Die Routinierte
Angela Merkel polarisiert in diesem Wahlkampf wie nie zuvor. In Schwerin werden die Protestler nicht in die Halle gelassen.
SCHWERIN Die Frau mit Brille, grauem Kurzhaarschnitt und weißer Jeanshose ist etwa im Alter von Angela Merkel. Sie hält ein Plakat mit dem durchgestrichenen Porträt der Kanzlerin hoch. Daran hat sie eine Deutschlandfahne befestigt. Die Frau will nicht reden – nicht mit anderen Bürgern, nicht mit CDU-Anhängern und auch nicht mit Journalisten.
Wer sich ihr nähert, wird angeschrien: „Ihr gehört auch dazu. Es geht euch nur ums Geld.“Dann kommen doch noch ein paar Leute, die sie freundlich begrüßt. Sie gehören zu den rund 30 bis 40 Menschen, die entweder nicht den Versuch unternehmen, zu Merkels Wahlkampfauftritt in der Tennishalle am Stadtrand von Schwerin zu gelangen oder von den Ordnern nicht hineingelassen werden.
Vor der Halle wird lautstark diskutiert. „Wer sich benimmt, kommt rein“, sagt ein Ordner. Auch Polizisten drängen die Protestler ab und erteilen einige Platzverweise. „Nur wer systemkonform ist, kommt rein“, keift eine Frau zurück. „Das ist Faschismus“, ruft ein Mann. „Wie in der DDR“, ergänzt eine Frau wütend. „Wenn wir Flüchtlinge wären, dürften wir rein“, ruft ein anderer Mann. Sie alle wollen ihren Namen nicht nennen.
In der Halle sagt Markus Gonschorrek, Merkel-Anhänger und Mitarbeiter der CDU-Fraktion im Landtag: „Die sind von der NPD.“Nach der Veranstaltung versammeln sich die Protestler, die bei Merkels Ankunft ein Trillerpfeifen- Konzert erheben, „Pfui“und „Merkel muss weg“rufen, tatsächlich hinter einer Fahne der rechtsextremen NPD. AfD-Anhänger, die sonst häufig die Wahlkampfauftritte der Kanzlerin zu stören versuchen, sind nicht sichtbar. In Mecklenburg-Vorpommern, wo auch Merkels Wahlkreis Vorpommern-Rügen liegt, scheinen sich Rechtsextreme und Rechtspopulisten die Landstriche aufzuteilen.
Merkel läuft, ohne eine Miene zu verziehen, an den Protestlern vorbei. In der Halle sagt sie: „Es ist nicht besonders kreativ, wenn Einzelne die Möglichkeiten der Demokratie darauf reduzieren, nur zu pfeifen.“Den Hass lässt sie nicht an sich ran. Sie sei „fit“, versichert Merkel auf eine entsprechende Frage der Moderatorin, und das wirkt glaubhaft.
Das Sortieren von lautstarken Merkel-Hassern und Anhängern der Kanzlerin ist den Ordnungskräften offensichtlich gelungen. In der Halle taucht die Bundeskanzlerin in eine andere Welt ein: Wahlkämpfer der Jungen Union tragen MerkelShirts und halten Plakate hoch. Ihre Rede wird nur von Applaus unterbrochen. Auf dem Marktplatz in Schwerin wäre das anders gewesen. „Hier gibt es viele Leute, die Merkel weghaben wollen“, sagt ein Taxifahrer.
Doch die Veranstaltung wurde kurzfristig in die Halle nahe dem Siebendörfer Moor und fern der Innenstadt verlegt – angeblich wegen der schlechten Wettervorhersage. Nun ist es heiter bis wolkig bei milden Temperaturen. Dass Merkel an diesem Abend keine Fernsehbilder mehr produziert, bei denen Pfeif- konzerte und lautstarke Pöbeleien ihre Wahlkampfrede stören, darüber wird man in der CDU erleichtert sein.
Ihre Botschaften kann die Kanzlerin an diesem Abend störungsfrei verkünden. Das macht sie routiniert: Jobs sichern, Steuersenkungen, mehr Geld für Familien, Digitalisierung insbesondere der Schulen, Weiterbildung für Lehrer, Stabilisierung der Autoindustrie, Stärkung der Dualen Ausbildung, ärztliche Versorgung auf dem Land, mehr innere Sicherheit durch Schutz vor Terror und Einbrüchen.
In der ersten Reihe sitzen, wie von den Protestlern draußen vermutet, tatsächlich Flüchtlinge. Sie halten immer wieder Plakate mit Liebesbekundungen für Merkel hoch. Merkel verspricht aber, 2015 könne, dürfe und werde sich nicht wiederholen. Vielmehr erläutert sie ihre Pläne, wie sie die Fluchtursachen in den Herkunftsländern bekämpfen will. Am Ende erklärt die Kanzlerin sicherheitshalber noch einmal den Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme und schwört den Saal ein, dass die Wahl noch nicht gelaufen sei.
Ihre Zuhörer sind am Ende zufrieden. Ilse Franze, die von sich sagt, sie sei keine CDU-Anhängerin, schwärmt, Merkel könne mitreißend reden. Das wird Merkel nun nicht allzu oft attestiert. Marek Jensen, selbst CDU-Mitglied, ist auch zufrieden mit der Kanzlerin. Er sagt, ihm gehe es vor allem um den europäischen Integrationsprozess und dass er hoffe, Merkel werde diesen in einer weiteren Amtszeit vorantreiben.