Die Verbrechen des Harry Potter
Die Jura-Professorin Anne Schneider referierte über das magische Rechtssystem in Rowlings Romanen.
DÜSSELDORF Anne Schneider ist Professorin für deutsches, europäisches und internationales Strafrecht, und da sie Juristin mit Fantasie ist, dehnte sie ihren Kompetenzraum für ein spezielles Projekt auf ein magisches Rechtssystem aus. Und es gelang ihr, ihre Studenten für das Vorhaben zu begeistert. An der Heinrich-HeineUniversität nahmen sie sich eines bedeutsamen Themas an: die Verbrechen des Zauberers Harry Potter. Dabei deckten sie ein System voller Ignoranz, Korruption und krimineller Energie auf.
Wer Harry Potter als Opfer oder als schuldfreien Helden im Kampf gegen Voldemort sieht, liegt falsch. Er verstieß mehrfach gegen die Gesetze der magischen Welt, und doch verschließen viele die Augen vor seinen Verbrechen. Der vermeintliche Held hat es geschafft, das korrumpierte System des Zaubereiministeriums zu missbrauchen. Dies wurde bei einem Vortrag klar, bei dem Schneider im Haus der Universität die Ergebnisse ihres Teams vorstellte.
Das magische Recht ist äußerst unklar. Wenig ist darüber bekannt, wenig wird definiert. Dennoch zeigt sich bei näherer Betrachtung: Es steht schlecht um das magische Rechtssystem und dessen Vollstreckung. Recht und Unrecht richten sich nach den Regierenden eines Systems, das weder Gewaltenteilung noch demokratische Wahlen kennt.
Dies ermöglicht Rechtsbrüche aller Art. Im Gefängnis Askaban werden Menschenrechte verletzt, denn die Dementoren missachten ihre Fürsorgepflicht für die Gefangenen. Und rechtswidrige Sockenverträge zur Befreiung von Hauselfen werden auch ohne Vorsatz ihres Herrn durchgesetzt – obwohl dieser arglistig vom Zweitklässler Harry Potter getäuscht wurde. Da beginnt bereits die Geschichte des Jungen, der es mit dem Gesetz nicht ernst nimmt.
Aufgrund der unklaren Rechtslage ist es jedoch schwierig, Harry für alle Vergehen zu belangen. Flüche wie „Sectumsempra“, der den Opfern schmerzhafte Wunden zufügt, scheinen nicht strafrechtlich relevant zu sein; nach deutschem oder britischem Recht wäre es wohl mindestens Körperverletzung. Doch gibt es einige Taten, die bereits explizit gegen magisches Recht verstoßen – so wie die sogenannten drei unverzeihlichen Flüche, die schlimmsten Zaubersprüche in der magischen Welt. Sie ermöglichen es zu manipulieren, zu foltern und zu töten und werden mit einer lebenslangen Inhaftierung in Askaban bestraft. Harry Potter greift fünf Mal zu einem unverzeihlichen Fluch.
Der „Imperius“-Fluch wird zur Manipulation zweier Personen genutzt, um in die Zauberer-Bank Gringotts einzubrechen. Drei Mal versucht Harry Potter mit dem „Cruciatus“-Fluch zu foltern und ist dabei einmal erfolgreich. Dies sollte reichen, um Harry Potter eine Zelle in Askaban zu sichern – und doch ist der Magier noch immer auf freiem Fuß.
Nun könnte man ihn verteidigen und argumentieren, dass er nur für das Gute gekämpft hätte. Man könnte sagen, dass seine Flüche die bösen Todesser (Voldemorts Gehilfen) getroffen haben und somit als Notwehr gedeutet werden könnten. Und doch bleibt die Frage, weshalb Harry Potter unverzeihliche Flüche nutzte, während auch straffreie Zaubersprüche den gleichen Effekt gehabt hätten. Sind die unverzeihlichen Flüche etwa gar nicht so unverzeihlich? Oder verkörpert der „Auserwählte“die Arroganz einer magischen Oberschicht, für die die Gesetze nicht gelten?
Möglicherweise reicht aber auch der Sieg über Voldemort, den dunkelsten Magier der Geschichte, aus, um Harry Potter nach der Schlacht von Hogwarts zu begnadigen. Nichtsdestotrotz hat er wiederholt die Gesetze der magischen Welt missachtet. Er ist ein Verbrecher, auch wenn er für seine Taten wohl niemals büßen wird. Das sieht auch die Jura-Professorin Schneider so.