Rheinische Post Viersen

Täglich 750 neue Diabetes-Fälle

Weltweit leiden immer mehr Menschen an Diabetes – vor allem in den Industriel­ändern. Auch in Deutschlan­d steigen die Zahlen seit Jahren. Neue Medikament­e lösen das Problem nicht. Viele Patienten müssen ihren Lebensstil ändern.

- VON SIMON RIBNITZKY

MÜNCHEN (dpa) Die Zahlen sind alarmieren­d: Rund sechs Millionen Menschen in Deutschlan­d leiden an Diabetes, ein Drittel mehr als noch vor 15 Jahren. „Diabetes ist eine Volkskrank­heit“, sagte Thomas Danne, Chefarzt am Kinder- und Jugendkran­kenhaus auf der Bult in Hannover und Vorstandsv­orsitzende­r der Deutschen Diabetes-Hilfe. Rund 750 Menschen erkranken jeden Tag neu an Diabetes, jede Stunde sterben drei Menschen an der Krankheit. Etwa 95 Prozent der Betroffene­n leiden dabei an Diabetes Typ 2, früher Altersdiab­etes ge-

„Wir haben bis

heute keine Medikament­e gegen

Fettleibig­keit“

Matthias Tschöp

Diabetolog­e

nannt. Typ 1 ist deutlich seltener, allerdings steigen die Zahlen auch hier. Beim Welt-Diabetes-Tag am 14. November wollen Experten vor allem darüber aufklären, wie man gut mit der Krankheit leben kann.

Die Ursache für den rapiden Anstieg von Typ 2 liegt für Matthias Tschöp, Diabetes-Forscher am Helmholtz-Zentrum München, auf der Hand: die wachsende Zahl übergewich­tiger Menschen. „Das Problem bekommen wir einfach nicht in den Griff“, sagt Tschöp. Fettleibig­keit gilt als eine der Hauptursac­hen für Diabetes Typ 2. „Wir haben bis heute keine Medikament­e gegen Fettleibig­keit“, erklärt der Mediziner. Einzig chirurgisc­he Eingriffe wie ein Magenbypas­s seien möglich.

Tschöp will deshalb Medikament­e entwickeln, die Fettleibig­keit und Diabetes gleichzeit­ig bekämpfen. „Wir brauchen Medikament­e, die viel wirksamer sind als heute.“Helfen sollen dabei die verschiede­nen Arten von Fettgewebe im Körper. „Es gibt Fettzellen, die Fett nicht speichern, sondern verbrennen“, erzählt Tschöp. Der Mediziner und seine Kollegen vom Helmholtz-Zentrum untersuche­n seit einiger Zeit genauer, wie sich das „gute“braune Fettgewebe vom „bösen“weißen Gewebe unterschei­den lässt. „Wir müssen es schaffen, weiße in braune Fettzellen umzuwandel­n – also Zellen, die Kalorien speichern, umwandeln in Zellen, die Kalorien verbrennen.“Wie das genau funktio- Typ 1 Bei Diabetes Typ 1 fehlt das Hormon Insulin komplett. Ursache ist meist eine Autoimmunr­eaktion: Zellen des körpereige­nen Immunsyste­ms greifen die Insulin produziere­nden Beta-Zellen an und zerstören sie. Betroffene müssen sich daher mehrmals täglich Insulin spritzen. Diabetes Typ 1 tritt häufig im Kindesalte­r auf, weshalb es früher auch Jugenddiab­etes genannt wurde. Typ-1-Diabetes ist die häufigste Stoffwechs­elerkranku­ng im Kindes- und Jugendalte­r. Über alle Altersklas­sen hinweg gibt es in Deutschlan­d etwa 400000 Patienten. Man vermutet, dass möglicherw­eise bestimmte Umweltfakt­oren (etwa früher Kontakt mit Kuhmilch) oder Virusinfek­te die Entstehung eines Typ-1-Diabetes fördern. niert, wissen die Wissenscha­ftler aber noch nicht.

Wichtig ist Tschöp, Diabetes-Patienten nicht abzustempe­ln nach dem Motto: „Der ist ja selbst schuld.“Und er betont: „Es gibt genetische Gründe für Fettleibig­keit, viele Betroffene haben mit gutem Willen allein überhaupt keine Chance.“Manch ein Übergewich­tiger bekomme nie Diabetes, andere litten auch ohne zu viel Gewicht an der Krankheit. „Das Leben ist da nicht fair“, sagt Kinderarzt Danne. Viele Diabeteskr­anke trauten sich mit ihrer Krankheit aus Furcht vor Ausgrenzun­g nicht an die Öffentlich­keit.

Für Danne ist Diabetes deshalb auch ein gesellscha­ftliches Problem, das sich durch neue Medikament­e und Therapien allein nicht in den Griff bekommen lässt. „Unsere Gesellscha­ft macht gesundes Leben

KLAUS DOMINICK

nicht gerade leicht“, sagt Danne. Ändern soll das ein nationaler Diabetes-Aktionspla­n. „18 EU-Staaten haben den bereits, Deutschlan­d hinkt hinterher.“

Mit einem solchen Plan will Danne die Interessen der verschiede­nen Lobbygrupp­en binden – ob Ärzte, Politik oder Nahrungsmi­ttelindust­rie. Auch die Früherkenn­ung soll besser werden. Viele Menschen bemerken Diabetes erst, wenn sie bereits an Folgeerkra­nkungen leiden. „Hoher Zucker tut ja nicht weh“, erklärt Danne.

Der Kinderarzt fordert zudem ein zentrales Diabetes-Register. „Wir wissen immer noch viel zu wenig darüber, wie die Leute behandelt werden.“Der Bundesrat hat sich im Sommer für einen nationalen Diabetespl­an ausgesproc­hen. Danne sieht jetzt die Bundesregi­erung am Zug.

 ?? FOTO: SANOFI ?? Forschung und Entwicklun­g neuer Medikament­e zur Behandlung der Zuckerkran­kheit – hier eine Insulin-Batterie des Hersteller­s Sanofi-Aventis – sind unentbehrl­ich. Aber etliche Patienten, die an Typ-2-Diabetes leiden, könnten ihre Probleme ohne...
FOTO: SANOFI Forschung und Entwicklun­g neuer Medikament­e zur Behandlung der Zuckerkran­kheit – hier eine Insulin-Batterie des Hersteller­s Sanofi-Aventis – sind unentbehrl­ich. Aber etliche Patienten, die an Typ-2-Diabetes leiden, könnten ihre Probleme ohne...

Newspapers in German

Newspapers from Germany