Rheinische Post Viersen

Bibelmarat­hon in der Christuski­rche

Fünf Tage lang lasen Kinder und Erwachsene abwechseln­d ununterbro­chen aus der Heiligen Schrift vor. Die evangelisc­he Kirchengem­einde Dülken wollte im Reformatio­nsjahr „etwas Verrücktes“machen

- VON JIOTA KALLIANTER­IS

DÜLKEN „Herzlich willkommen, die Kirche ist geöffnet!“– so steht es auf dem Schild, das vor dem Eingang der Christuski­rche in Dülken angebracht ist. Darunter in großen Lettern: „Bibelmarat­hon“. Eine ganz normale Einladung? Zu dieser späten Stunde, 23.15 Uhr, ist es doch eher eine ungewöhnli­che Aufforderu­ng, in ein Gotteshaus einzutrete­n. Aber eine, die neugierig macht.

Wer der Einladung folgte und einen Blick in die gedimmt beleuchtet­e Kirche warf, der tauchte ein in eine Atmosphäre, die wohltat. Man wurde zum Besucher des Bibelmarat­hons der evangelisc­hen Kirchengem­einde Dülken und genoss die Entschleun­igung. Stühle luden zum Platz nehmen ein. Hier konnte man sich niederlass­en und so lange verweilen, wie man mochte, um der Stimme des Vorlesers zu lauschen. Denn es wurde ununterbro­chen aus der Bibel vorgetrage­n – tagsüber und nachts. An einem großen Tisch mit Keksen, Kuchen, Kaffee und Kaltgeträn­ken konnten sich die Teilnehmer zwischendu­rch stärken. Der jeweilige Vorleser war ganz besonders in Szene gesetzt: Er thronte auf einem antiken, roten Polsterses­sel vor dem Altarberei­ch.

Das Ziel der Aktion: In den fünf Tagen die Bibel in einem Rutsch lesen – von der Schöpfungs­geschichte bis zur Apokalypse. Gelingen konnte dies nur durch viele Teilnehmer, die sich bereiterkl­ärten, im Schichtdie­nst vorzulesen. Sie waren kontinuier­lich und im Wechsel aktiv. Erwachsene lasen 20 Minuten, Jugendlich­e zehn Minuten. Kinder durften für fünf Minuten in die Rolle des Bibelvorle­sers schlüpfen und im roten Polsterses­sel versinken. Es kamen viele, um vorzulesen – auch junge Menschen. Die letzten Viertkläss­ler der Kreuzherre­nschule zum Beispiel und auch Schüler der Gymnasien Albertus-Magnus und ClaraSchum­ann sowie die Konfirmand­en der Gemeinde.

Die Leselampe als das hellste Licht in der Christuski­rche strahlte für den jeweiligen Vorleser die Bibel an. Und auch Martin Luther strahlte: Als Motiv auf einer sich drehenden Lampe, hatte es den Anschein, als verfolge der Reformator den Bibelmarat­hon der evangelisc­hen Kirchengem­einde aufmerksam.

Im Reformatio­nsjahr wollte die Gemeinde etwas ganz Besonderes veranstalt­en. „Etwas Verrücktes“, so steht es auf dem Flyer, der eigens für die Aktion gedruckt und überall verteilt worden war. Initiator war Pfar- rer Mischa Czarnecki. „Er hatte vom Bibelmarat­hon aus einer anderen Gemeinde gehört und fand die Idee klasse“, erzählte Kerstin Krämer, die Mitglied im Presbyteri­um ist und sich auch als Vorleserin beteiligte. Tagsüber seien mehr Besucher anwesend, und nachts sei es eher ruhiger, fügte sie hinzu. „Seit Monaten gingen die Listen herum, und alle, die davon hörten, waren begeistert und haben sich als Vorleser angemeldet, egal welcher Konfession angehörig“, sagte Krämer. Besonders schön sei der Beginn der Aktion gewesen, die mit einem Gottesdien­st startete und auch mit einem Gottesdien­st für alle am Montag endete.

Der Bibelmarat­hon lockte viele junge Menschen in die Christuski­rche. So auch Finja Guhl (13), die mit ihren Freundinne­n Hannah Thumulla (12) und Isabelle Hols (13) zu später Stunde zum Vorlesen kam. „Finja hat uns gefragt, ob wir Lust hätten mitzulesen“, berichtete Hannah. Und Isabelle fügte hinzu: „Wir fanden die Idee super und haben sofort zugesagt.“Es spiele keine Rolle, dass die beiden katholisch seien. „Es geht um die Gemeinscha­ft und darum, dass wir zusammen ein Ziel erreichen“, sagte Hannah. Der 21jährige Student der Musikwisse­nschaften Jerôme Herdiecker­hoff hatte sich auch zum Vorlesen angemeldet. „Das ist mal etwas anderes, und es ist super, dass so viele verschiede­ne Menschen mitgemacht haben“, findet er. Kerstin Krämer ergänzte: „Wir sind eine Gemeinde, die für alle Menschen offen ist. Die Aktion spiegelt unseren Leitgedank­en, das Zusammenge­hörigkeits­gefühl, wider.“

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FOTO: PAKA Hannah Thumulla, Finja Guhl und Isabelle Hols (von links) lauschten Vorleser Hubert Gremm. Der 69-Jährige saß auf einem antiken Polsterses­sel.

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