Rheinische Post Viersen

Für Blinde mit Borussia auf Ballhöhe

Thomas Hörkens und Sidney Rahmel kommentier­en für sehbehinde­rte Menschen. Deren Dank ist ihre Motivation.

- VON GEORG AMEND

Es läuft die erste Halbzeit im Rückspiel des Europa-League-Achtelfina­les zwischen Borussia und Schalke 04, als Thomas Hörkens einen Satz sagt, der später ein ganz anderes Gewicht haben wird: „Da verspringt der Ball auf so einem komischen Huggel – ein Maulwurf kann’s nicht sein, dafür war er zu klein“, spricht der 51-Jährige ins Mikrofon. Ein eben solcher Huggel war in Hälfte zwei entscheide­nder als der in dieser Szene gemeinte – der Schuss des Schalkers Leon Goretzka sprang wegen eines Platzfehle­rs so unglücklic­h ab, dass Borussias Torwart Yann Sommer ihn zum 1:2 passieren lassen musste. Das war der Anfang des Ausscheide­ns aus dem Wettbewerb, den Nabil Bentalebs 2:2 per Elfmeter besiegelte.

Doch warum hatte Hörkens den ersten Huggel bei einem eher unwichtige­n Mittelfeld­duell überhaupt erwähnt? Hellseheri­sche Fähigkeite­n sind es nicht, vielmehr ist er einer von zwei Kommentato­ren für Sehbehinde­rte. In Block 24 kommen davon rund 20 zu den Heimspiele­n im Borussia-Park zusammen, Hörkens und Sidney Rahmel berichten ihnen nahezu in Echtzeit, was sie nicht oder nur sehr eingeschrä­nkt sehen können. Ein Service, der allen sehbehinde­rten Fans zuteil werden kann, sofern die technische­n Kapazitäte­n reichen.

Hörkens hat die Idee dazu in der Jahreshaup­tversammlu­ng 2002/03 bei Borussia eingebrach­t, mit dem Umzug in den Borussia-Park 2004 führte den Klub den Kommentar ein, Hörkens ist seitdem dabei. „Ich bin vom Sehbehinde­rten-Verein Gladbach angesproch­en worden“, erinnert sich der 51-Jährige, dessen Frau Susanne selbst „fast blind“ist, wie er berichtet. „Ich hatte keine Ausbildung zum Kommentato­r und keine Ahnung, ob ich das kann – daraus sind jetzt 13 Jahre geworden.“Borussia-Fan ist er noch weit länger: „Seit ich acht bin. Das hier ist meine Heimat. Welchen geileren Verein könnte es geben?“

Diese Einschätzu­ng teilt er mit vielen im Stadion, unter anderem natürlich mit Rahmel. „Ich habe mir das Fansein selbst erarbeitet, das kam nicht von Vater oder Onkel“, sagt der 39-Jährige, der Borussias Auftritte in der Saison 1987/88 im Uefa-Pokal, dem Vorgänger der Europa-League, zunächst im Fernsehen verfolgte und so an dem Klub „hängenblie­b“. Das erste Spiel live am Bökelberg sah er in der Saison 1991/92 gegen Fortuna Düsseldorf.

Jahrelang stand Rahmel als Fan in der Nordkurve, über einen Bekannten kam er dann zur Kommentier­ung für Sehbehinde­rte: „Marc Zeller hat das für den MSV Duisburg gemacht, der das damals schon anbot. Als Marc dann wegen eines Praktikums für ein paar Wochen nach München musste, hat er mich gefragt, ob ich übernehmen kann. Ich hatte immer schon Spaß an den Kommentato­ren im Radio und bin ins kalte Wasser gesprungen.“

So entwickelt­e sich der Gedanke, das auch bei „seinem“Verein Borussia machen zu können. „Es war mein Traum, mal ein Derby gegen Köln oder damals Aachen kommentier­en zu können“, erinnert sich Rahmel. Über das Fanprojekt lernte er, der auch Präsident des Fanclubs „Olympia Borussen“ist, Hörkens kennen, und ist nun im neunten Jahr am Mikrofon. „Wir müssen in einer Tour quatschen, um den Leuten zu erklären, wo der Ball ist. Wir sind immer auf Ballhöhe.“

Dass er sich damit seinen Traum, ein Derby zu kommentier­en, erfül- len konnte, ist aber nur die eine Seite. „Was dir mehr gibt, als das Kommentier­en an sich, ist der Dank der Leute. Oder wenn du merkst, dass die lachen, wenn du einen Spaß gemacht hast“, sagt Rahmel und ergänzt: „Einer von unseren Hörern hat mal zur ,Elf vom Niederrhei­n’ Luftgitarr­e mit seinem Blindensto­ck gespielt – das war großartig, das Bild vergisst du nicht.“

Und dank ihm und Hörkens können sich auch ihre Zuhörer ein Bild von dem machen, was sie bei Borussias Spielen nicht oder nur eingeschrä­nkt sehen können.

 ?? FOTO: GEORG AMEND ?? Thomas Hörkens und Sidney Rahmel (von links) kommentier­en in Block 24 Borussias Spiele für sehbehinde­rte Fans – so wie hier das Rückspiel im Europa-League-Achtelfina­le gegen Schalke.
FOTO: GEORG AMEND Thomas Hörkens und Sidney Rahmel (von links) kommentier­en in Block 24 Borussias Spiele für sehbehinde­rte Fans – so wie hier das Rückspiel im Europa-League-Achtelfina­le gegen Schalke.

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