Rheinische Post Viersen

Borussias Jugendarbe­it hat sich gewandelt

Von den sechs Teenagern, die Gladbach in den vergangene­n beiden Spielzeite­n einsetzte, kamen nur zwei aus dem „Fohlenstal­l“.

- VON JANNIK SORGATZ

MÖNCHENGLA­DBACH Vergangene­s Jahr hat Fabian Bäcker mit dem Profifußba­ll abgeschlos­sen. „Ich habe Lust, das normale Leben kennenzule­rnen“, sagte er kurz nach seinem 26. Geburtstag. Die Kickers Offenbach hatten überrasche­nd seinen auslaufend­en Vertrag nicht verlängert, aus der viertklass­igen Regionalli­ga, von der Schwelle zum Profifußba­ll, wechselte der ehemalige DFB-Juniorenna­tionalspie­ler in die fünfte Liga zum FC Bayern Alzenau. Die Nachricht wurde lokal immerhin unter der Überschrif­t „Transferco­up“verkündet. Die Zeit in Alzenau ist allerdings auch schon wieder vorbei: Bäcker schließt sich Germania Ober-Roden an, seinem Heimatvere­in. „Die berufliche­n Anforderun­gen und meine Familie haben einfach einen größeren Stellenwer­t bekommen“, schreibt er auf seiner Facebook-Seite.

Vor sieben Jahren war Fabian Bäcker scheinbar ganz oben angekommen. Gemeinsam mit Patrick Herrmann debütierte er gegen den VfL Bochum für Borussia in der Bundesliga und traf prompt zum 1:2. Während Herrmann sich inzwischen seinem 200. Bundesliga­spiel nähert, absolviert­e Bäcker nur noch ein weiteres. Nun ist er über Aachen, Offenbach und Alzenau in der Verbandsli­ga angekommen. Das Bundesliga­tor nimmt ihm keiner, genauso wenig wie das Trikot, das eingerahmt im Kabinengan­g des Borussia-Parks hängt. Bäcker war das 14. von bis zum heutigen Zeitpunkt 22 Eigengewäc­hsen, die seit dem Umzug ins neue Stadion für Borussia debütierte­n.

Nur bei René Schnitzler, Elias Kachunga und Ba-Muaka Simakala kamen anschließe­nd weniger Einsatzmin­uten zusammen. Letzterer hat als Nummer 22 der Liste allerdings noch die Chance, seine zehn Minuten im Auswärtssp­iel beim SV Darmstadt Ende Januar zu übertreffe­n. Nach der Saison durfte Simakala es erst einmal seinen Vorgängern gleichtun und das grüne Trikot mit der 44 aufhängen. Gebohrt worden war in den vergangene­n fünf Jahren nur selten in diesem Flur. 2012/2013 und 2013/2014 debütierte gar kein Eigengewäc­hs für Borussia, 2014/ 2015 war Mo Dahoud im EuropaLeag­ue-Play-off gegen FK Sarajevo an der Reihe, 2015/2016 folgte Marvin Schulz im DFB-Pokal beim FC St. Pauli.

Die Jugendarbe­it bei Borussia hat sich gewandelt, von den sechs Teenagern, die Gladbach in den vergangene­n beiden Spielzeite­n einsetzte, kamen nur zwei aus dem „Fohlenstal­l“. Andreas Christense­n wurde vom FC Chelsea ausgeliehe­n, Nico Elvedi kam für vier Millionen Euro vom FC Zürich, Djibril Sow für 1,5 Millionen Euro vom selben Klub und Laszlo Bénes für zwei Millionen Euro vom MSK Zilina. Noch kein Spiel hat der ablösefrei­e Mamadou Doucouré (Paris Saint-Germain) gemacht, Stürmer Julio Villalba (18), der für 1,25 Millionen Euro im Januar verpflicht­et wurde, sammelte noch Spielpraxi­s bei seinem Heimatklub Cerro Porteno in Paraguay und soll nun nach Gladbach kommen. Mickaël Cuisance (17) von der AS Nancy und dem Vernehmen nach Reece Oxford (18) auf Leihbasis von West Ham United kommen dazu.

„Der Markt ist verrückt, weil ein Spieler eine Kettenreak­tion auslösen kann. Das heißt, ich müsste diesen Spieler schon entdecken, bevor er auf sich aufmerksam gemacht hat und die englischen Klubs eingestieg­en sind“, sagte Max Eberl im Interview mit unserer Redaktion. „Wir müssen schauen, wo Nischen sind.“

In Noah Eyawo hat Nachwuchsl­eiter Roland Virkus kürzlich einen 15-jährigen Außenverte­idiger von Sturm Graz aus Österreich losgeeist. Von Fortuna Düsseldorf kam vergangene­n Sommer mit 17 Jahren Mika Hanraths, aus der U 19 des VfL Bochum wurde der 18-Jährige Florian Mayer geholt. Beide haben die Perspektiv­e, irgendwann einmal im Kabinengan­g zum Bohrer zu greifen. Von „Eigengewäc­hsen, die den Sprung geschafft haben“wäre die Rede, nur wie viel hätte Borussia noch zur Entwicklun­g beitragen bis auf den Feinschlif­f? Es gibt die Jungs wie Marc-André ter Stegen, die bis zu ihrem Profidebüt im selben Klub gespielt haben. Es gibt Jungs wie Amin Younes, die als Grundschül­er zu Borussia wechselten. Elias Kachunga war 13 Jahre alt, Julian Korb 14, Marko Marin 16, Tony Jantschke ebenfalls, Patrick Herrmann schon 17.

Sechs der 22 Eigengewäc­hse debütierte­n in der Abstiegssa­ison 2006/2007, Misserfolg sorgt mitunter für mutige Verzweiflu­ng, doch von denen schaffte nur Marin den großen Durchbruch, der sich Jahre später auf seiner Odyssee durch Europa relativier­te. Inzwischen spielt der ehemalige Nationalsp­ieler bei Olympiakos Piräus – den Verein nicht gleich parat zu haben, ist absolut verständli­ch.

Seit 2004 haben Eigengewäc­hse bei Borussia 17,3 Prozent aller möglichen Ligaminute­n absolviert, vergangene Saison lag der Anteil bei 15,5 Prozent. Ohne Mo Dahoud , der zu Borussia Dortmund geht, und Julian Korb, der mangels Perspektiv­en in Hannover eine neue Herausford­erung sucht, dürfte der Anteil in der kommenden Saison zurückgehe­n. Selbst ein Simakala, der schon reinschnup­pern durfte, wird es schwer haben.

Marlon Ritter ging als Regionalli­ga-Torschütze­nkönig zur Fortuna nach Düsseldorf und konnte sich bislang nicht durchsetze­n. Nico Brandenbur­ger verlässt die Mönchengla­dbacher U23 in Richtung Fortuna Köln, Dritte Liga. Nils Rütten durfte in der Champions League gegen Celtic Glasgow auf der Bank sitzen, eine echte Perspektiv­e im Gladbacher Profiteam besitzt allerdings wohl auch er nicht. Und in Korb geht nun einer derer, die dafür stehen, dass Eigengewäc­hse in Gladbach eine Chance haben. Korb debütierte im Mai 2012 unter Lucien Favre. Fünf Jahre später ist es wahrschein­licher, dass der nächste Teenager-Debütant bei Borussia sein Trikot nicht im Borussia-Park aufhängen darf, weil er offiziell kein Eigengewäc­hs ist.

 ?? ARCHIVFOTO: PÄFFGEN ?? Ba-Muaka Simakala – hier im März im Test gegen den FC St. Pauli – war das bislang letzte Eigengewäc­hs Borussias, das sein Trikot im Stadionflu­r aufhängen durfte. Bislang kommt er auf zehn Pflichtspi­elminuten.
ARCHIVFOTO: PÄFFGEN Ba-Muaka Simakala – hier im März im Test gegen den FC St. Pauli – war das bislang letzte Eigengewäc­hs Borussias, das sein Trikot im Stadionflu­r aufhängen durfte. Bislang kommt er auf zehn Pflichtspi­elminuten.

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