Zwischen Experiment und Folter
In Alabama soll ein verurteilter Mörder mit Stickstoff hingerichtet werden. Bislang wurde diese Methode nirgendwo getestet, zahlreiche Fragen zum Vorgehen sind noch ungeklärt. Der Fall beschäftigt Menschenrechtsexperten.
(dpa) 1000 US-Dollar: Dafür hat sich der damals 22-jährige Kenneth Eugene Smith im März 1988 auf einen Auftragsmord eingelassen. Wenig später war die Frau des Auftraggebers tot, ermordet in ihrem Haus an einer Landstraße im entlegenen Norden Alabamas. Smith und zwei Mittäter wurden gefasst – einer bekam eine lebenslange Haftstrafe, der andere starb 2010 durch die Giftspritze. Auch Smith wurde zum Tode verurteilt. Alabama gehört zu den US-Bundesstaaten, in denen Mördern bis heute die Hinrichtung droht.
Doch nie zuvor wurde ein Mensch dort oder im Rest der USA – vermutlich sogar weltweit – mittels Stickstoffhypoxie hingerichtet. Bei der ungetesteten Prozedur bekommt eine Person über eine Gesichtsmaske Stickstoff zugeführt. Die Folge ist der Tod durch Sauerstoffmangel. Innerhalb einer 30-stündigen Zeitspanne von Donnerstag auf Freitag soll der heute 58-jährige Smith so sterben. 2022 war seine Exekution mit der Giftspritze gescheitert. Menschenrechtsexperten warnen, es könne sich um Folter handeln. Dafür, dass die Inhalation von reinem Stickstoff keine schwerwiegenden Leiden verursacht, fehlen nach UNAngaben wissenschaftliche Beweise. „Hier wird an einem Menschen ein Experiment durchgeführt“, mahnt Amnesty International.
Smith habe die ihm erlaubten 15 Minuten für einen Telefonanruf beim „Guardian“genutzt, berichtete die britische Zeitung am Sonntag. Er sei von Albträumen geplagt, die davon handelten, in die Hinrichtungskammer zurückkehren zu müssen. Aus Gerichtsakten geht hervor, dass Smith nach dem ersten Hinrichtungsversuch eine posttraumatische Belastungsstörung attestiert wurde. Dem Gefängnispersonal
gelang es damals nicht, die Kanüle in seinen Arm zu legen. Nach mehreren Stunden, in denen er angeschnallt auf einem Exekutionstisch lag, kam er wieder in seine Zelle.
„Ich weiß nicht, wie wir das, was ihm widerfahren ist, von einer Scheinhinrichtung unterscheiden können“, sagt auch Robin Maher, Juristin und Geschäftsführerin des Death Penalty Information Center. Die Organisation führt eine umfassende Datenbank zur Todesstrafe in den USA und nimmt explizit keinen politischen Standpunkt ein. Viele Stellen im Hinrichtungsprotokoll seien geschwärzt, sagt Maher. „Was passiert, wenn das Gas aus der Maske austritt, weil sie nicht eng genug anliegt?“, listet sie einige der ungeklärten Fragen auf. „Wo kommt das Gas her? Was passiert in einem Notfall?“
Viele Pharmaunternehmen blockieren den Einsatz ihrer Medikamente oder des für die Injektion benötigten Equipments. Zudem hat die US-Standesvertretung von Ärzten und Pflegepersonal AMA ihren rund 270.000 Mitgliedern das Mitwirken an Hinrichtungen untersagt, sodass diese mitunter von nicht ausreichend geschultem Personal durchgeführt werden. Was das für Todeskandidaten bedeutet, zeigen schauerliche Augenzeugen- und Autopsieberichte. Immer wieder scheitern Exekutionen oder ziehen sich über Stunden hin.
Smiths Anwälte versuchten bislang vergeblich, den zweiten Hinrichtungstermin zu stoppen. Neben einer laufenden Berufungsklage vor einem Bezirksgericht argumentieren sie vor dem Obersten
US-Gerichtshof mit dem achten Verfassungszusatz. Dieser verbietet „grausame und ungewöhnliche Strafen“. Schon die gescheiterte Hinrichtung falle darunter, so die Anwälte. Ob der Supreme Court reagiert, ist unklar. Aufhalten könnte die Exekution noch per Erlass die republikanische Gouverneurin von Alabama, Kay Ivey. Das halten Beobachter aber für unwahrscheinlich.
Eine knappe Mehrheit in den USA unterstützt weiterhin die Todesstrafe für Mörder – der Sohn der Frau, an deren Mord Smith beteiligt war, gehört dazu: „Wenn man ein Verbrechen begeht, weiß man, dass man dafür bezahlen muss“, sagte er 2022 dem Sender WAAY: „Meine Schwägerin ist Krankenschwester. Wir bringen sie das nächste Mal mit. Sie wird sie (die Vene) schon finden.“