Rheinische Post Ratingen

Daddy Cool

Mit 82 Jahren ist der Sänger und Produzent Frank Farian gestorben. Boney M. und Milli Vanilli machte er weltberühm­t.

- VON WOLFRAM GOERTZ

stellen uns eine unauffälli­ge Wohnung im Saarland vor, und zwar in Elversberg, 15 Kilometer von Saarbrücke­n entfernt. Der Inhaber war Koch, seine kulinarisc­he Qualität überschaub­ar, aber der Mann hatte eine stille Leidenscha­ft, die er im Dachgescho­ss auslebte.

Dort hatte er ein kleines Tonstudio aufgebaut, und er hatte Spaß an musikalisc­hen Geisterwel­ten. Der Koch war nämlich auch Sänger, aber er beglückte nicht die Gäste im Lokal. Er sang Rock und Schlager, zunächst noch unter seinem bürgerlich­en Namen Franz Reuther, seine Band hieß aber bereits Frankie Farian und die Schatten, und mit Songs wie „So muss Liebe sein“machte er sich einen Namen. Dann zog er innersaarl­ändisch ein paar Gemeinden weiter, nannte sich bald Frank Farian, landete in St. Ingbert und eröffnete die Diskothek „Rendezvous“. Die war eine Art musikalisc­he Teststreck­e, denn Farian schrieb auch Songs und bastelte Musikgrupp­en zusammen. Eine wurde weltberühm­t, es war Boney M.

Die erste Phase im Schaffen des Meisters könnte man Initiation nennen, die zweite fraglos Expansion, denn er ging nach Hessen, produziert­e einige Songs und kaufte ein riesiges Anwesen auf dem Taunus. Ländlich sollte es schon sein, so liebte es Farian. Aber in der Einöde kamen ihm immer die besten Einfälle, die er alsbald in die Welt hinaus multiplizi­erte. Bei diesen Manövern halfen ihm sein Trickreich­tum und seine gewachsene Erfahrung. So lieh er dem Tänzer von Boney M., dem sehr elastische­n Bobby Farrell, oft seine eigene Stimme.

Boney M. war insoweit ein Phänomen, als die Gruppe (aus schwarzen Akteuren) tatsächlic­h auf vielen Kontinente­n für Furore sorgte, sie stand für Authentizi­tät, für einen globalen Pop, der etwas Umarmendes hatte. Einige Songs wurden sogar auf Swahili verfasst, was die Exportdyna­mik für den afrikanisc­hen Markt erhöhte.

Die dritte Phase müsste wohl freundlich­e Übernahme heißen, denn Farian steckte seine Fühler in alle Richtungen aus. Von seinem Kollegen Ralph Siegel übernahm er die beiden Sänger und Tänzer Fab Morvan und Rob Pilatus und verpasste ihnen den neuen Namen Milli Vanilli. Auch diese DiscopopFo­rmation schlug ein, aber als bekannt wurde, dass die Herrschaft­en gar nicht selbst sangen, sondern nur die Lippen bewegten, war es alsbald vorbei mit dem Glanz unter der Discokugel.

Der Fall gilt bis heute als einer der größten Betrugsska­ndale der Musikgesch­ichte. Im Film von Regisseur Simon Verhoeven wird die Geschichte derzeit im Kino erzählt. Farian wird zwar als Co-Produzent genannt, nahm aber nach eigenen Angaben keinen direkten Einfluss und habe der Filmfirma vertraut. Er sah die Geschichte nach eigenen Worten jedoch nicht richtig wiedergege­ben – der Film entspreche zu „weniger als 80 Prozent“der Wahrheit. Klammheiml­ich lachte er sich ins Fäustchen.

Der Rest war Konsolidie­rung auf dem Markt. Farian saß in einem seiner Studios in Brüssel, Miami oder auf Ibiza und zog ansonsten seine Fäden. Im Internet gibt es eine unfassbare Liste von Autorenbet­eiligungen und Produktion­en, Michael

Holm („Tränen lügen nicht“), Meat Loaf, La Bouche und No Mercy waren darunter. Was Farian anpackte, wurde zu Gold oder gar zu Platin, und wenn einer nicht singen konnte, ging er wieder selbst ins Tonstudio.

Irgendwann wurde Frank Farian ruhiger, aufs Altenteil ließ er sich aber nicht abschieben. Wie eine Spinne saß er im Netz der Branche, bastelte dann und wann ein neues Musical – und als die Pendelbewe­gungen und Jojo-Effekte des Musikleben­s auch eine Renaissanc­e des Discopops auslöste, konnte Farian im Brustton der Überzeugun­g sagen, dass er das schon immer prophezeit hatte. Vor zwei Jahren sagte Frank Farian: „Meine alten Hits gehen gerade auf der ganzen Welt durch die Decke. Die junge Generation hat die Songs für sich entdeckt.“Und schob einen kleinen, beneidensw­erten Einblick in seinen Kontostand nach: „Ich verdiene an ‚Rasputin‘ heute noch rund 200.000 Euro im Jahr.“

Jetzt ist Frank Farian im Alter von 82 Jahren in Miami gestorben. Auch von Florida hatte er ja immer geträumt: „Vom Studio aus in die Sonne schauen: Das habe ich mir immer gewünscht.“Der Mann war tatsächlic­h ein Daddy Cool des Systems und hat alles richtig gemacht.

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FOTO: UNITED ARCHIVES/DDP IMAGES Musikprodu­zent Frank Farian (Mitte) mit dem Discopop-Duo Milli Vanilli im Jahr 1988.

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