Rheinische Post Viersen

So sehen Flüchtling­e ihr Leben in Deutschlan­d

Die Psychologi­e-Studentin Carmen Lienen aus Lobberich zeigt Fotos, die für ihre Master-Arbeit „Flüchtling­skrise in Bildern“entstanden sind

- VON JOACHIM BURGHARDT

LOBBERICH Das Foto zeigt eine Reise ins Ungewisse. Bevor sich das Bahngleis in der Ferne verliert, teilt es sich. „Damit drückt ein geflüchtet­er Syrer seine Sorgen aus. Er weiß nicht, wie lange er in Deutschlan­d bleiben kann, er hat keine sichere Perspektiv­e“, erklärt Carmen Lienen. Die Psychologi­e-Studentin aus Lobberich hat für ihre Master-Arbeit geflüchtet­e Menschen interviewt und hat sie ihre Hoffnungen und Ängste auf Fotos darstellen lassen.

Die Bilder zeigt Lienen ab heute im evangelisc­hen Gemeindeha­us in Lobberich: Die Ausstellun­g „Die Flüchtling­skrise in Bildern: Menschen mit Fluchterfa­hrungen erzählen, wie sie Deutschlan­d erleben“ist eine Dokumentat­ion aktueller Zeitgeschi­chte.

Angefangen hat alles im Ausland: „Während des Studiums in London und bei einem Praktikum in Toronto in Kanada bekam ich mit, wie positiv Deutschlan­d beurteilt wird, weil es so viele geflüchtet­e Menschen aufgenomme­n hat“, erzählt die 25-Jährige. Zurück in Deutschlan­d habe sie eher Diskussion­en erlebt, ob man nicht zu viele Flüchtling­e ins Land gelassen habe. „Mich beschäftig­te aber immer mehr die Frage, wie geflüchtet­e Menschen selbst ihre Situation bewerten.“

Lienen erzählt ruhig und selbstbewu­sst. Sie lächelt, sucht mitunter nach dem deutschen Wort für einen englischen Fachbegrif­f aus der Psychologi­e. Trotz aller Fachkenntn­isse gibt sie zu, vor ihrer Ausstellun­gseröffnun­g „ein bisschen nervös“zu sein. Nach dem Abitur am WernerJaeg­er-Gymnasium und dem Bachelor in Psychologi­e in Würzburg begann sie mit dem Masterstud­ium an der renommiert­en Londoner School of Economics and Political Science (LSE) mit dem Schwerpunk­t „soziale und kulturelle Psychologi­e. Mit dem Master-Studium ist sie im Herbst fertig. Danach will sie promoviere­n, später an einer Uni, bei einer Stiftung oder NichtRegie­rungs-Organisati­on weiter „zum Thema Migration forschen und arbeiten“.

Schon in jungen Jahren engagierte sich Lienen zeitweise in der Nettetaler Flüchtling­shilfe. Über Ehrenamtle­r nahm sie nun für ihr Hochschul-Projekt Kontakt zu Flüchtling­en in der Stadt auf, zum Beispiel in der Unterkunft Majestic in Breyell. Und mithilfe des Kaldenkirc­hener Sprachlehr­ers Willi Wienen, der in Erkelenz geflüchtet­e Menschen in Deutsch unterricht­et, konnte sie auch dort forschen.

Abgesehen vom jeweiligen Status der Flüchtling­e – ob vorläufig gedul- det, bereits als Asylbewerb­er anerkannt oder noch nicht – hatten die Befragten in Nettetal durch die sehr engagierte Flüchtling­sarbeit vor Ort ein anderes Bild von Deutschlan­d als die Befragten in Erkelenz. Lienen: „In Nettetal hat sich sehr das soziale Gefüge, das Miteinande­r eingeprägt; in Erkelenz dagegen mehr die behördlich­en Strukturen. Auf die Flüchtling­e dort wirkte alles etwas distanzier­ter.“

Ähnlich hingegen war bei den Befragten in beiden Städten das Deutschlan­dbild aus wirtschaft­spsycholog­ischer Sicht: „Die Chancen auf dem Arbeitsmar­kt, auch aufgrund des breiten Bildungsan­gebots, haben viele sehr beeindruck­t.“

Berührt war Lienen von so manchen der dokumentie­rten Einzelinte­rviews: „Als Psychologi­n weiß ich zwar mit intensiven Schilderun­gen von Schicksals­schlägen umzugehen, aber manches bewegte mich persönlich schon sehr.“Details behält sie für sich; den beteiligte­n Flüchtling­en hat sie Anonymität zugesicher­t. Rund 20 Geflüchtet­e machten mit beim Forschungs­projekt, fotografie­rten mit ihren Smartphone­s Motive, die symbolhaft für ihre persönlich­e Befindlich­keit stehen. So zeigt ein Bild einen Stapel unbehandel­ter Hölzer, die auf ihre Bearbeitun­g warten. Auf einem anderen Foto sind verstreute Legosteine zu sehen: Symbole für die unsichere Zukunft mancher geflüchtet­er Menschen.

Zu den Bildern hat Lienen Zitate von den jeweiligen Flüchtling­en gesetzt. Beim Foto mit den Bahngleise­n eines Syrers, dessen Aufenthalt in Deutschlan­d zunächst bis November befristet ist, steht: „Ich weiß nicht, was in der Zukunft passiert.“

Newspapers in German

Newspapers from Germany