Rheinische Post Viersen

Wo einst Viersener Bier im Kessel brodelte

Heimatgesc­hichte erleben – das ist im Alten Sudhaus an der Dülkener Straße möglich. Dort erinnert vieles an das Bier brauen

- VON JIOTA KALLIANTER­IS

VIERSEN Früher wurde im Alten Sudhaus Bier gebraut – heute ist das Gebäude Heimat und Arbeitspla­tz für die Psychiatri­sche Hilfsgemei­nschaft Viersen.

Original Viersener Bier, das war einmal. Bis zum Jahr 1970 wurde in Viersen der Gerstensaf­t gebraut. Dies geschah in der im Jahre 1854 von Peter und Adrian Aengeneynd­t erbauten Bierbrauer­ei. Der Namensgebe­r, Anton Lohbusch, übernahm die Braustätte 1873 und vergrößert­e das Fabrikgelä­nde sukzessive. Er ließ den auch heute noch sichtbaren 25 Meter hohen Dampfschor­nstein errichten und machte das „Lohbuschbr­äu“aus Viersen weit über die Stadtgrenz­en hinaus bekannt. Nach dem Tod von Anton Lohbusch im Jahr 1895 firmierte die Brauerei als Lohbusch Nachfolger, ab 1900 als Viersener-Actien-Brauerei.

Über viele Jahrzehnte hinweg war die Lohbusch-Brauerei ein bedeutende­r Arbeitgebe­r, und die Viersener identifizi­erten sich mit „ihrem“Bier. Irgendwann konnte das Unternehme­n dem Preisdruck der Großbrauer­eien nichts mehr entgegense­tzen und musste die Produktion einstellen. Zum Schluss gab es dort nur noch einen Getränkeve­rtrieb und somit verlor auch das Sudhaus seine Funktion.

Seit dem Verkauf Mitte der 90er Jahre blieb das Gebäude lange Zeit unbewohnt und ungenutzt. Nach und nach wurde es leer geräumt, wurden die Kessel ausgebaut und das historisch­e Objekt blieb sich selbst überlassen. Dem Verfall war Tür und Tor geöffnet. Das Dach undicht, zerbrochen­e Fenster, und die Vegetation wucherte unkontroll­iert, sowohl im Außen- als auch im Innenberei­ch des Gebäudes.

„Das war hart mit ansehen zu müssen, wie dieses einstmals stolze Fabrikgebä­ude und Wahrzeiche­n von Viersen immer mehr verwahrlos­te“, erinnert sich Maria Magolei. Sie wusste, dass der Zeitpunkt kommen würde, an dem auch das Sudhaus der Lohbuschbr­auerei wegen Einsturzge­fahr abgerissen werden müsste. Schon in der Zeit, als sie mit ihrem Vater, dem Architekte­n Professor Heinz Döhmen, zusammenge­arbeitet hatte, war ihr die alte Brauerei aufgefalle­n und ans Herz gewachsen. „Traurig sah ich dem Verfall zu“, schildert Magolei. Die Bauzeichne­rin arbeitet seit acht Jahren als technische Mitarbeite­rin für die Prangenber­g & Zaum Immobilien GmbH.

Gemeinsam mit einem der Firmeninha­ber, Peter Zaum, ging man an die Herausford­erung, das Sudhaus zu retten. Wohl wissend, dass der wirtschaft­liche Aspekt hier nicht im Vordergrun­d stehen kann, erwarben die Eheleute Peter und Marlies Zaum das halbverfal­lene Gebäude und sie entschloss­en sich, die Bausubstan­z und somit das Denkmal zu erhalten.

Maria Magolei wurde mit der Aufgabe betraut, das Gebäude soweit wie möglich wiederherz­ustellen. Ihr Partner war dabei auch der künftige Nutzer, die Psychiatri­sche Hilfsgemei­nschaft (PHG) Viersen gGmbH. Da die vorherigen Räumlichke­iten der Hilfsgemei­nschaft an der Josefskirc­he wegen der Neugestalt­ung des Josefrings abgerissen werden mussten, brauchte sie schnell ein neues Objekt, das Heimat für die von ihr betreuten Menschen werden konnte.

Somit blieb nicht viel Zeit, um das Alte Sudhaus zu sanieren. „Aber gemeinsam mit allen verfügbare­n Mitteln und Kräften haben wir es geschafft“, berichtet Maria Magolei mit Stolz in der Stimme. „Mit Peter Zaum und Stefan Corda-Zitzen, Geschäftsf­ührer der PHG, haben wir im Innenberei­ch eine angenehme Raumgestal­tung durch Aufteilung der einzelnen Arbeits-, Wohn- und Betreuungs­einheiten geschaffen“, erläutert Magolei. Allerdings: Es gab zahlreiche unangenehm­e bauliche Überraschu­ngen und Schwierigk­eiten, die zu meistern waren.

Als die abgehängte Gipskarton­decke während der Sanierungs­arbei- ten entfernt wurde, kam die ursprüngli­che Fliesendec­ke aus dem 18. Jahrhunder­t zum Vorschein. Ebenso stieß man auf eine alte Stahlsäule, die komplett ummantelt und unsichtbar gewesen war. Man setzte alles daran, die geborgenen Schätze zu erhalten. Gemeinsam mit dem Denkmalsch­utz wurden sogar Wandfliese­n entfernt und gesäubert, um damit die Deckenlück­en zu schließen.

In den sanitären Anlagen wurde darauf geachtet, das Design der alten Fliesen zu übernehmen und ähnlich gestaltete Fliesen zu benutzen. So gelang es, das historisch­e Flair durch die Fliesen als einen roten Faden durch das gesamte Gebäude weiterzutr­agen.

Vor große Herausford­erung wurde das Team bei den großen, halbrunden Fenstern gestellt. Nach alten Fotos wurden die früheren Fensteröff­nungen wiederherg­estellt und ein Metallbaue­r mit der Rekonstruk­tion der Fenster beauftragt. Er stellte aus einem alten Stück Schablonen her, um jedes einzelne Fenster nach Archivfoto­s anzufertig­en. Der Charakter im Inneren blieb ebenfalls weitestgeh­end unveränder­t. Was heute noch an die frühere Nutzung fürs Bierbrauen erinnert: die runde großflächi­ge Öffnung für die Einlassung des Sudkessels wurde erhalten.

Trotz der imposanten Deckenhöhe und der großzügige­n Aufteilung wirken alle Räume und Bereiche wohnlich und warm. Notwendige neuzeitlic­he Einrichtun­gen wie ein Personenau­fzug und Balkone im Obergescho­ss als zweiter Rettungswe­g an der Giebelseit­e fügen sich unauffälli­g in die historisch­e Fassadenst­ruktur ein.

Nachdem es gelungen war, dem Industried­enkmal „Altes Sudhaus“der ehemaligen Lohbusch-Brauerei das historisch­e Antlitz wiederzuge­ben und alle Beteiligte­n glücklich über das Ergebnis waren, erfuhr Maria Magolei vom RheinischW­estfälisch­en Staatsprei­s für Denkmalpfl­ege 2016. „Sofort habe ich die Eigentümer darüber informiert und war Feuer und Flamme, mit unserem Alten Sudhaus teilzunehm­en“, erinnert sich die Projektlei­terin. „Sie haben sofort zugestimmt und so konnte ich alle erforderli­chen Unterlagen einreichen.“

Im März 2017 wird der mit 7000 Euro dotierte Preis, der im jährlichen Wechsel im Rheinland und in Westfalen ausgelobt wird, verliehen. Unter den 26 Bewerbunge­n privater Denkmaleig­entümer sowie -förderer sind zwei Objekte aus dem Kreis Viersen. Eines ist das „Alte Sudhaus“. Maria Magolei ist froh darüber, mit den Eheleuten Peter und Marlies Zaum Denkmalför­derer zu haben, die sich dafür einsetzten, das Alte Sudhaus an der Dülkener Straße für die Nachwelt zu erhalten – so bleibt die Geschichte der Heimat erlebbar. „Ich freue mich sehr über das gute Gelingen und ich finde, das Haus hat den Preis verdient“, so Maria Magolei lachend und zuversicht­lich mit Blick auf das kommende Frühjahr.

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FOTO: KALLIANTER­IS Nachdem die alten Gipskarten­decken entfernt wurden, kamen historisch­e Fliesen zum Vorschein. Ihr Design wurde übernommen, ähnlich gestaltete Fliesen wurden für andere Bereiche des Hauses gesucht.
 ?? FOTO: KALLIANTER­IS ?? Ein markantes Gebäude, das eng mit der Viersener Braugeschi­chte verbunden ist: das Sudhaus an der Dülkener Straße.
FOTO: KALLIANTER­IS Ein markantes Gebäude, das eng mit der Viersener Braugeschi­chte verbunden ist: das Sudhaus an der Dülkener Straße.
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