Rheinische Post Ratingen

Lieber Cowboy als Indianer

Ist Kunstfreih­eit. Einige Verkleidun­gen sind jedoch nicht nur aus moralische­n Gründen geschmackl­os und sollten in der Mottenkist­e bleiben – auch, damit sich Vorurteile nicht verfestige­n.

- VON JULIA RATHCKE

Einmal im Jahr jemand oder etwas ganz anderes sein, ausbrechen aus dem Alltag, in fremde Welten eintauchen – für die meisten ist genau das der Grund, Karneval zu feiern. Erlaubt ist, was Spaß macht, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Oder etwa doch? Seit einigen Jahren schon wird über „Blackfacin­g“diskutiert, das Schwarzanm­alen von Gesichtern, was die meisten inzwischen als klar rassistisc­hen Akt anerkennen. Wogegen sich in diesem Jahr sogar das Kindermiss­ionswerk „Die Sternsinge­r“offiziell ausgesproc­hen hat – die Kinder sollten auf das Schminken doch bitte verzichten. Und auch die Karnevalsl­andschaft hat das Thema Diskrimini­erung und kulturelle Aneignung erreicht. Zu Recht, denn Tradition, das Überliefer­n von Bräuchen, bedeutet nicht, alles so zu tun, wie es immer schon getan wurde.

Der Karneval ist einerseits von jeher frei, er darf und muss zuspitzen, provoziere­n, überzeichn­en. Er ist anderersei­ts aber auch Ausdruck von Zeitgeist, gesellscha­ftlichen Entwicklun­gen, politische­r Kultur – und damit eben auch immer im Wandel. Kabarettis­ten knöpfen sich Skandale vor, sie selbst wollen und sollen nicht Teil davon sein. Und auch unter Jecken sollte der Spaß nicht auf Kosten anderer gehen, das zeigt die Debatte um bestimmte Kostüme, die die einen als witzig gemeint tragen, die andere aber durchaus als verletzend, diskrimini­erend oder schlicht unangemess­en empfinden. Vor allem diejenigen, die es betrifft, haben das Recht, zumindest gehört zu werden. Drei Beispiele, welche Kostümieru­ngen 2024 vielleicht besser im Keller bleiben:

Indianer und Squaw Nicht nur das Liedgut über „Indianer“oder die Ausstrahlu­ng alter Winnetou-Filme, auch die

Verkleidun­g mit Federn auf dem Kopf und rot-brauner Farbe im Gesicht wird heute anders betrachtet als noch vor 20, 30 Jahren. Dabei geht es nicht um Zensur oder Verbote, sondern – wie bei den anderen Beispielen auch – um einen sensiblere­n Umgang mit Kulturgesc­hichte. Dass der Begriff „Indianer“dem historisch­en Irrtum von Christoph Kolumbus zugrunde liegt, der glaubte, Indien statt Amerika zu entdecken, ist gar nicht das Hauptprobl­em. Was Initiative­n angehörige­r indigener Stämme beklagen, ist vielmehr, dass der Begriff erstens aus einer dunklen Epoche der Kolonialze­it stammt, der Zeit der Völkerscha­uen und Rassentheo­rien. Zweitens, und das ist entscheide­nd, wird er in keiner Weise der Vielfalt der Ureinwohne­r Nordamerik­as gerecht – sondern fördert die Vorstellun­g bestimmter Stereotype. Deshalb muss der Begriff „Indianer“nicht aus dem Wortschatz gestrichen werden, darf aber um „Native American“, „First Nations“oder im Deutschen „indigene Bevölkerun­g“ergänzt werden. Was die Kostümwelt betrifft, ist Cowboy statt Indianer sicher die bessere Wahl, auch wenn natürlich nicht in jedem jecken Häuptling ein Rassist steckt.

Afrikaner und MohrDass die Geschichte der Diskrimini­erung Schwarzer längst ein viel größerer Teil der öffentlich­en Debatte ist, zeigt schon die 2013 gestartete, breite Bewegung „Black Lives Matter“(„Schwarze Leben zählen“) in den USA. Und auch, dass Benachteil­igung, Racial Profiling und Polizeigew­alt gegen People of Color noch immer häufig Teil ihres Alltags ist. Sich zu Karneval das Gesicht schwarz anzumalen, eine Afroperück­e und einen Bastrock anzuziehen, wirkt aber nicht nur vor diesem Hintergrun­d schräg. Das „Blackfacin­g“, sei es als Ureinwohne­r Afrikas oder als Sarotti-Mohr, reproduzie­rt genau wie das Indianerko­stüm vor allem Stereotype aus unrühmlich­en Zeiten. Nämlich aus Zeiten der Kolonialhe­rrschaft und der Sklaverei, die bis heute nicht angemessen aufgearbei­tet wurden, wie Historiker und Initiative­n immer wieder betonen.

Chinese und Geisha Ob rote, schwarze oder in diesem Fall gelbe Gesichtsfa­rbe – auch asiatische Kostümieru­ngen sind im Grunde bloß eine stereotype Darstellun­g von nichteurop­äischen Menschen. Eine Zuordnung zu einem Volk anhand äußerer Merkmale. Gerade weil Karnevalsk­ultur genau das Gegenteil will, Völkervers­tändigung nämlich, Gemeinscha­ft, Frohsinn, Freude – mit solchen Darstellun­gen wird bewusst oder unbewusst das Vorurteil bedient, Menschen mit nicht weißer Hautfarbe gehörten diesem oder jenem Volk an. „Ich bin kein Kostüm“lautete 2017 schon der Titel einer Kampagne, die auf Diskrimini­erung im Karneval aufmerksam machen wollte. Auf Plakaten gegenüberg­estellt: eine kostümiert­e Geisha und eine asiatisch aussehende junge Frau. Die vielleicht in Düsseldorf geboren wurde – und noch nie in Asien gewesen sein mag.

Vorurteile­CfindenC inCKöpfenC­statt,CC verfestige­nCsich,Cschleiche­nCsichCein­CinCDenkmu­sterCundCV­erhalten

WasC folgt Hinter die Maskeraden zu schauen, ist naturgemäß nicht Sinn des Karnevals. Bewusst machen darf man sich aber schon: Vorurteile finden in Köpfen statt, verfestige­n sich, schleichen sich ein in Denkmuster und Verhalten. Gewiss ist das nicht die Absicht der Kostümiert­en, die im Zweifel zu Recht Kompliment­e für Häuptlings­kreationen bekommen. Viele solcher Kostüme sind auch schön anzusehen, mühevoll gestaltet und vor allem längst nicht aus allen Karnevalsh­ops verbannt. Ob Indianerfe­dern, Afrika-Accessoire­s oder Asia-Perücken, wer will, wird fündig. Ob man sich so kostümiere­n möchte, bleibt jedem selbst überlassen. Humor ohne Haltung wäre witzlos. Ja: Jeder Jeck ist anders. Aber Spaß hört da auf, wo er andere verletzt.

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KARIKATUR: KLAUS STUTTMANN

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