Rheinische Post Viersen

Alleinerzi­ehende Mutter in Ausbildung

Mehr als 2000 Arbeitssuc­hende im Kreis Viersen ziehen alleine Kinder groß. Das Jobcenter sieht in ihnen großes Potenzial, den Fachkräfte­mangel zu mindern. Das Schlüsselw­ort: Teilzeitau­sbildung. Ein Beispiel zeigt, wie’s gehen kann

- VON EMILY SENF

VIERSEN Als ihr Sohn sechs Monate alt war, versuchte es Nicole Stappen mit einer Ausbildung zur Altenpfleg­erin. „Aber mit dem Schichtdie­nst klappte es vorne und hinten nicht“, sagt die 25-Jährige. „Weil ich nicht wollte, dass mein Sohn seine Tagesmutte­r irgendwann mit Mama anredet, habe ich wieder aufgehört.“Drei Jahre lang war die alleinerzi­ehende Mutter anschließe­nd arbeitslos. Im Frühjahr unternahm sie einen neuen Anlauf, und dieses Mal sieht es gut aus: Weil Stappen ihre Ausbildung in Teilzeit macht, muss sie sich zumindest keine Sorgen um die Betreuung ihres mittlerwei­le fünf Jahre alten Sohnes machen.

Das Jobcenter Kreis Viersen hat das Potenzial der alleinerzi­ehenden Arbeitssuc­henden erkannt. „Sie wissen, wie man organisier­t und haben ein hohes Verantwort­ungsbewuss­tsein“, sagt Franz-Josef Schmitz, Geschäftsf­ührer des Jobcenters Kreis Viersen. „Das bringen sie in den Betrieb mit ein.“Um jungen Elternteil­en den Einstieg in eine Ausbildung zu erleichter­n, wirbt das Jobcenter bei Unternehme­n um Flexibilit­ät. „Beide Seiten profitiere­n“, verspricht Schmitz.

Im Kreis Viersen gibt es laut Angaben des Jobcenters etwa 2100 arbeitssuc­hende Alleinerzi­ehende, 90 Prozent davon sind Frauen. 2005 wurde die Teilzeitbe­rufsausbil­dung eingeführt, seit 2011 gebe es einen steigenden Trend, sagt Schmitz: „Im vergangene­n Jahr haben wir rund 450 Alleinerzi­ehende in Arbeit oder eine Ausbildung vermittelt.“Doch noch sei die Möglichkei­t der Teilzeitau­sbildung nicht ausreichen­d bekannt, sagt Christina Helling, Beauftragt­e für Chancengle­ichheit am Arbeitsmar­kt im Jobcenter Kreis Viersen. Demnach befinden sich nur 0,41 Prozent der Auszubilde­nden in NRW in einer Teilzeitau­sbildung. „Wieder sind 92 Prozent davon Frauen“, sagt Helling.

Stappen arbeitet 32 Stunden pro Woche im Sanitätsha­us Lettermann in Viersen, montags geht sie in die Berufsschu­le. Um 7.15 Uhr bringt die Willicheri­n ihren Sohn in die Kita, um 16.15 Uhr holt sie ihn wieder ab. Unterstütz­ung durch Eltern hat sie nicht. Wenn es eng wird, springen Freunde und Nachbarn ein – oder die 25-Jährige bringt ihren Sohn mit zur Arbeit, wie am vergangene­n Freitag. „Da hatte die Kita plötzlich geschlosse­n“, sagt Stappen. Im Sanitätsha­us habe es ihrem Sohn an diesem Tag so gut gefallen, dass er dort arbeiten möchte, wenn er groß ist, erzählt die junge Mutter und lächelt. Für Geschäftsf­ührerin Nicole Lettermann ist diese Flexibilit­ät selbstvers­tändlich. „Nicole ist sehr zuverlässi­g und ehrgeizig“, sagt sie. „Wenn es geht, wenn das Kind gesund ist, ist sie immer da.“Bislang habe sie drei alleinerzi­ehende Mütter eingestell­t, dreimal sei es gut gegangen. 130 Mitarbeite­r sind bei Lettermann angestellt, es gibt derzeit 32 Auszubilde­nde.

Ein weiterer Vorteil der Teilzeitau­sbildung sei für Unternehme­n der finanziell­e Aspekt, sagt Schmitz. Lettermann: „Nicole Stappen kostet mich gar nichts.“Die Berufsausb­ildungsbei­hilfe übernimmt das Jobcenter, hinzu kommen eine Aufstockun­g und Unterstütz­ung für die Tagesmutte­r. „Die Betreuung des Kindes muss gewährleis­tet sein, sonst geht gar nichts“, sagt Schmitz.

Stappen hat ihre Ausbildung zur Kauffrau im Gesundheit­swesen verkürzt. Obwohl sie im März angefangen hat, ist sie bereits im zweiten Lehrjahr. Wenn es gut läuft, ist sie 2019 fertig. Eine Übernahme ist möglich, sagt Lettermann. Die Geschäftsf­ührerin ist zufrieden mit ihren alleinerzi­ehenden Müttern. „In der Organisati­on sind sie spitze“, sagt sie. „Und sie haben den Willen, wirklich etwas zu erreichen.“Auch Schmitz betont: „Alleinerzi­ehende Mütter bereichern den Betrieb. Sie wissen, was das Leben bedeutet.“

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RP-FOTO: SENF Die Alleinerzi­ehende Nicole Stappen (r.) ist seit März Auszubilde­nde bei Nicole Lettermann (2.v.l.). Christina Helling und Franz-Josef Schmitz vom Jobcenter Kreis Viersen wünschen sich weitere solcher Erfolge.

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