„Die Deutschen sollten stolz sein“
Die scheidende US-Botschafterin über ihr Gastland, ihren jüdischen Vater, Olaf Scholz und den Kampf um die Demokratie.
Frau Botschafterin, Sie besuchten ein Fußballspiel von Borussia Dortmund auf Ihrer Abschiedstour. Was fasziniert Sie am deutschen Nationalsport Nummer eins?
GUTMANN Zunächst wollte ich noch einmal nach NRW – derzeit findet hier das NRW-USA-Jahr statt, das ich 2023 mit eröffnet habe. Inzwischen sind daraus über 100 verschiedene Projekte hervorgegangen, an denen Menschen aus ganz unterschiedlichen Kontexten sich beteiligen und die den transatlantischen Dialog in den Mittelpunkt stellen. Und: Fußball ist hier der wichtigste Sport, der die Menschen zusammenbringt. Dortmund ist gewissermaßen die Hauptstadt des deutschen Fußballs. Ich habe auf dem Weg hierher die Borussen-Hymne „You‘ll never walk alone“gehört und mitgesungen. Das ist alles einmalig.
Was verbindet Sie mit Borussia Dortmund?
GUTMANN Der Verein hat eine klare Agenda gegen Rassismus und für Inklusion, die er gemeinsam mit Evonik, seinem Trikotsponsor, umsetzt, und zwar auf vielen verschiedenen Ebenen. Es gibt Projekte für die Spieler, aber auch für Mitarbeiter:innen und natürlich für die Fans. Wir haben in der US-Botschaft vor einem Jahr die Initiative „Stand Up. Speak Out.“(„Steht auf und setzt euch ein!“) gestartet, die junge Menschen zum zivilgesellschaftlichen Engagement für die Demokratie motiviert. Und das Motto passt auch zu den Initiativen von BVB und Evonik. Borussia hat eine grandiose Einstellung und ein Ethos, das mir imponiert.
Sport ist wichtig in Deutschland. Wie beurteilen Sie nach gut zweieinhalb Jahren als US-Botschafterin dieses Land, das Ihr jüdischer Vater einst wegen der Verfolgung durch die Nazis verlassen hat?
GUTMANN Lassen Sie mich erst erzählen, wie es dazu kam, dass ich nun hier bin. Ich erhielt vor drei Jahren einen Anruf von Präsident Biden, ob ich in Deutschland Botschafterin werden wollte und sagte sofort zu.
Ohne ein bisschen zu überlegen?
GUTMANN Ja, es war ganz spontan. Gut, ich fragte meinen Mann, der aber sofort einverstanden war.
Warum waren Sie gleich so positiv, obwohl Ihr Vater sein Land damals verlassen musste?
GUTMANN Ich glaube, für meinen Vater wäre das ein hochemotionaler Augenblick gewesen. Er ist selbst nie wieder hier gewesen, aber seine Tochter kehrt in sein Land zurück – als US-Botschafterin. Und es ist ein Land, das vereinigt, demokratisch, wohlhabend und ein starker Verbündeter der Vereinigten Staaten ist.
Hat Ihr Vater Sie geprägt?
GUTMANN Er starb, als ich ein Teenager war – viel zu früh. Aber er hat mir die Werte vermittelt, für die ich heute noch stehe. Ich habe mein Leben als Person und als Wissenschaftlerin der Demokratie gewidmet. Sie ist die wertvollste Staatsform, die wir haben. Und es war sein Vermächtnis, mich immer für die Demokratie einzusetzen und den Hass zu ächten.
Ist Deutschland eine gefestigte Demokratie?
GUTMANN Hätten Sie vor drei Jahren gedacht, dass die USA und Deutschland gemeinsam in Europa einem Diktator die Stirn bieten, der ohne Vorwarnung und unter Missachtung des Völkerrechts in ein Nachbarland einmarschiert? Ich finde, Deutschland hat seine demokratische Reifeprüfung bestanden. Es gibt nach den USA die meiste Hilfe für die Ukraine und nimmt mehr als
eine Million Flüchtlinge auf. Ich bin froh und stolz, dass die Vereinigten Staaten einen solch starken Verbündeten haben. Und die Deutschen sollten stolz auf ihr Engagement für die Ukraine sein.
Kanzler Scholz wird für seine zögerliche Waffenhilfe kritisiert…
GUTMANN …wofür ich wenig Verständnis habe. Natürlich müssen die Verbündeten mehr tun, um der Ukraine zu helfen. Aber das ist ein Prozess. Kanzler Scholz hat sein Wort gegeben, dass er die Ukraine nach allen Kräften unterstützt. Und dieses Wort hat er gehalten. Dazu kommt seine persönliche Freundschaft zu US-Präsident Joe Biden. Beide sind sich völlig einig, alles für die Ukraine zu tun, was notwendig ist. Aber
sie stimmen auch darin überein, die Risiken zu begrenzen und eine Eskalation zu vermeiden. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dieses feste Bündnis zeigt mir die gewaltige Veränderung, die Deutschland durchgemacht hat. Es gibt wenige Länder, auf die sich die Vereinigten Staaten so verlassen können. Es ist für mich eine Ehre, die USA in Deutschland zu vertreten.
Hierzulande besteht die Befürchtung, dass die Vereinigten Staaten nicht mehr die Verteidigung Europas wie in der Vergangenheit übernehmen. Teilen Sie die?
GUTMANN Europa muss seine Verteidigung stärken. Aber das geht nur zusammen mit den USA. Nie zuvor war die militärische und politische Kooperation so wichtig wie heute.
Ohne Deutschland könnten die USA der Ukraine nicht helfen. Und umgekehrt auch nicht.
Frankreich und Großbritannien wollen den Einsatz von Nato-Truppen in der Ukraine nicht ausschließen. Ist das strategisch klug? GUTMANN Ich unterstütze in dieser Frage US-Präsident Biden und Kanzler Scholz. Die Nato hilft der Ukraine, ist aber selbst nicht Kriegspartei. Das wäre nach meinem Erachten unverantwortlich.
Muss man gegenüber dem Kremlchef Putin nicht alle Optionen offenhalten?
GUTMANN Wir würden damit Putins Spiel mitmachen. Er behauptet, die Nato und Russland befänden sich in einem Krieg. Das ist aber nicht der Fall. Das ist Putins Propagandakrieg gegen uns. Umgekehrt gilt: Nato-Bodentruppen in der Ukraine könnten zum Dritten Weltkrieg führen. Übrigens sieht das China genauso. Peking achtet sehr genau darauf, was wir tun. Das dürfen wir nicht vergessen.
Sie haben das demokratische Deutschland gelobt. Besorgt es Sie nicht, dass eine Rechtsaußen-Partei wie die AfD 16 bis 18 Prozent in Umfragen bekommt?
GUTMANNIch sehe immer davon ab, über einzelne Parteien zu sprechen. Ich fand es ermutigend, dass Millionen von Deutschen auf die Straße gegangen sind, um für die Demokratie zu demonstrieren. Meine Initiative „Stand Up. Speak Out.“versteht sich als Teil dieser Bewegung.
Haben Sie keine Angst, dass der Ungeist der Vergangenheit in Deutschland wiederkehrt?
GUTMANN Es gibt in Deutschland und in anderen westlichen Ländern eine Welle des Antisemitismus, aber auch der Ausgrenzung gegen Migranten oder gegen Menschen, die nicht heterosexuell sind. Das ist furchtbar. Dagegen müssen wir kämpfen.
Wie?
GUTMANN Rechtsstaat, Freiheit und Demokratie sind nicht selbstverständlich. Junge Menschen können viel durch den Austausch miteinander lernen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wir beginnen im Sommer eine neue Initiative, die „Germany4U“heißt. Wir bringen junge Leute aus den USA nach Deutschland, genauso wie wir bereits junge Menschen aus Deutschland in die USA gebracht haben. Und diese jungen Leute kommen nicht von Hochschulen oder Gymnasien, sondern aus der beruflichen Ausbildung. Ich glaube, das ist sehr wichtig.
Würde ein Sieg Donald Trumps die Demokratie in den USA gefährden? GUTMANN Hier äußere ich mich auch nicht zu Kandidaten. Die US-Demokratie ist derzeit herausgefordert wie nie. Aber es gibt starke Gegenkräfte. Und deshalb bin ich optimistisch – für die Vereinigten Staaten wie für Deutschland.
Sie sind die erste weibliche US-Botschafterin in Berlin. Wann wird die erste Frau US-Präsidentin? GUTMANN So bald wie möglich.