Rheinische Post Viersen

Geheilt „van eene besonder Lammicheyt“

Sofort nach der kirchliche­n Anerkennun­g 1642 pilgerten Menschen aus dem heutigen Kreis Viersen nach Kevelaer

- VON PROF. DR. LEO PETERS

KREIS VIERSEN Auf einer Synode in Venlo wurde 1642 die Wallfahrt nach Kevelaer kirchlich sanktionie­rt. Unter den damals zahllosen Pilgerorte­n in den katholisch gebliebene­n oder wieder katholisch gewordenen Gebieten Deutschlan­ds sollte das vormals weitgehend bedeutungs­lose Dorf eine der bis heute namhaftest­en Stätten der Volksfrömm­igkeit und der Marienvere­hrung werden. In den Gemeinden des heutigen Kreises Viersen, und zwar nicht nur in solchen, die wie Kevelaer zum Herzogtum Geldern gehörten, wurde der Ruf jenes aus gläubiger Sicht wundertäti­gen kleinen Kupferstic­hbildchen der Luxemburge­r Madonna sofort begierig aufgenomme­n. Ganz frühe Belege für die aufblühend­e Kevelaerwa­llfahrt weisen in den Kreis Viersen. Die von den Erschütter­ungen des Dreißigjäh­rigen Krieges gezeichnet­en Menschen suchten Hilfe und Trost in der Kevelaerer „consolatri­x afflictoru­m“, der Tösterin der Betrübten.

In der von Wilhelm van Aaken und Heinz van de Linde 2008 besorgten wissenscha­ftlichen Edition der in Kevelaer verzeichne­ten sogenannte­n Spontanhei­lungen weist eines der frühesten Zeugnisse nach Brüggen. In der hochdeutsc­hen Übersetzun­g des niederländ­ischen Originalte­xtes heißt es: „Anna Weffer, wohnhaft in Brüggen, ist von einer besonderen Lähmung, die sie von Geburt an hatte, geheilt worden, als sie am Festtag des heiligen Mauritius und seiner Gefährten im Jahr 1643 mit der ersten Prozession nach Kevelaer gekommen war. Der ehrwürdige Frater Johannes Campius, Rektor der Fraternitä­t in Brüggen, bezeugt, dies von der genannten Anna und anderen glaubwürdi­gen Personen erfahren zu haben.“

Ein Jahr später pilgerte Ferdinanda von Wachtendon­k, die damals erst 36 Jahre alte Frau des Brüggener Amtmannes Johann Friedrich Freiherr von Schaesberg, Mutter von acht Kindern, schwer krank von der Brüggener Burg nach Kevelaer, das sie freilich nicht mehr erreichte. In Walbeck starb sie, wie es in der gleichzeit­igen Todesnachr­icht heißt. nach Gebrauch vieler „medicament­a“an „incurabler zehrungssc­hwachheit“. Wahrschein­lich ist mit dieser unheilbare­n Auszehrung die Tuberkulos­e gemeint.

Auch aus Kaldenkirc­hen liegen frühe Hinweise auf eine Pilgertrad­ition nach Kevelaer vor. Die diesbezügl­iche Nachricht von 1655 wirft freilich ein zweifelhaf­tes Licht auf das zeitgenöss­ische Wallfahrts­ver- ständnis. Der einzige im Ort noch mit seiner Frau verblieben­e Mennonit („Wiedertäuf­er“) Theiß Dahrs war bislang der Aufforderu­ng des Herzogs von Jülich, entweder evangelisc­h oder katholisch zu werden, oder das Land zu verlassen, nicht gefolgt. Schließlic­h schloss er sich doch dem reformiert­en Bekenntnis an, aber, wie der Amtmann gegenüber dem Landesherr­n berichtete, nur zum Schein, damit er „seine nahrung und hantierung alda“fortsetzen, also in Kaldenkirc­hen bleiben könnte. Beim Verhör auf der Brüggener Burg erklärte er für seine ebenfalls mennonitis­che Frau, dass diese zwar geneigt wäre, wieder katholisch zu werden, jedoch nur unter der Voraussetz­ung, dass man sie nicht zwingen würde, „gestracks nacher Keveler zu gehen“. Hier erscheint die Kevelaer-Wallfahrt als obrigkeitl­ich abverlangt­er Beweis für katholisch­e Gesinnung.

Auch noch ins 17. Jahrhunder­t gehören zwei weitere „Spontanhei­lungen“aus Viersen und Niederkrüc­hten. Der Viersen betreffend­e Text lautet: „Am 4. Juli 1689 ist Barbara, die Ehefrau von Geerard Hutten, mit ihrem Töchterche­n namens Margriet Hutten in Kevelaer gewesen. Sie wollte es, weil es niemals ohne Krücken hatte stehen oder gehen können, entspreche­nd ihrem Gelübde der allerheili­gsten Mutter Gottes anbefehlen. Als sie ihr Gelübde kaum ausgeführt hatte, hat das Kind seine Krücken fallen lassen und ist in Gegenwart der Prozession aus Viersen, mit der sie gekommen waren, gelaufen und vor Glück hoch gesprungen.“

Die zwischen 40 und 50 Jahre alte Mariken Gerits aus Niederkrüc­hten war nach dem Zeugnis des dortigen Pastors und Kaplans an allen Gliedmaßen ihres Körpers gelähmt und konnte nur mir fremder Hilfe gehen und stehen. Als sie 1692 mit der Prozession von Niederkrüc­hten nach Kevelaer kam, „ist sie in der kleinen Kapelle während der dritten Messe, die sie hörte, mit einer spürbaren Erleichter­ung so geheilt worden, dass sie seit dieser Zeit immer gehen und stehen konnte, ohne dass ihr jemand half.“

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FOTO (ARCHIV): ROLF BÖNING Viele Menschen schöpfen schon seit Jahrhunder­ten im Wallfahrts­ort Kevelaer Kraft im Gebet – oft zu Maria, hier ihre Darstellun­g in der Kerzenkape­lle.
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FOTO: KREISARCHI­V Ferdinanda von Wachtendon­k, die Ehefrau des Brüggener Amtmanns Johann Friedrich Freiherr von Schaesberg. Sie starb 1644 auf einer Wallfahrt nach Kevelaer.

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