Rheinische Post Ratingen

Müller-Westernhag­en lädt ein zum Boogie

- VON JÖRG KLEMENZ

KÖLN Viel muss man über den deutschen Rockmusike­r und ehemaligen Schauspiel­er Marius Müller-Westernhag­en nicht mehr sagen. Das meiste ist schon erzählt. Dass allerdings einer der erfolgreic­hsten deutschen Musiker im Düsseldorf­er Stadtteil Heerdt aufwuchs, schon in späten Pubertät-Zeiten aufgrund seiner stimmliche­n Shouterqua­lität über die Grenzen der Landeshaup­tstadt bekannt war und in seinem Song „Mit 18“verschmitz­t „Hey, mit 18 rannt ich in Düsseldorf rum“sang, wissen wahrschein­lich nur die Wenigsten. Aber sei es drum. Denn am Montagaben­d trat der ewige Kumpelrock­er, der in seinen besten Zeiten zu Beginn der 90er-Jahre Stadion um Stadion füllte und dessen Alben wie „Halleluja“oder „Jaja“durch rekordverd­ächtige Verkaufsza­hlen mehrfache Platinausz­eichnungen erhielten, im Rahmen seiner „75 Live“-Tour in der ausverkauf­ten Kölner Lanxess-Arena vor rund 16.000 Zuschauern auf.

Und während noch alle im TheVelvet-Undergroun­d-Modus stecken, weil „I’m Waiting for the Man“aus den Boxen läuft, fährt der schön anzuschaue­nde RüschenVor­hang nach oben, und Westernhag­en steht da. Ein bisschen den Ertappten spielt er in seinem eierschalf­arbenen Anzug. Wenn der von Armani wäre: Niemand würde sich wundern. Der Sound ist wuchtig, mit der bluesigen Rocknummer „Alphatier“und den Versen „Das Leben ist schwer / Schwer wie ein sinkendes Schiff“legt er samt Band los. Warum?, fragt man sich bloß. Da ist kein Zug, da fehlt das Tempo für einen kraftvolle­n Show-Auftakt. Unverkennb­ar: Westernhag­ens Stimme, die hört sich an, als würde er Murmeln gurgeln, während er singt.

Kein Geplapper, keine geschwunge­nen Reden. Die Band spielt sauber und konzentrie­rt, doch zuweilen ist es nur die Percussion­istin, die sich auf der Bühne zu bewegen scheint. Der Rest, auch der Protagonis­t, erfriert beinahe vor Statik. So wie die temporären Leinwand-Animatione­n zu den einzelnen Liedern, die wirken, als habe man einen Mediendesi­gn-Praktikant­en kurz vor Tourauftak­t noch mal schnell rangelasse­n. Erst bei „Taximann“schnippen und wippen sich die Background­sängerinne­n in den Groove, „In meiner Bude flipp’ ich aus“dagegen erinnert an irgendeide­r vollen Wohnung mit den hässlichen Möbeln, vor der kürzlich gestorbene­n Mutter, deren Alkoholate­m noch in der Luft liegt. Auch der Geruch ihrer „Klamotten“strömt noch aus dem Kleidersch­rank. Wohin jetzt? Logisch, zur besorgten Tilda nach Hamburg. Doch in Idas Leben ist kaum etwas folgericht­ig. Zwar steigt sie brav in den ICE gen Norden, doch seine Endstation, die Ostsee, ist plötzlich anziehend, und so rauscht Ida schnurstra­cks an Hamburg vorbei. Weil sie ihr Handy auf Flugmodus einstellt, ist Ida für ihre besorgte Schwester erst einmal abgetaucht. Für den Leser nicht.

Idas Geschichte ist eine Verlustges­chichte: von der Jugend, der Mutter, von Bindungen. Kein Halt, nirgends. Und ihr verzweifel­tes Schwimmen in der Ostsee trotz Unwetterwa­rnung bis zur totalen Erschöpfun­g ist der angetäusch­te Versuch, dem allen ein Ende zu setzen. „Und ich weiß nicht, ob ich sterben will“, sagt sie beängstige­nd lakonisch. Das Wasser wird vorerst das Einzige sein, das sie beruhigt, das Element des Konturlose­n und Unbewusste­n.

Caroline Wahl erzählt nicht die Geschichte einer jungen Frau, die durch desolate familiäre Verhältnis­se aus der Bahn geflogen ist und der manchmal nur das Schreien im Wald durch den bevorstehe­nden Tag hilft. Durch ihren Trotz, ihre Gesprächsv­erweigerun­g, ihre naive Eigenwilli­gkeit und Unruhe schimmert vielmehr die Existenzan­gst einer Generation durch – mit unsicher gewordenen Zielen und einer Zukunft, die allein mit den pinkfarben­en Klamotten rosig erscheint. Dass auch Caroline Wahl sich gerne derart farbenfroh kleidet, macht „Windstärke 17“noch lange nicht zu einem autobiogra­fischen Roman; aber sie gibt sich doch als Vertreteri­n ihrer Generation zu erkennen. So viel Anspruch muss sein.

Der Roman nimmt verschiede­ne Wendungen, ein paar fröhliche darunter, ein paar unerwartet schlimme auch. Zum „Skelett“der Handlung sei lediglich gesagt, dass Ida zeitweilig in der „Robbe“zu kellnern beginnt, dort den alten Knut kennenlern­t und über ihn seine Frau Marianne. Sie nehmen Ida wie gefundenes Strandgut bei sich auf, eine unbeschwer­te Zeit fast wie Ferien beginnt. Und mit Leif gibt es eine Liebesgesc­hichte, obwohl Ida gerade keine Kapazitäte­n für einen wie Jasper hat – wie sie sagt. Und natürlich ist ihre Beziehung nicht ne Post-Punk-Nummer auf DiskoFuchs­schwanz: „Der Fuchsschwa­nz weht an meinem Wagen / Jetzt geh’ ich tanzen mit meinem Hasen“.

Westernhag­en fällt es sichtlich schwer, zwischen den Stücken authentisc­hen und direkten Kontakt zum Publikum herzustell­en. Ab und zu beugt er sich nach vorne, sagt so etwas wie „Schön, dass ihr alle da seid“. Doch: Sein Ding ist die Bühne, nicht das Bad in der Menge. Den Song „Luft um zu atmen“performt unkomplizi­ert, aber es ist eine Beziehung immerhin. Ein überschaub­ares Personal bevölkert also die Geschichte.

Fans von Caroline Wahl werden sofort ihren typischen Sound wiederfind­en. Wahl scheint einfach drauflos zu erzählen, durchaus stilsicher, aber auch etwas unbearbeit­et. Das macht ihre Sprache, ihre Dialoge unverstell­t, Schreiben gewisserma­ßen in Echtzeit. Bei anderen Autoren würde man das dann authentisc­h nennen, bei Caroline Wahl scheint das einfache „echt“aber viel besser zu passen. Dann muss der Leser auch in Kauf nehmen, dass ein Zug „brechend voll“ist, und wird dann wieder belohnt mit der Beschreibu­ng, dass der „Wind das Haus verkloppt“und sich ihre Leidenscha­ft für Leif wie ein „schlechter Highschool-Liebesfilm“anfühlt.

Man muss nicht das Orakel von Delphi befragen, um behaupten zu dürfen, dass „Windstärke 17“ein Bestseller wird. Dass auch dieser Roman demnächst verfilmt wird. Und dass Caroline Wahl bereits an ihrem dritten Roman voller Lust arbeitet. Die gebürtige Mainzerin lebt jetzt in Rostock. Ist nach ihrem ersten Erfolg einfach dorthin gezogen, um nah am Meer zu sein, nah an der Ostsee. Es war schon immer ein Traum von ihr, wie auch das Schreiben.

In den vergangene­n Tagen haben wir ihr eine SMS geschickt mit ein paar Fragen. Die blieb unbeantwor­tet. Vielleicht hat sie ja ihr Handy auf Flugmodus gestellt.

In der ausverkauf­ten Arena in Köln dauerte es ein wenig, bis der Altrocker in Schwung kam. Dann dafür aber umso mehr.

das musikalisc­he Wunderkind aus Heerdt zusammen mit seiner Ehefrau Lindiwe Suttle. Ja, der Düsseldorf­er Rebell ist etwas ruhiger geworden, am Ende des Duetts wischt sie ihm noch liebevoll mit einem Lappen den Schweiß von der Stirn.

Welche Erkenntnis­se dann an diesem Abend noch folgen: „Sexy“schießt durch die Decke der Arena, bevor sich die Halle bei „Mit Pfeffermin­z bin ich dein Prinz“in ein Boogie-Woogie-Höllenfeue­r verwandelt. „Wieder hier“ist der Song, den alle Astronaute­n hören, wenn sie sich im Landeanflu­g auf die Erde befinden, ganz bestimmt. Der Nummer „Lass uns leben“ist Mark und Bein egal. Sie geht durch alles und jeden hindurch. Und ganz am Ende der Show – bei „Schweigen ist feige“und „Freiheit“– wird klar: Mehr denn je werden diese Lieder gebraucht. Lauter denn je werden sie an diesem Abend gesungen. „Freiheit, Freiheit / Ist das Einzige, was zählt“. Ja, Marius.

 ?? ??
 ?? FOTO: DPA ?? Wieder auf Tournee: Marius Müller-Westernhag­en.
FOTO: DPA Wieder auf Tournee: Marius Müller-Westernhag­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany