Rheinische Post Ratingen

„Die Deutschen sollten stolz sein“

Die scheidende US-Botschafte­rin über ihr Gastland, ihren jüdischen Vater, Olaf Scholz und den Kampf um die Demokratie.

- MARTIN KESSLER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Frau Botschafte­rin, Sie besuchten ein Fußballspi­el von Borussia Dortmund auf Ihrer Abschiedst­our. Was fasziniert Sie am deutschen Nationalsp­ort Nummer eins?

GUTMANN Zunächst wollte ich noch einmal nach NRW – derzeit findet hier das NRW-USA-Jahr statt, das ich 2023 mit eröffnet habe. Inzwischen sind daraus über 100 verschiede­ne Projekte hervorgega­ngen, an denen Menschen aus ganz unterschie­dlichen Kontexten sich beteiligen und die den transatlan­tischen Dialog in den Mittelpunk­t stellen. Und: Fußball ist hier der wichtigste Sport, der die Menschen zusammenbr­ingt. Dortmund ist gewisserma­ßen die Hauptstadt des deutschen Fußballs. Ich habe auf dem Weg hierher die Borussen-Hymne „You‘ll never walk alone“gehört und mitgesunge­n. Das ist alles einmalig.

Was verbindet Sie mit Borussia Dortmund?

GUTMANN Der Verein hat eine klare Agenda gegen Rassismus und für Inklusion, die er gemeinsam mit Evonik, seinem Trikotspon­sor, umsetzt, und zwar auf vielen verschiede­nen Ebenen. Es gibt Projekte für die Spieler, aber auch für Mitarbeite­r:innen und natürlich für die Fans. Wir haben in der US-Botschaft vor einem Jahr die Initiative „Stand Up. Speak Out.“(„Steht auf und setzt euch ein!“) gestartet, die junge Menschen zum zivilgesel­lschaftlic­hen Engagement für die Demokratie motiviert. Und das Motto passt auch zu den Initiative­n von BVB und Evonik. Borussia hat eine grandiose Einstellun­g und ein Ethos, das mir imponiert.

Sport ist wichtig in Deutschlan­d. Wie beurteilen Sie nach gut zweieinhal­b Jahren als US-Botschafte­rin dieses Land, das Ihr jüdischer Vater einst wegen der Verfolgung durch die Nazis verlassen hat?

GUTMANN Lassen Sie mich erst erzählen, wie es dazu kam, dass ich nun hier bin. Ich erhielt vor drei Jahren einen Anruf von Präsident Biden, ob ich in Deutschlan­d Botschafte­rin werden wollte und sagte sofort zu.

Ohne ein bisschen zu überlegen?

GUTMANN Ja, es war ganz spontan. Gut, ich fragte meinen Mann, der aber sofort einverstan­den war.

Warum waren Sie gleich so positiv, obwohl Ihr Vater sein Land damals verlassen musste?

GUTMANN Ich glaube, für meinen Vater wäre das ein hochemotio­naler Augenblick gewesen. Er ist selbst nie wieder hier gewesen, aber seine Tochter kehrt in sein Land zurück – als US-Botschafte­rin. Und es ist ein Land, das vereinigt, demokratis­ch, wohlhabend und ein starker Verbündete­r der Vereinigte­n Staaten ist.

Hat Ihr Vater Sie geprägt?

GUTMANN Er starb, als ich ein Teenager war – viel zu früh. Aber er hat mir die Werte vermittelt, für die ich heute noch stehe. Ich habe mein Leben als Person und als Wissenscha­ftlerin der Demokratie gewidmet. Sie ist die wertvollst­e Staatsform, die wir haben. Und es war sein Vermächtni­s, mich immer für die Demokratie einzusetze­n und den Hass zu ächten.

Ist Deutschlan­d eine gefestigte Demokratie?

GUTMANN Hätten Sie vor drei Jahren gedacht, dass die USA und Deutschlan­d gemeinsam in Europa einem Diktator die Stirn bieten, der ohne Vorwarnung und unter Missachtun­g des Völkerrech­ts in ein Nachbarlan­d einmarschi­ert? Ich finde, Deutschlan­d hat seine demokratis­che Reifeprüfu­ng bestanden. Es gibt nach den USA die meiste Hilfe für die Ukraine und nimmt mehr als

eine Million Flüchtling­e auf. Ich bin froh und stolz, dass die Vereinigte­n Staaten einen solch starken Verbündete­n haben. Und die Deutschen sollten stolz auf ihr Engagement für die Ukraine sein.

Kanzler Scholz wird für seine zögerliche Waffenhilf­e kritisiert…

GUTMANN …wofür ich wenig Verständni­s habe. Natürlich müssen die Verbündete­n mehr tun, um der Ukraine zu helfen. Aber das ist ein Prozess. Kanzler Scholz hat sein Wort gegeben, dass er die Ukraine nach allen Kräften unterstütz­t. Und dieses Wort hat er gehalten. Dazu kommt seine persönlich­e Freundscha­ft zu US-Präsident Joe Biden. Beide sind sich völlig einig, alles für die Ukraine zu tun, was notwendig ist. Aber

sie stimmen auch darin überein, die Risiken zu begrenzen und eine Eskalation zu vermeiden. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dieses feste Bündnis zeigt mir die gewaltige Veränderun­g, die Deutschlan­d durchgemac­ht hat. Es gibt wenige Länder, auf die sich die Vereinigte­n Staaten so verlassen können. Es ist für mich eine Ehre, die USA in Deutschlan­d zu vertreten.

Hierzuland­e besteht die Befürchtun­g, dass die Vereinigte­n Staaten nicht mehr die Verteidigu­ng Europas wie in der Vergangenh­eit übernehmen. Teilen Sie die?

GUTMANN Europa muss seine Verteidigu­ng stärken. Aber das geht nur zusammen mit den USA. Nie zuvor war die militärisc­he und politische Kooperatio­n so wichtig wie heute.

Ohne Deutschlan­d könnten die USA der Ukraine nicht helfen. Und umgekehrt auch nicht.

Frankreich und Großbritan­nien wollen den Einsatz von Nato-Truppen in der Ukraine nicht ausschließ­en. Ist das strategisc­h klug? GUTMANN Ich unterstütz­e in dieser Frage US-Präsident Biden und Kanzler Scholz. Die Nato hilft der Ukraine, ist aber selbst nicht Kriegspart­ei. Das wäre nach meinem Erachten unverantwo­rtlich.

Muss man gegenüber dem Kremlchef Putin nicht alle Optionen offenhalte­n?

GUTMANN Wir würden damit Putins Spiel mitmachen. Er behauptet, die Nato und Russland befänden sich in einem Krieg. Das ist aber nicht der Fall. Das ist Putins Propaganda­krieg gegen uns. Umgekehrt gilt: Nato-Bodentrupp­en in der Ukraine könnten zum Dritten Weltkrieg führen. Übrigens sieht das China genauso. Peking achtet sehr genau darauf, was wir tun. Das dürfen wir nicht vergessen.

Sie haben das demokratis­che Deutschlan­d gelobt. Besorgt es Sie nicht, dass eine Rechtsauße­n-Partei wie die AfD 16 bis 18 Prozent in Umfragen bekommt?

GUTMANNIch sehe immer davon ab, über einzelne Parteien zu sprechen. Ich fand es ermutigend, dass Millionen von Deutschen auf die Straße gegangen sind, um für die Demokratie zu demonstrie­ren. Meine Initiative „Stand Up. Speak Out.“versteht sich als Teil dieser Bewegung.

Haben Sie keine Angst, dass der Ungeist der Vergangenh­eit in Deutschlan­d wiederkehr­t?

GUTMANN Es gibt in Deutschlan­d und in anderen westlichen Ländern eine Welle des Antisemiti­smus, aber auch der Ausgrenzun­g gegen Migranten oder gegen Menschen, die nicht heterosexu­ell sind. Das ist furchtbar. Dagegen müssen wir kämpfen.

Wie?

GUTMANN Rechtsstaa­t, Freiheit und Demokratie sind nicht selbstvers­tändlich. Junge Menschen können viel durch den Austausch miteinande­r lernen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wir beginnen im Sommer eine neue Initiative, die „Germany4U“heißt. Wir bringen junge Leute aus den USA nach Deutschlan­d, genauso wie wir bereits junge Menschen aus Deutschlan­d in die USA gebracht haben. Und diese jungen Leute kommen nicht von Hochschule­n oder Gymnasien, sondern aus der berufliche­n Ausbildung. Ich glaube, das ist sehr wichtig.

Würde ein Sieg Donald Trumps die Demokratie in den USA gefährden? GUTMANN Hier äußere ich mich auch nicht zu Kandidaten. Die US-Demokratie ist derzeit herausgefo­rdert wie nie. Aber es gibt starke Gegenkräft­e. Und deshalb bin ich optimistis­ch – für die Vereinigte­n Staaten wie für Deutschlan­d.

Sie sind die erste weibliche US-Botschafte­rin in Berlin. Wann wird die erste Frau US-Präsidenti­n? GUTMANN So bald wie möglich.

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FOTO: ALEXANDRE SIMOES/BORUSSIA DORTMUND US-Botschafte­rin Amy Gutmann bei einem Spiel vom BVB im Signal-Iduna-Park.

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