Schönster Liebesfilm des Jahres
„Körper und Seele“spielt im Schlachthof und erzählt doch von Empfindsamkeit.
Dieser Film ist so leise und sacht wie der Schnee, der darin spärlich fällt. Er erzählt die eigentlich verschrobene Geschichte einer autistisch veranlagten jungen Frau, die sich ausgerechnet im unwirtlichen Umfeld eines Schlachthofs in den älteren Geschäftsführer der Tötungsfabrik verliebt. Doch auf unmerkliche Art wird diese Geschichte plausibel, weil die erst so transparenten Gefühle darin sich sehr langsam, sehr behutsam verdichten dürfen bis sie greifbar werden für die beiden und den Zuschauer. Ohne allen Kitsch wird da von tiefer Menschlichkeit erzählt, von zwei Außenseitern, die ihren Alltag leben, weil es sich gehört, doch plötzlich wieder Zutrauen finden in die Idee, dass Glück möglich ist.
Es ist ein Märchen in realistischen Bildern, das die ungarische Regisseurin Ildiko Enyedi in „Körper und Seele“erzählt. Bei der Berlinale hat sie Anfang des Jahres dafür den Goldenen Bären gewonnen. Enyedi zeigt den Schlachthof in ruhigen dokumentarischen Szenen als nüchterne Erkundung eines brutalen Ortes. Doch dazu erzählt sie die unwahrscheinliche Liebesgeschichte zweier Menschen, die über etwas sehr Flüchtiges zueinander finden: über ihre Träume. Maria, die neu angestellte Kontrolleurin und Endre, der Geschäftsführer mit gelähmtem Arm, erleben nachts im Schlaf dieselbe Geschichte. Sie träumen von einem Hirsch und einer Hirschkuh im Wald. Es ist Winter, aber die Schneedecke, auf der die Tiere sich bewegen, ist noch nicht sehr dick.
Mit schöner Seelenruhe schneidet Enyedi diese Traumsequenzen in ihre Schlachthof-Geschichte, macht den Wald zum anderen Ort, an dem die Begegnung zwischen zwei Kreaturen so einfach möglich ist. Für die schüchterne Maria und den enttäuschten Endre ist die Sache schwieriger. Sie haben schon ihre Verletzungen erlebt, haben sich zurückgezogen auf sich selbst, weil das der sicherste Ort ist. Aber auch bei ihnen ist die Schneedecke über den Gefühlen noch nicht geschlossen, hat der Frost erst zögerlich eingesetzt. Und so erlebt der Zuschauer in zurückhaltenden Bildern, wie zwei sich vorwagen, Angsträume betreten, Rückschläge erleben, langsam wieder Lebendigkeit in ihr Leben eindringen lassen.
„Körper und Seele“ist kein vordergründig politischer Film und er ist viel zu traumverloren inszeniert, um ihn als einfache Metapher zu lesen. Doch die Regisseurin ist auch Realistin, die genau beobachtet und lakonisch vom Glück erzählt, das sich einstellt, wenn Menschen Fremdheitsgefühle überwinden. Enyedis Helden sind Randfiguren, Versehrte, zu sensibel für die Welt. Doch die Regisseurin zeigt ohne Pathos, welche Kraft in diesen Menschen ruht, wenn sie sich aussöhnen mit ihrem Anderssein. Die Kraft dazu schenken sie einander.
Mit der Treffsicherheit des Traums erzählt Enyedi eine Geschichte voll tastender Behutsamkeit. Sie kommt zur richtigen Zeit. Körper und Seele, Ungarn 2017 – Regie und Buch: Ildikó Enyedi, mit: Géza Morcsányi, Alexandra Borbély, Réka Tenki, Länge: 116 Minuten