Fortunas zwei Gesichter
Der Zweitligist hat mehrfach bewiesen, oben mitspielen zu können – auch aufgrund großer Moral: Nach Rückständen steht man immer wieder auf. Doch das wird man sich als Top-Team nicht zu oft leisten können.
In der römischen Mythologie gibt es diesen einen Gott, den Gott allen Ursprungs, des Anfangs, des Endes sowie aller Türen und Pforten. Sein Name: Janus. Weil er etliche Gegensätze in sich vereint, erwächst sein Kopf im Laufe der Zeit zum Symbol für Dualität und Zwiespalt; in jedem Guten steckt ebenfalls etwas Schlechtes. Durch ein gewisses Maß an Janusköpfigkeit tut sich in dieser Saison auch Zweitligist Fortuna hervor. Trainer Daniel Thioune sagt: „Meine Mannschaft hat einfach zwei Gesichter.“
Beim 2:2 gegen Hertha BSC hat sie das am Sonntag wieder einmal nachgewiesen, mit einer durchwachsenen Vorstellung in der ersten und einer starken in der zweiten Hälfte. „Ein Gesicht“, erzählt Thioune, „ist etwas verhaltener, passiver, eines ist richtig gut. Und mit der Vorstellung in der zweiten Halbzeit bin ich maximal einverstanden.“Zurecht, denn nach der Umstellung und dem Verschieben der Anlauflinie dominierte Fortuna die emotionale Partie im Olympiastadion und hätte durch Christos Tzolis – einmal per Elfmeter und einmal kurz vor Schluss – durchaus noch den Siegtreffer erzielen können.
Hinter ein paar Falten des Gesichts aus der ersten Hälfte hat Thioune seine Innenverteidigung ausgemacht. „Ich hatte mit Jordy de Wijs einen Innenverteidiger auf dem Platz, der nicht gut durch die Vorbereitung gekommen ist, und mit Andre Hoffmann einen, der vier Monate lang gar nicht auf dem Platz stand“, sagt der Trainer, der deshalb zunächst eine etwas risikoärmere Herangehensweise im Spielaufbau gewählt hat. „Wir haben den Druck in der zweiten Hälfte dann von den
Innenverteidigern weggenommen und das Spiel damit in den Halbpositionen öffnen können. Dadurch ist es deutlich besser geworden.“
Die zwei Gesichter seines Teams führen aber auch zu einer weiteren Erkenntnis. „Wir können eigentlich gut Fußball spielen, brauchen aber irgendwo immer einen Rückstand oder die Herausforderung, um Resistenz zu entwickeln“, konstatiert Thioune. „In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns ja schon seit vielen Wochen.“In der Tat, wie allein der Blick auf das letzte Spiel des vergangenen Jahres zeigt, als die Düsseldorfer einen 0:2-Rückstand nach einer enorm schwachen ersten Hälfte in einen 3:2-Sieg gedreht haben – dank einer enorm starken zweiten Hälfte.
Bei der „Fortuna-für-alle“-Premiere im zurückliegenden Oktober hat die Thioune-Truppe sogar für noch
mehr Spektakel gesorgt. Mit 0:3 lag sie gegen den 1. FC Kaiserslautern hinten, ehe sie eine beispiellose Aufholjagd startete und am Ende einen vielumjubelten 4:3-Erfolg feierte. Vor dem zweiten Freispiel gegen Tabellenführer St. Pauli am Samstag (20.30 Uhr, Arena) lässt sich der Trainer deshalb auf einen scherzhaften
Vorschlag eines Journalisten ein.
„Stimmt, vielleicht gebe ich den Jungs vor dem Anpfiff am Wochenende wirklich einfach mal mit, dass wir mit 0:2 zurückliegen“, sagt Thioune mit einem Augenzwinkern, „und dann starten wir das Ganze nochmal anders. Gerade gehört es einfach zu unserer Geschichte. Das ist zwar nicht das, was wir brauchen, aber es zeigt, dass wir klar bei uns bleiben.“
Der Trainer hat eine große Gabe. Er kann aus wenig viel machen und versteht es, eine Gruppe von Individualisten für seine Sache zu begeistern. Zumindest den Großteil. Er scheut sich nicht davor, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen, wenn es dem auserkorenen Ziel dient. Doch sein Problem liegt in der mangelnden personellen Vielfalt: Er kann kaum variieren. Und am Ende hat es natürlich auch etwas mit Qua
lität zu tun – oder mindestens dem Stand der persönlichen Entwicklung –, wenn sich Fehler immer wieder wiederholen.
Wer gesund ist, hat auch eine hohe Wahrscheinlichkeit, über kurz oder lang im Kader und auf dem Platz zu stehen. Denkzettel kann Thioune deshalb nur in sehr begrenztem Maße verteilen. Allerdings gilt das auch für verdiente Verschnaufpausen. Es ist alles extrem auf Kante genäht.
Und doch muss man vom 49-Jährigen verlangen dürfen, dass er es schafft, eine entsprechende Balance hereinzubekommen. Die wird dringend nötig sein, will man nicht schnell die eigenen Ziele verspielen. Gegen St. Pauli wird sich Fortuna nicht leisten können, auch nur eine Sekunde auf dem Platz zu verschlafen. Sonst sieht sie schnell ganz alt aus. Mit nur einem Gesicht.