Rheinische Post Viersen

Der Krimi-Gipfel

Das Jahr 2018 wird ein Jahr mit noch mehr Krimis als das Jahr 2017 werden. Wir sprachen mit Krefelder Polizisten über deutsche und amerikanis­che Krimi-Kultur. Im Gespräch: Gerhard Hoppmann, seit 1990 Leiter der Mordkommis­sion, und Karin Kretzer, Leiterin

-

Beim Weimar-„Tatort“am Sonntag bin ich nach 20 Minuten ausgestieg­en, weil er mir zu doof war. Haben Sie zufällig reingescha­ut?

HOPPMANN Ja, und ich muss widersprec­hen. Die Krimi-Handlung konnte man nicht ernstnehme­n, und man sollte es auch nicht, denn es war eine Komödie. Der Film war voller Wortwitz, die Schauspiel­er waren gut. Ich fand ihn unterm Strich sehr unterhalts­am.

Wenn man als Profi Krimis guckt: Regt man sich nicht ständig darüber auf, wie dämlich sich Fernsehkom­missare anstellen?

HOPPMANN Genau. (lacht) Und deswegen schaue ich mir Krimis nur in Ausnahmefä­llen an, wie den Weimar-Tatort, weil ich wusste: Das ist mehr eine Komödie als etwas anderes. Ansonsten gilt: Wenn ich tatsächlic­h mal einen Krimi sehe, ärgere ich mich. Und das ist vor allem bei deutschen Krimis so.

Warum?

HOPPMANN Sie erwecken den Anschein, als bildeten sie Realität ab. Dieses Bild prägt ja vielleicht auch das Bild in der Bevölkerun­g über Polizeiarb­eit. Und eben darüber ärgere ich mich so, dass ich meist wegschalte. Ich sehe lieber amerikanis­che Thriller, denn ich weiß: Die haben andere Methoden und ein anderes Rechtssyst­em, und dann ist es mir egal, was die wie darstellen.

Sind die näher dran an der Wirklichke­it? Frau Kretzer, Sie haben auch einmal beiläufig erwähnt, dass Sie US-Krimis bevorzugen.

KRETZER Als Pressespre­cherin hält mich die Mordkommis­sion immer auf dem Laufenden, aber ich muss die Ermittlung­en nicht im Detail kennen. Natürlich sehe auch den Unterschie­d zwischen Realität und Fiktion. Ich persönlich favorisier­e amerikanis­che Krimis. Die Kameraführ­ung, die Dialoge, das Erscheinun­gsbild und Auftreten der Ermittler. Das gefällt mir besser als in deutschen Krimis. Und die Frage der Realitätsn­ähe stellt sich nicht so dringlich wie bei deutschen Krimis. Da fragt man ja doch unwillkürl­ich: HOPPMANN (lacht) Ja. Bei uns geht es immer auch um Eigensiche­rung. Ermittler ziehen nicht alleine auf eigene Faust los. Wir arbeiten grundsätzl­ich zu zweit. Im Krimi mag es ja dramaturgi­sch notwendig sein, einen Helden zu haben, in der Realität spielt das Team eine große Rolle. Mordkommis­sionen sind landesweit immer gleich aufgebaut. Es gibt einen Kommission­sleiter und zwischen 15 und 20 Leute, die gemeinsam ermitteln. Anders als im Fernsehen gibt es bei uns keine Helden, die etwas alleine machen.

Ist das mit oder ohne die berühmte KTU, gern auch Spusi genannt?

HOPPMANN Mit. Und wir sagen nicht Spusi. Wir reden von Erkennungs­dienst oder KTU, das ist identisch. Diese Kollegen suchen einen Tatort nach Spuren wie Fingerabdr­ücke oder DNA-Spuren ab. Aus unserem Team sind aber auch zwei Kollegen damit beschäftig­t, den Tatort „zu machen“, wie es bei uns heißt. Das heißt: Sie mustern den Tatort nach dem System der Tat und fragen sich: Was hat der Täter getan, wie ist die Tat abgelaufen. Und die beschreibe­n den Tatort auch haarklein.

An Krimi-Tatorten ist immer viel los. Alle möglichen Personen laufen rein und raus; die Ermittler haben bestenfall­s Handschuhe an und plaudern mit dem Pathologen. Lieblingsf­rage: Was hast du für mich?

HOPPMANN Diese Szenerie ist irreal. Zum einen gilt: Einen Tatort betreten ausschließ­lich Ermittler. Alle tragen Papieranzü­ge und Mundschutz. Und meist ist gar kein Rechtsmedi­ziner dabei, denn der kann vor Ort nicht viel mehr feststelle­n als wir. Die ersten Untersuchu­ngen am Opfer führen Polizisten durch. Diese Todesermit­tler sind darin sehr versiert. Es gibt einen festen Kriterienk­atalog, wie man einen Toten untersucht. Solche Untersuchu­ngen am Tatort dauern teils mehrere Tage. Bei dem Mord in Emmerich haben wir drei volle Tage zur Sichtung des Tatortes gebraucht.

Beliebt sind Schätzunge­n über den Todeszeitp­unkt.

HOPPMANN Auch das ist meist irreal. In Krimis heißt es „gegen drei Uhr morgens“. Das geht meist bei weitem so genau nicht. Auch nach der Obduktion gibt es nur sehr ungefähre Schätzunge­n.

In Krimis knobeln die Ermittler gern allein oder zu zweit über mutmaßlich­e Tathergäng­e. Ist das so?

HOPPMANN. Ja und nein. Ja, wir reden und diskutiere­n natürlich auch über den möglichen Tathergang. Aber nein, das sind keine einsamen Zwiegesprä­che. Die Ermittlung­en koordinier­t der Ermittlung­sleiter vom Büro aus. Mindestens zweimal am Tag gibt es ausführlic­he Teambespre­chungen, in denen alle auf den Stand der Dinge gebracht werden. Diese Kommunikat­ion ist extrem wichtig, damit niemand in die falsche Richtung denkt.

In US-Serien ist die technische Ausstattun­g bombastisc­h, bis hin zu Hologramme­n, die Tote wiederaufe­rstehen lassen. Gibt’s diese Technik?

KRETZER Das ist sehr effektvoll, aber die Realität sieht anders aus. Technik spielt vor allem in der Laborarbei­t eine Rolle. Früher war zum Beispiel eine DNA-Untersuchu­ng sehr langwierig. Das geht heute deutlich schneller, vor allem bei Mord- sachen. Das kriegen wir innerhalb von Tagen die Ergebnisse.

In Krimis stehen die Ermittler regelmäßig beim Pathologen an der Leiche und plaudern. So oft im Münster-Tatort von Börne und Thiel gesehen.

HOPPMANN Im Prinzip ist das auch so. Bei Obduktione­n ist ein Kriminalbe­amter dabei. Nur dass man nicht zum Plaudern zusammenko­mmt, sondern sich über die Ergebnisse der Untersuchu­ngen austauscht. Auch dabei geht es darum, dass die Ermittler auf dem letzten Stand der Erkenntnis­se sind und man sofort etwa über die Herkunft von Verletzung­en reden kann. Woher kommt diese Wunde? Der Kriminalbe­amte kennt den Tatort und kann dazu wichtige Hinweise liefern. KRETZER Die US-Serie „Criminal Minds“zum Beispiel thematisie­rt den spannenden Arbeitsall­tag einer Spezialein­heit des FBI: Die BAU („Behavioral Analysis Unit“) in Quantico (USA) besteht aus einer Gruppe Profiler. Die Agenten erstellen Charaktera­nalysen verhaltens­auffällige­r Serientäte­r, um die nächsten Schritte der Killer vorherzusa­gen zu können oder Morde aufzukläre­n. Das ist zwar eine Krimiserie, beruht aber auf tatsächlic­hen Fällen. Das FBI war mit diesem Vorgehen beispielge­bend. Eine solche Analyse spielt mittlerwei­le auch bei uns eine wichtige Rolle. So werden Ermittler in NRW für diese Art Analysen aus- und fortgebild­et.

Die berühmten Profiler?

KRETZER Wir nutzen diesen Begriff nicht, sondern reden von Fallanalyt­ikern. Und die analysiere­n einen Mordfall und einen Tatort noch einmal unabhängig und unbeeinflu­sst von der Mordkommis­sion. Dieses Vorgehen hat sich bereits bewährt.

In US-Serien werden auch gern die Tat-Versionen in je eigenen Rückblende­n dargestell­t.

HOPPMANN Das gibt es im Prinzip auch bei uns. Wir stellen auch Szenen nach, auch Zeugenauss­agen werden so überprüft. Es gab schon Fälle, bei denen sich herausstel­lte: So, wie der Zeuge es gesehen haben will, kann er es gar nicht gesehen haben. Auch Altersschä­tzungen überprüfen wir, indem wir Zeugen bitten, vergleichs­weise das Alter anderer Leute zu schätzen. So bekommt man eine Idee davon, welche Vorstellun­g der Zeuge hat.

Mir fällt auch auf, dass der Notizblock ausgestorb­en ist. Bei Kommissar Erik Ode hat sich immer jemand Notizen gemacht, auch Columbo hatte seinen Notizblock. Heute merken sich Kommissare alles.

KRETZER Das ist natürlich Unsinn. Wir dokumentie­ren alles akribisch. Der Kommissar war ja auch vom Typ her ganz anders. Sehr ruhig und sachlich. Heute haben TV-Ermittler oft eine „persönlich­e Macke“, die sie von anderen abhebt. Siehe Faber aus dem Dortmund-Tatort. Offenbar sind sie nur dann interessan­t genug für eine Krimi-Erzählung.

Herr Hoppmann, was, wenn einer aus Ihrem Team so wäre?

HOPPMANN Er könnte und dürfte nicht bei uns weiterarbe­iten. Für die Arbeit in der Mordkommis­sion braucht man eine stabile Psyche. Es kommt auch vor, dass Kollegen sa- gen: Ich kann das nicht mehr. Im Übrigen steht mir Erik Ode näher als heutige Krimi-Ermittler. Er ist seine Fälle mit ruhiger Hand angegangen, so wie wir das auch machen.

In Krimis wird auch Verdächtig­en gegenüber gerne geblufft, um sie zum Geständnis zu kriegen. Machen Sie das so?

HOPPMANN Nein. Wir halten uns strikt an Rechtsvorg­aben, sonst sind Ergebnisse nicht mehr gerichtsve­rwertbar. Das sind wir sehr genau und sehr empfindlic­h. Auch Schläge oder Drohungen gegenüber Verdächtig­en sind strikt untersagt. Daran halten wir uns selbstvers­tändlich.

Gibt es einen Krimi-Autor, der Ihnen besonders gefällt?

HOPPMANN Die Wallander-Romane haben mir sehr zugesagt. Wallander hat seine Probleme und seine Fehler, er ist kein Überheld und in der Ermittlung profession­ell und teamorient­iert. Seine Art zu ermitteln, Ergebnisse immer wieder durchzugeh­en, Sackgassen zu erkennen und wieder herauszuko­mmen, neu anzusetzen – das hat mir sehr gut gefallen.

Typisch für deutsche Krimis ist auch, dass Chefs allesamt Vollidiote­n sind. Die kommen rein, sagen Dinge wie: „Der Minister sitzt mir im Nacken, ich will Ergebnisse“, oder sie drängen darauf, irgendeine­n Jupp Schmitz zum Täter zu machen, damit man einen Täter präsentier­en kann.

HOPPMANN (lacht) Es baut sich schon Druck auf, vor allem bei Fällen, die die Öffentlich­keit aufwühlen. Aber bei uns ist das kein negativer Druck der Führung, sondern ganz im Gegenteil, Interesse und Unterstütz­ung. Und die „obere Ebene“versteht auch etwas davon. Einen Verdächtig­en vorschnell zum Täter abstempeln – das würde niemand machen.

Macht es Ihnen eigentlich Sorgen, dass heute täglich Krimis zu sehen sind, die ja im Prinzip immer schrecklic­he Geschichte­n erzählen, oft verkleidet als Spaßnummer wie

Karin Kretzer

bei den Rosenheim-Cops? Ist dieser Trend Anzeichen für eine kollektive Verrohung?

HOPPMANN Sorgen kann man sich schon machen. Wenn man jeden Tag so etwas sieht, prägt das ja vielleicht doch die Sicht auf die Welt und das eigene Verhalten, und sei es, dass man sich an das Muster von Gewalt gewöhnt. Das ist aber kein Muster, sondern die schrecklic­he Ausnahme. Das sollte man sich immer mal wieder klarmachen. JENS VOSS FÜHRT DAS GESPRÄCH.

 ?? RP-FOTOS (3): THOMAS LAMMERTZ ?? Gerhard Hoppmann, als Erster Kriminalha­uptkommiss­ar Leiter des Kriminalko­mmissariat­es 11, und Karin Kretzer, als Erste Kriminalha­uptkommiss­arin Leiterin der Pressestel­le, trafen sich mit der RP zu einem Gespräch über den Wahrheitsg­ehalt von...
RP-FOTOS (3): THOMAS LAMMERTZ Gerhard Hoppmann, als Erster Kriminalha­uptkommiss­ar Leiter des Kriminalko­mmissariat­es 11, und Karin Kretzer, als Erste Kriminalha­uptkommiss­arin Leiterin der Pressestel­le, trafen sich mit der RP zu einem Gespräch über den Wahrheitsg­ehalt von...
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany