Die Iran-Illusion
TEHERAN Unser Bild vom Iran ist geprägt von Bildern wie aus einem Hollywood-Streifen. Das Land wirkt in dieser Vorstellung wie ein düsteres Imperium, an dessen Spitze allmächtig der ganz in Schwarz gewandete Revolutionsführer Ali Chamenei thront, bejubelt von seiner Gefolgschaft frömmelnder Mullahs und beschützt von seinen grimmigen Revolutionsgardisten. Zum Glück glimmt noch die Kraft des Guten in diesem Land, in Gestalt des mutigen Präsidenten Hassan Ruhani und seiner Truppe der Reformer, die den erzkonservativen Mächten der Finsternis die Stirn bieten und dafür kämpfen, dass der Iran eine liberale Demokratie wird.
Für eine Kinoproduktion mag ein solches Drehbuch funktionieren, mit der Wirklichkeit hat es nicht viel zu tun. Die ist im Iran weitaus komplizierter als das Schwarzweiß-Schema von Gut und Böse. Und genau dies macht die Einschätzung der derzeitigen Proteste und ihrer möglichen Tragweite auch so schwer.
Klar ist nur, dass es in Teilen der iranischen Bevölkerung ein tiefes Gefühl der Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen gibt. Das bezieht sich vor allem auf die sozio-ökonomische Situation vieler Menschen: Fast jeder zweite Iraner lebt bedrohlich nahe an der Armutsgrenze, während viele Günstlinge und Profiteure des Regimes ihren Reichtum ungeniert zur Schau stellen dürfen. Der Protest richtet sich gegen diese soziale Unwucht, gegen die allgegenwärtige Korruption, aber durchaus auch gegen den politischen Stillstand, der das Land wirtschaftlich wie gesellschaftlich lähmt.
Das liegt vor allem daran, dass die von Ajatollah Khomeini vor beinahe vier Jahrzehnten begründete Theokratie nicht für einschneidende Veränderungen angelegt ist. Die Islamische Republik wurde mit dem Anspruch ins Leben gerufen, als ideale Staatsform unbegrenzt fortzubestehen. Und das letz- te Wort in diesem Staat haben nicht die Bürger, nicht die Politiker, sondern der hohe Klerus. Die Geistlichen mit Ali Chamenei an ihrer Spitze bestimmen die Spielregeln der Politik. Auch bei den vergangenen Wahlen schlossen sie 90 Prozent der Kandidaten, nämlich all jene, die den Konservativen ideologisch nicht opportun erschienen, von der Abstimmung aus. Auch die Entscheidung, wer als Präsident kandidieren darf, fällt in diesem Machtzirkel.
Deswegen ist die Vorstellung, der derzeitige Amtsinhaber Hassan Ruhani sei so etwas wie der rebellische Gegenspieler des Revolutionsführers, eine naive Illusion. Ruhani durfte sich nur deswegen zweimal um das höchste politische Amt bewerben, weil sich Chamenei sicher sein konnte, dass Ruhani die absolute Vorherrschaft der Kleriker niemals antasten würde. Ruhani mit seinem verbindlichen Auftreten war nützlich, weil er das Ende der westlichen Sanktionen herbeiverhandeln konnte. Er ist ein moderater Konservativer, der den Bürgern mehr Freiheiten zugestehen und die Wirtschaft stärker für ausländische Investitionen öffnen will. Ein radikaler Reformer, der einen Systemwechsel anstrebt, ist Ruhani ganz gewiss nicht.
In gewisser Weise ist die Lage im Iran vergleichbar mit der Situation in vielen Ostblockstaaten in den Jahren unmittelbar vor dem Fall der Mauer: Fast überall wurden wirtschaftliche Reformen versucht, die aber ihre Wirkung kaum entfalten konnten, weil das ideologische Korsett zugeschnürt blieb und vor allem an den Machtverhältnissen nicht gerüttelt werden durfte. Der Ostblock zerbrach an diesen Widersprüchen, und ähnliches könnte auch im Iran passieren. Was leider nicht bedeutet, dass dieser Umbruch ebenso unblutig verlaufen würde wie das Ende des real existierenden Sozialismus.
Denn es gibt mächtige Gruppen im Iran, die größtes Interesse daran haben, dass sich möglichst wenig ändert. Neben der herrschenden Geistlichkeit
Die Vorstellung, Ruhani sei der rebellische Gegenspieler des Revolutionsführers, ist naiv