar etwas teurer / Dafür ist man unter sich“kommen auch darin vor. Sylt ist Symbol, Produkt und Marke, „Sylt“lispeln die Bläschen im Champagner, bevor sie platzen, und vielleicht können nirgendwo sonst Schicki-Mickis so herrlich schilly-schally sein wie dort. Es ist jedenfalls sehr schön, die Zeitschrift „Bunte“durchzublättern und Sabine Christiansen und ihrem Gatten Norbert Medus, Wolfgang Joop, Günter Netzer und all den anderen Promis beim Prickel-Stößchen im Gogärtchen zuzusehen. Einige von ihnen tragen Kaschmir-Pullover, aber nicht plan am Leib, wie vom Hersteller vorgesehen, sondern lose mit den Ärmeln um den Hals geknotet. „Kampener Kringel“