„Reaktor bleibt 70 Jahre in Jülich“
Im Forschungszentrum zieht ein 2000 Tonnen schwerer Atomreaktor um
JÜLICH Dieter Rittscher kennt sich aus. Der 69-Jährige hat die russische Atom-U-Boot-Flotte zerlegt und die Castor-Behälter konstruiert, in denen die deutsche Atomwirtschaft ihre radioaktiven Abfälle transportiert. „Auf Null werden wir hier in Jülich nicht kommen“, sagt er, „das gibt es nirgendwo.“
Mit „Null“meint er die radioaktive Restbelastung auf dem Gelände des Atomreaktors in Jülich. Hier studierten die Wissenschaftler von 1966 bis 1988 eine umstrittene Sonderform der Atomenergiegewinnung, die sich aber nie durchgesetzt hat. Was blieb, ist der hoch radioaktiv belastete Reaktor, aus dem 1978 tonnenweise verseuchtes Wasser ins Erdreich sickerte. Seit Montag wird dieser 2000 Tonnen schwere und 26 Meter hohe Reaktor abgebaut und in ein Zwischenlager auf dem Gelände der „Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor“(AVR) in Jülich gebracht. Danach soll der Bo- den saniert werden. Rittscher ist der technische Geschäftsführer der AVR. „In dem Zwischenlager wird der Reaktor mindestens die nächsten 70 Jahre bleiben“, sagte er gestern.
Die Arbeiten in Jülich werden weltweit beobachtet. Ein Reaktor dieses Typs wurde noch nie demontiert. Schon der Transport des 2000 Tonnen schweren und radioaktiven Kolosses gilt als technische Meister- leistung. Die Hoffnungen der Anwohner auf einen zügigen Weitertransport in das zentrale Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle in Salzgitter machte Rittscher zunichte. Der Reaktor aus Jülich würde dort 70 Prozent der Kapazitäten belegen. Deshalb müsse die AVR auf ein Endlager mit größeren Kapazitäten warten.
Nach Angaben der AVR geht von dem zwischengelagerten Reaktor eine „äußerst geringe Gefahr“aus. Die Reaktorhülle sei mit einem Spezialbeton verfüllt worden, um die losen Teile im Inneren zu stabilisieren und die Freisetzung radioaktiver Stoffe im Schadensfall zu reduzieren. Mit einer Geschwindigkeit von einem Meter pro Stunde transportiert ein Vielachs-Fahrzeug den Reaktor derzeit in eine neue Halle auf dem Gelände des Forschungszentrums. Für Atomkraft-Gegner wie den grünen Fraktionschef im NRWLandtag, Reiner Priggen, ist der aufwändige Rückbau „ein Beleg für die Absurdität von Atomenergie“.