Übersehen, verfolgt, verprügelt
Für einen Radfahrer aus Marl endete ein Missverständnis auf der Straße im Krankenhaus. Ein Autofahrer soll ihn angegriffen haben. Generell scheinen Aggressivität und Rücksichtslosigkeit im Verkehr zuzunehmen.
Für Luca S. (Name der Redaktion bekannt) war es ein ganz normaler Montag. Er war, wie so oft, mit dem Fahrrad in Marl unterwegs und wollte eine Ampel passieren, als er abrupt bremsen musste. „Neben mir stand ein Auto, der Fahrer hatte mich wohl übersehen“, berichtet er. Er habe dem Fahrer hinterher gerufen. „Pass auf, du Spinner!“, erinnert er sich, gesagt zu haben. Das habe den Autofahrer veranlasst, ihm ebenfalls hinterherzurufen, was genau, das habe S. nicht verstehen können.
Nachdem S. seinen Weg fortsetzen wollte, habe der Autofahrer gewendet und ihn verfolgt. Als S. in eine Seitenstraße abgebogen sei, sei der Autofahrer ihm auch dorthin gefolgt. „Er ist förmlich aus dem Auto gesprungen und hat mich vom Fahrrad geschlagen“, sagt S.: „Ich bin auf dem Bürgersteig aufgekommen und habe dann erst bemerkt, dass im Auto noch ein kleines Kind saß.“Nachdem S. am Boden lag, sei der Autofahrer direkt weggefahren. S. sei es noch gelungen, das Nummernschild zu fotografieren.
Aggressives Verhalten im Straßenverkehr sei schon länger ein Problem, sagt Michael Mertens, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei. Da die Straftaten, die daraus entstehen, oft gar nichts mehr mit dem Straßenverkehr zu tun hätten, ließe sich die Zahl der Fälle kaum messen. „Auf jeden Fall ist es aber ein Ausdruck von hektischen Zeiten, die sich dann im sinnbildlichen Kampf um die Straße zeigen“, so Mertens. Autofahrer hätten lange die „Vorherrschaft“auf deutschen Straßen gehabt, das ändere sich aber immer mehr.
„Kommt es zu Auseinandersetzungen, kann man nur raten: Der Klügere gibt nach“, sagt er. Gegenseitige Rücksichtnahme sei elementar. Und: „Wer aussteigt, hat schon verloren“, so Mertens: „Wer einen blöden Spruch kassiert, sollte wei
terfahren und es vermeiden, den Konflikt auszutragen.“
Luca S. klingelte nach dem Zusammentreffen mit dem Autofahrer verletzt bei einem nahe gelegenen Haus, die Bewohnerin half ihm und rief die Polizei. Am Unfalltag sei er noch so geschockt gewesen, dass er nicht ins Krankenhaus gewollt hätte, sagt S. Bald habe er aber schlimme Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit verspürt, sodass er doch ärztliche Hilfe benötigte. „Ich habe eine Gehirnerschütterung und einen Wirbelbruch erlitten“, sagt er. Die Polizei Recklinghausen bestätigt eine gestellte Strafanzeige wegen Körperverletzung. Die Ermittlungen dauerten derzeit noch an, so ein Sprecher.
Aggressives Verhalten im Straßenverkehr nimmt anscheinend zu. Das kann auch Erich Rettinghaus bestätigen. Er ist Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft in NRW und beobachtet diese Entwicklung nicht nur im täglichen Dienst, sondern auch selbst als Verkehrsteilnehmer. „Egal ob mit dem Auto, dem Rad oder zu Fuß, für viele zählt nur noch das persönliche Vorankommen“, sagt er gegenüber unserer Redaktion: „Es wird viel gehupt und wenig gewartet.“Generell mangele es am Vermögen, sich in die Situation anderer Verkehrsteilnehmer zu versetzen. Rettinghaus macht verschiedene Faktoren für diese Entwicklung aus. „Zum einen wird die Geschwindigkeit der anderen Verkehrsteilnehmer oft unterschätzt. Gerade bei E-Bikes, die immer mehr unterwegs sind, passiert das oft“, sagt er. Normale Verkehrsregeln würden missachtet, Rad- und Gehwegsbegrenzungen nicht eingehalten.
Für Luca S. war der Vorfall ein einschneidendes Erlebnis. Neben den körperlichen Folgen sei er immer noch fassungslos über das Verhalten des Autofahrers. „Er hatte ein kleines Kind dabei. Es ist mir unbegreiflich, wie jemand, der eventuell Vater sein könnte, sich so verhalten kann“, sagt er. In Zukunft will er auf eine andere Strecke ausweichen, wenn er zur Arbeit fährt.