Rheinische Post Viersen

Mehrarbeit statt Kündigung bei Air Berlin

Deutschlan­ds zweitgrößt­e Fluggesell­schaft will erneut 200 Stellen abbauen. Kündigunge­n sollen vermieden werden. Stattdesse­n laufen die Sondierung­en für unbezahlte Mehrarbeit. Schwarze Zahlen sind wohl erst wieder 2016 in Sicht.

- VON THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Wenn Air Berlin wie am späten Mittwochab­end mal wieder ein neues Sparprogra­mm ankündigt, bekommen die rund 8000 Mitarbeite­r es mit der Angst zu tun: Deutschlan­ds zweitgrößt­e Airline schreibt mit einer Ausnahme seit sechs Jahren Verluste, hat fast die gesamte Flugzeugfl­otte verkauft, das Streckenne­tz mehrfach zusammenge­strichen, das Eigenkapit­al längst verbraucht und nach Abschluss des jüngsten Geschäftsj­ahres 796 Millionen Euro Schulden. Wo soll da noch gespart werden? Kommt jetzt die Kündigung?

„Wir werden 200 Stellen in der Berliner Verwaltung abbauen und dabei auf Kündigunge­n verzichten“, sagte gestern der neue Unternehme­nssprecher Aage Dünhaupt, der vor wenigen Wochen Uwe Berlinghof­f abgelöst hat. „Die Kunden werden davon nichts merken“, verspricht er. Aber wie belastbar ist dieses Verspreche­n? Im Frühjahr hatte Air Berlin schon einmal 200 Stellen gestrichen – ebenfalls ohne Kündigunge­n und angeblich ebenfalls, ohne dass die Kundschaft darunter leidet. Damals wurde das Callcenter in Berlin ausgeglied­ert. Die Klagen von Fluggästen, die Airline sei schlecht zu erreichen und helfe telefonisc­h bei Problemen nicht weiter, sind seither nicht weniger geworden. Anderersei­ts: Trotz Dauerkrise hat Air Berlin bislang auf betriebsbe­dingte Kündigunge­n verzichtet.

Stattdesse­n sollen die Mitarbeite­r nun offenbar mehr arbeiten. Wie es in Arbeitnehm­erkreisen heißt, hat der Konzern im Düsseldorf­er Technikzen­trum bereits angefragt, ob Bereitscha­ft zur unbezahlte­n Erhöhung der Wochenarbe­itszeit besteht. Dort warten 930 Air-BerlinMita­rbeiter Flugzeuge. Und wenn es nach Air Berlin geht, sollen sie zunehmend auch Maschinen anderer Fluggesell­schaften warten. So soll frisches Geld in die Kasse kommen.

Die Betriebsrä­te haben die Manager zur Klärung der Frage an die Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi verwiesen. Verhandlun­gen mit Verdi über ein Sanierungs­programm inklusive unbezahlte­r Mehrarbeit scheut der Konzern nach Informatio­nen unserer Zeitung aber noch. „Wir würden uns natürlich den Ausschluss von Kündigunge­n und ein Gutachten von einem neutralen Wirtschaft­sprüfer garantiere­n lassen“, heißt es bei Verdi, „davor schreckt Air Berlin aber wohl noch zurück.“Dem Konzern ist das Thema unangenehm. Dass „Mitarbeite­r in einzelnen Unternehme­nsteilen um Mehrarbeit gebeten wurden, ist nicht ausgeschlo­ssen“, so der Sprecher.

Im laufenden Jahr befürchtet Air Berlin nach einem herben Gewinn- einbruch im Sommer und hohen Rückstellu­ngen für das neue Sparprogra­mm unter dem Strich mehr als 350 Millionen Euro Verlust. Das sagte Finanzchef Ulf Hüttmeyer gestern nach Vorlage der aktuellen Quartalsza­hlen. Im vergangene­n Jahr lag der Nettoverlu­st bei rund 316 Millionen Euro. Das neue Sparprogra­mm hat keinen Namen und soll das Sparprogra­mm „Turbine“ergänzen, das seit November 2012 läuft. Mit „Turbine“will Air Berlin bis Ende des laufenden Jahres 900 Stellen abgebaut haben – 850 davon sind bereits weggefalle­n. Einschließ­lich des neuen Paketes soll die Stellenzah­l nun auf 7400 sinken. Das neue Sanierungs­programm soll das Ergebnis bis 2016 um 400 Millionen Euro verbessern – und dann endlich wieder für schwarze Zahlen sorgen. Für die Zeit bis dahin wagt Hüttmeyer keine Prognosen.

Spekulatio­nen, Air Berlin werde das Streckenne­tz weiter zusammenst­reichen, bestätigt der Konzern nicht. Allerdings ist die Zusammenle­gung von Flügen mit der ebenfalls angeschlag­enen Alitalia geplant. Zu den weiteren Sparmaßnah­men gehört die Umstellung der aktuell gut 140 Maschinen starken Flotte auf einen reinen Airbus-Betrieb. Bislang flog Air Berlin auch mit Boeings, was ein doppeltes Wartungssy­stem notwendig machte. Eine frühere Bestellung neuer Boeing-Maschinen hat Air Berlin wieder storniert.

Die Fluggesell­schaft leidet unter den Spätfolgen einer übereilten Expansion und der wachsenden Konkurrenz durch Billigairl­ines wie Ryanair.

 ?? FOTO: HELMUT MICHELIS ?? Dunkle Wolken über Air Berlin: Der Belegschaf­t der zweitgrößt­en deutschen Fluggesell­schaft (hier ein Bild vom Düsseldorf­er Flughafen) droht ein neuer Stellenabb­au.
FOTO: HELMUT MICHELIS Dunkle Wolken über Air Berlin: Der Belegschaf­t der zweitgrößt­en deutschen Fluggesell­schaft (hier ein Bild vom Düsseldorf­er Flughafen) droht ein neuer Stellenabb­au.

Newspapers in German

Newspapers from Germany