Bürger spenden Haus für Flüchtlinge
Der Gemeinde Roetgen fehlten die Mittel für einen Neubau – also gaben Bürger und Unternehmen Geld. Das Engagement ist bundesweit einzigartig. Die erste Familie ist nun eingezogen.
ROETGEN Noch ist es etwas karg, aber Familie Saliu ist auch erst vor wenigen Tagen eingezogen. Usein und seine Frau Semija kamen vor gut zwei Jahren aus Mazedonien nach Roetgen in der Eifel nahe der belgischen Grenze bei Aachen. Nun leben sie mit ihren Kindern Melek (knapp 3) und Muhamed (1) in einer freundlichen Wohnung mit zwei Zimmern, Küche und Bad. Das neue Zuhause der Salius ist bundesweit einzigartig: Es wurde nur mit Hilfe
„Mittlerweile ist die Stimmungüberwiegend positiv“
Bernhard Müller von Spenden durch Bürger und Unternehmen finanziert.
Einer derjenigen, die das alles auf den Weg gebracht haben, ist Bernhard Müller, Vorsitzender des Vereins „Roetgen hilft Menschen in Not“. „Wir sind alle sehr stolz, dass es uns gelungen ist, das auf die Beine zu stellen, und dass es eine so große Zustimmung gibt“, sagt er. Viele der 8800 Einwohner haben mitgeholfen: Durch Spenden und Darlehen kamen mehr als 80.000 Euro zusammen, 30.000 durch Bürgschaften. Ein Energie-Unternehmen spendete 28.000 Euro für eine Heizungsanlage. Bauprofis und Fachbetriebe boten günstige Konditionen für die Arbeiten.
Um das Projekt letztendlich umzusetzen und Wohnungen nach modernem Qualitätsstandard zu errichten, stellte die Förderbank für Nordrhein-Westfalen (NRW.Bank) ein Darlehen zur Verfügung und einen Zuschuss – insgesamt mehr als 500.000 Euro. Die Gesamtkosten für das Bauprojekt liegen bei knapp 700.000 Euro, berichtet Müller. Das Grundstück hatte die Gemeinde erworben und anschließend an den Verein verpachtet.„Die Zusammenarbeit zwischen Ehrenamtlern, Verwaltung und Politik lief sehr gut“, betont Dirk Recker, allgemeiner Vertreter des Bürgermeisters. Langfristig soll der Bau generell als sozialer Wohnraum genutzt werden.
Aber warum wurde überhaupt neu gebaut? Schimmel, Dreck und Gestank – all das fand der Bauausschuss bei der Besichtigung des alten Flüchtlingsheims vor drei Jahren vor. „Es war klar: Wir müssen etwas Neues machen“, so erinnert sich Müller. Da die Gemeindekasse leer war, gründeten Bürger den Hilfsverein. „Wir wollten kein Heim bauen, sondern ein Haus, das sich in die Nachbarschaft einfügt“, erklärt Müller. Der Gemeinderat hatte schon früh beschlossen, dass er die Flüchtlinge dezentral unterbringen will. So sollte eine Ghettoisierung vermieden werden . Die Gemeinde hat überproportional viele Flüchtlinge aufgenommen. Zwischenzeitlich, so erklärt Müller, habe man über dem Anteil von zwei Prozent an der Gesamtbevölkerung gelegen. In Spitzenzeiten lebten bis zu 200 Flüchtlinge in Roetgen, zurzeit liege man bei 130. Und 30 neue Mitbürger werden bereits wieder erwartet.
Nicht alle Roetgener haben das Projekt, für das der Grundstein im November 2016 gelegt wurde, mit Enthusiasmus begleitet. Das Grundstück liegt umgeben von Häusern einer Siedlungsgemeinschaft. Es gab Befürchtungen, die jungen Flüchtlinge säßen immer vor der Tür und wären laut. Andere be- fürchteten sexuelle Übergriffe. „Aber wir haben die Kritiker immer eingebunden, sie über alle Schritte informiert und sind auf ihre Änderungswünsche eingegangen“, betont Müller. So wurden die Dachgauben wegen der Lautstärke nur zu einer Seite ausgerichtet, ein Nachbar bekam einen Sichtschutzzaun.
Die Begeisterung der neuen Bauherren war aber ansteckend: Einige Anwohner sind ebenfalls Mitglied geworden. Die Eröffnung wurde bereits gemeinsam gefeiert. Nachbarn haben die Salius als erste Bewohner willkommen geheißen und übernehmen Patenschaften für die Familie. „Mittlerweile ist die Stimmung überwiegend positiv“, sagt Müller. Aber nicht bei allen: Überraschenderweise seien die Nachbarn, die selbst einen Migrationshintergrund haben, eher zurückhaltend.
Das Rupert-Neudeck-Haus vermietet der Verein nun an die Gemeinde. Einziehen dürfen Menschen, die sich im Asylverfahren befinden oder geduldet sind. Es bietet Platz für drei Familien, in zwei Wohnungen werden junge Erwachsene untergebracht. Betreut werden die Bewohner auch von den engagierten Mitgliedern des Flüchtlingsrats.
Der Aufenthaltsstatus der Familie Saliu war bisher immer sehr unsicher und wurde nur für jeweils ein paar Monate verlängert, erklärt Maria Feige vom Flüchtlingsrat. Da aber Vater Usein in diesem September einen Ausbildungsplatz im Hotel- und Gaststättengewerbe gefunden hat, den auch das Ausländeramt anerkennt, haben sie nun eine Erlaubnis für drei Jahre erhalten. Auch wenn der Weg zum Kindergarten, zur Arbeitsstelle und zum Einkaufen nun ein wenig weiter und mühsamer ist, sind die vier froh über ihr neues Zuhause. In der früheren Wohnung mussten sie immer eine kleine Küche teilen mit Flüchtlingen anderer Nationen.
Noch diese Woche bekommen die Salius Nachbarn. Vermutlich morgen zieht eine albanische Familie mit drei kleinen Kindern ein.
Verein „Roetgen hilft Menschen in Not“