Englische Fußball-Evolution
Der Nachwuchs von der Insel gewinnt ein Turnier nach dem anderen. Das A-Team hofft, endlich davon zu profitieren.
KÖLN Deutschland hat den ConfedCup gewonnen. Deutschland hat die U-21-Europameisterschaft gewonnen. Deutschland hat alle zehn Qualifikationsspiele zur Weltmeisterschaft 2018 gewonnen. Und was macht Bundestrainer Joachim Löw? Bricht er in vorzeitigen Jubel zur längst feststehenden Titelverteidigung in Russland aus? Preist er Tiefe und Qualität seines Kaders, die Talente, den deutschen Fußball an sich? Nein. Der oberste Fußballlehrer der Nation warnt. Er sagt: „Wir müssen uns erheblich steigern.“Und damit auch jeder weiß, was das bedeutet, sagt er: „Wir brauchen eine übermenschliche Motivation. Jeder Spieler muss eine fast übermenschliche Leistung vollbringen.“Puh!
Sein Team ist in den beiden letzten Länderspielen des Jahres vielleicht nicht zu übermenschlichen Anstrengungen verpflichtet. Aber ihr wird morgen in England und am nächsten Dienstag in Köln gegen Frankreich sicher ein bisschen mehr abverlangt als in der Qualifikation von Zwergen wie San Marino und Riesenzwergen wie Norwegen.
Nicht nur Löw hat erkannt, dass es für eine deutsche Überheblichkeit im internationalen Vergleich keinen Grund gibt. „In Spanien, Frankreich und England gibt es überragende Talente“, erklärt der Bundestrainer. Vor allem wohl in England, dem Gastgeber morgen im Wembleystadion. Das ist sogar statistisch erwiesen. England ist Weltmeister bei den U17- und U20-Junioren und U19-Europameister. Bei der U21-EM stand das Land im Halbfinale. Einen deutlicheren Qualitätsnachweis gibt es nicht. Löw findet: „England ist so stark wie seit Jahren nicht.“
Die Entwicklung kommt nicht von heute auf morgen. Auch im Land, das sich als Erfinder des Fußballs sieht, sind Erfolge der Nachwuchsteams das Ergebnis konsequenter Sichtung und Förderung. Dennoch ist der Aufwärtstrend in der A-Mannschaft nur bedingt sichtbar. Sie galt in jüngerer Vergangenheit immer wieder mal als aussichtsreicher Kandidat bei den großen Turnieren. Doch auch zuletzt bei der EM in Frankreich scheiterte das Team ziemlich kläglich. Island gewann das Achtelfinale unter beifälligem Gelächter der Weltöffentlichkeit mit 2:1.
Wie so oft war die englische Mannschaft von den vielen Wettbewerben, in denen sich die Spitzenklubs von der Insel aufreiben müssen, erkennbar ermattet. Es fehlte ihr an Frische und Inspiration. Das lag auch daran, dass ehemalige Spitzenspieler wie Wayne Rooney sichtlich in die Jahre gekommen waren. Er schleppte sich ohne Tempo und Ideen durchs Turnier.
Rooney ist Vergangenheit. Und die einst sprichwörtliche Spielweise mit langen Bällen, unerschrockenen Kopfballungeheuern und ruppig herumgrätschenden Abwehrspielern ebenfalls. Ansätze dieses Stils sind allenfalls noch in Nordirland oder Schottland zu besichti- gen. Das englische Nationalteam hat längst zum eher kontinentalen Fußball gefunden, bei dem das Spielgerät meist flach über die Grasnarbe gespielt wird und bei dem sich die Ansicht durchgesetzt hat, dass Zweikämpfe im Liegen meist nicht gewonnen werden.
Die vielen Trainer aus aller Herren Länder haben den englischen Fußball in der Premier League verändert. Ein Pionier der ersten Stunde ist der ewige Arsène Wenger, der seit 1996 dem FC Arsenal die Schönheiten des Kombinationsspiels vermittelt. Weil die Spitzenmannschaften der ersten englischen Liga schon lange nicht mehr bolzen, tut es das Nationalteam auch nicht.
Die jungen Spieler kennen das einst so berühmte „Kick and rush“nur noch aus den Erzählungen ihrer Großväter. Sie sind mit den Feinheiten des Spiels der Premier League