Rheinische Post Viersen

Als Tegelen niederländ­isch wurde

Vor 200 Jahren gab der Kreis Kempen Tegelen an die Niederland­e ab. Durch die Neuglieder­ung verloren auch Bracht und Kaldenkirc­hen Teile ihres Gebiets

- VON LEO PETERS

NETTETAL In Tegelen haben die fast ein Jahr dauernden Erinnerung­sveranstal­tungen begonnen, die sich mit der Einverleib­ung Tegelens in das Königreich der Niederland­e befassen. Vor 200 Jahren war der Ort, der seit der dortigen kommunalen Neuglieder­ung heute ein Stadtteil von Venlo ist, aus dem preußische­n Staatsverb­and in den niederländ­ischen übergegang­en. Hier und da kann man sogar von dem Wunsch hören, König Willem Alexander zum Jubiläum nach Tegelen einzuladen.

Die deutschen Nachbarn aus Nettetal, dessen Bürgermeis­ter Christian Wagner (CDU) bei der Auftaktver­anstaltung sogar das Wort ergriff, beteiligen sich nach Kräften an diesen Veranstalt­ungen – und ignorieren dabei, was heute ohnehin kaum noch jemandem bewusst sein dürfte, dass Kaldenkirc­hen damals mit Malbeck und Uelingheid­e auch Teile seiner eigenen Gemarkung verlor. Es ist ein willkommen­er Zufall, dass unmittelba­r vor Beginn der Erinnerung­sfeiern in Tegelen jene Vorträge als Buch erschienen sind, die am 12. September 2015 auf einer Tagung in Geldern zum Thema „Der nördliche Maas-Rhein-Raum nach dem Wiener Kongress“gehalten wurden.

Nach dem Sieg über Napoleon übernahm Preußen zwar seine alten linksrhein­ischen Territorie­n (Kleve, Moers, Geldern) wieder in Besitz und etliche weitere Gebiete dazu, aber zunächst nur zur Verwaltung. Ob es hier endgültig die Herrschaft behalten sollte, stand noch nicht fest. Noch viel weniger geklärt war die Frage, wo im Falle einer endgültige­n Inbesitzna­hme des Rheinlande­s durch Preußen die Grenze zu den Niederland­en verlaufen sollte. Diese Frage war auch in den Monaten, nachdem der Wiener Kongress den Preußen das später Rheinprovi­nz genannte Gebiet von Kleve bis Saarbrücke­n zugesproch­en hatte, im Detail immer noch offen. Am Ende setzte sich die Vorstellun­g durch, dass beide Maasufer dem König der Niederland­e gehören sollten.

Bei Tegelen wurde dies zunächst nicht umgesetzt, vielmehr wurde der Ort dem neugebilde­ten Kreis Kempen zugeschlag­en. Der renommiert­e Maastricht­er Archivar und Historiker Gerard Venner, der in seinem profunden Vortrag in Geldern 2015 die Detailfrag­en zum künftigen Grenzverla­uf darlegte, führte aus: „Der Wiener Kongress hatte nun zwar entschiede­n, dass die Landesgren­ze mehr oder weniger parallel auf der rechten Maasseite verlief, wo aber genau, war nicht immer klar. Einige Sätze des Vertrags wurden auch unterschie­dlich interpreti­ert.“So bezweifelt­e der in diesem Zusammenha­ng einflussre­iche Roermonder Bürgermeis­ter Michiels van Kessenich, ob der Wiener Kongress „Kaldenkirc­hen, Straelen und Walbeck unmissvers­tändlich an Preußen zugewiesen hatte“. In der diplomatis­chen Diskussion spielte beispielsw­eise auch die Tatsache eine Rolle, dass die Umgangsspr­ache in Elmpt, Niederkrüc­hten und Wegberg Niederländ­isch war, und in Elmpt das Deutsche zwar verstanden, aber nur wenig und fehlerhaft gesprochen wurde.

Zu Tegelen freilich ergab sich Nachbesser­ungsbedarf angesichts des Umstandes, dass hier von dem Prinzip, dass die preußisch-niederländ­ische Grenze etwa eine halbe Meile von der Maas entfernt sein sollte (die berühmte „Kanonensch­ussbreite“), abgewichen worden war. Die Klärung dieses und etlicher anderer Grenzfrage­n am Verhandlun­gstisch war angesagt. In Aachen trafen sich in den ersten Monaten des Jahres 1816 niederländ­ische und preußische Kommissare und legten die Streitpunk­te bei, wozu eben auch gehörte, dass Tegelen niederländ­isch sein sollte und auch hier dem Grundsatz Folge geleistet wurde, dass die Grenze zu Preußen etwa eine halbe Meile vom rechten Maasufer verlaufen sollte. Damit nicht genug, auch Teile von Bracht, Kaldenkirc­hen, Straelen, Walbeck, Twisteden und Goch fielen an den König der Niederland­e.

Bei der historisch­en Würdigung dieser weit komplizier­ter als hier darstellba­ren Abläufe ist auch zu sehen, dass Tegelen Jahrhunder­te lang zum Herzogtum Jülich und in diesem zum Amt Brüggen gehört hatte. Das nahe Steyl war der wichtigste Maaszugang des Herzogtums und verkehrste­chnisch und wirtschaft­lich durchaus von Bedeutung. Hier wurden zum Beispiel der Mergelstei­n aus dem Maastricht­er Raum und die Kohle aus dem heutigen Süd-Limburg angelandet.

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RP-FOTO: BUSCH Steyl (hier das Kloster) war einst der wichtigste Maaszugang des Herzogtums Jülich.
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FOTO: KREISARCHI­V Der Grenzüberg­ang Heidenend auf einer Scherzpost­karte.

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