Lieber Cowboy als Indianer
Ist Kunstfreiheit. Einige Verkleidungen sind jedoch nicht nur aus moralischen Gründen geschmacklos und sollten in der Mottenkiste bleiben – auch, damit sich Vorurteile nicht verfestigen.
Einmal im Jahr jemand oder etwas ganz anderes sein, ausbrechen aus dem Alltag, in fremde Welten eintauchen – für die meisten ist genau das der Grund, Karneval zu feiern. Erlaubt ist, was Spaß macht, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Oder etwa doch? Seit einigen Jahren schon wird über „Blackfacing“diskutiert, das Schwarzanmalen von Gesichtern, was die meisten inzwischen als klar rassistischen Akt anerkennen. Wogegen sich in diesem Jahr sogar das Kindermissionswerk „Die Sternsinger“offiziell ausgesprochen hat – die Kinder sollten auf das Schminken doch bitte verzichten. Und auch die Karnevalslandschaft hat das Thema Diskriminierung und kulturelle Aneignung erreicht. Zu Recht, denn Tradition, das Überliefern von Bräuchen, bedeutet nicht, alles so zu tun, wie es immer schon getan wurde.
Der Karneval ist einerseits von jeher frei, er darf und muss zuspitzen, provozieren, überzeichnen. Er ist andererseits aber auch Ausdruck von Zeitgeist, gesellschaftlichen Entwicklungen, politischer Kultur – und damit eben auch immer im Wandel. Kabarettisten knöpfen sich Skandale vor, sie selbst wollen und sollen nicht Teil davon sein. Und auch unter Jecken sollte der Spaß nicht auf Kosten anderer gehen, das zeigt die Debatte um bestimmte Kostüme, die die einen als witzig gemeint tragen, die andere aber durchaus als verletzend, diskriminierend oder schlicht unangemessen empfinden. Vor allem diejenigen, die es betrifft, haben das Recht, zumindest gehört zu werden. Drei Beispiele, welche Kostümierungen 2024 vielleicht besser im Keller bleiben:
Indianer und Squaw Nicht nur das Liedgut über „Indianer“oder die Ausstrahlung alter Winnetou-Filme, auch die
Verkleidung mit Federn auf dem Kopf und rot-brauner Farbe im Gesicht wird heute anders betrachtet als noch vor 20, 30 Jahren. Dabei geht es nicht um Zensur oder Verbote, sondern – wie bei den anderen Beispielen auch – um einen sensibleren Umgang mit Kulturgeschichte. Dass der Begriff „Indianer“dem historischen Irrtum von Christoph Kolumbus zugrunde liegt, der glaubte, Indien statt Amerika zu entdecken, ist gar nicht das Hauptproblem. Was Initiativen angehöriger indigener Stämme beklagen, ist vielmehr, dass der Begriff erstens aus einer dunklen Epoche der Kolonialzeit stammt, der Zeit der Völkerschauen und Rassentheorien. Zweitens, und das ist entscheidend, wird er in keiner Weise der Vielfalt der Ureinwohner Nordamerikas gerecht – sondern fördert die Vorstellung bestimmter Stereotype. Deshalb muss der Begriff „Indianer“nicht aus dem Wortschatz gestrichen werden, darf aber um „Native American“, „First Nations“oder im Deutschen „indigene Bevölkerung“ergänzt werden. Was die Kostümwelt betrifft, ist Cowboy statt Indianer sicher die bessere Wahl, auch wenn natürlich nicht in jedem jecken Häuptling ein Rassist steckt.
Afrikaner und MohrDass die Geschichte der Diskriminierung Schwarzer längst ein viel größerer Teil der öffentlichen Debatte ist, zeigt schon die 2013 gestartete, breite Bewegung „Black Lives Matter“(„Schwarze Leben zählen“) in den USA. Und auch, dass Benachteiligung, Racial Profiling und Polizeigewalt gegen People of Color noch immer häufig Teil ihres Alltags ist. Sich zu Karneval das Gesicht schwarz anzumalen, eine Afroperücke und einen Bastrock anzuziehen, wirkt aber nicht nur vor diesem Hintergrund schräg. Das „Blackfacing“, sei es als Ureinwohner Afrikas oder als Sarotti-Mohr, reproduziert genau wie das Indianerkostüm vor allem Stereotype aus unrühmlichen Zeiten. Nämlich aus Zeiten der Kolonialherrschaft und der Sklaverei, die bis heute nicht angemessen aufgearbeitet wurden, wie Historiker und Initiativen immer wieder betonen.
Chinese und Geisha Ob rote, schwarze oder in diesem Fall gelbe Gesichtsfarbe – auch asiatische Kostümierungen sind im Grunde bloß eine stereotype Darstellung von nichteuropäischen Menschen. Eine Zuordnung zu einem Volk anhand äußerer Merkmale. Gerade weil Karnevalskultur genau das Gegenteil will, Völkerverständigung nämlich, Gemeinschaft, Frohsinn, Freude – mit solchen Darstellungen wird bewusst oder unbewusst das Vorurteil bedient, Menschen mit nicht weißer Hautfarbe gehörten diesem oder jenem Volk an. „Ich bin kein Kostüm“lautete 2017 schon der Titel einer Kampagne, die auf Diskriminierung im Karneval aufmerksam machen wollte. Auf Plakaten gegenübergestellt: eine kostümierte Geisha und eine asiatisch aussehende junge Frau. Die vielleicht in Düsseldorf geboren wurde – und noch nie in Asien gewesen sein mag.
VorurteileCfindenC inCKöpfenCstatt,CC verfestigenCsich,CschleichenCsichCeinCinCDenkmusterCundCVerhalten
WasC folgt Hinter die Maskeraden zu schauen, ist naturgemäß nicht Sinn des Karnevals. Bewusst machen darf man sich aber schon: Vorurteile finden in Köpfen statt, verfestigen sich, schleichen sich ein in Denkmuster und Verhalten. Gewiss ist das nicht die Absicht der Kostümierten, die im Zweifel zu Recht Komplimente für Häuptlingskreationen bekommen. Viele solcher Kostüme sind auch schön anzusehen, mühevoll gestaltet und vor allem längst nicht aus allen Karnevalshops verbannt. Ob Indianerfedern, Afrika-Accessoires oder Asia-Perücken, wer will, wird fündig. Ob man sich so kostümieren möchte, bleibt jedem selbst überlassen. Humor ohne Haltung wäre witzlos. Ja: Jeder Jeck ist anders. Aber Spaß hört da auf, wo er andere verletzt.