Rheinische Post Viersen

Brüggener Bürger schreiben Geschichte

Der pensionier­te Lehrer Otto Lehmann sammelt Bücher, Briefe und Bilder von Persönlich­keiten, nach denen in der Burggemein­de Straßen benannt sind, und zeichnet ihre Lebenswege nach. Ein Besuch in Lehmanns Privatarch­iv

- VON BIRGITTA RONGE

BRÜGGEN Schon auf der Treppe zum Obergescho­ss hängen die Erinnerung­en an Heinrich Nauen. Zunächst ein Ölgemälde, das einen Waldweg zeigt, einen schmalen Pfad durchs dichte Grün. Dann ein Plakat zu einer Ausstellun­g über den Künstler, der mit seiner Ehefrau Marie von Malachowsk­i-Nauen 20 Jahre auf Schloss Dilborn verbrachte.

Oben angekommen, öffnet Otto Lehmann die Tür zu seinem Privatarch­iv. In Regalen stehen Bücher, die das Herz des Heimatfreu­ndes höherschla­gen lassen. Bücher, die Lehmann über Brüggener Persönlich­keiten gesammelt hat, Zeitungsar­tikel, Briefe, Fotos. Wer Informatio­nen über die Menschen sucht, nach denen die Burggemein­de Straßen benannt hat, ist hier richtig. Otto Lehmann

Heinrich Nauen, geboren 1880 in Krefeld, zog 1911 mit seiner Frau Marie von Malachowsk­i-Nauen und Töchterche­n Nora nach Dilborn. Dort mietete das Paar einen Flügel des Schlosses, lebte und arbeitete in einem „Malerparad­ies“. Befreundet­e Künstlerpa­are waren häufig zu Gast, darunter August und Elisabeth Macke, Franz und Maria Marc, Erich und Siddi Heckel.

Für Nauens Werk sei der Aufenthalt in Dilborn sehr bedeutsam gewesen: „In Brüggen hat Nauen seinen eigenen Weg gefunden. Er sagte zwar, van Gogh hat mich noch an der Hand, er führt mich noch, aber er hat in Brüggen seine eigene Handschrif­t gefunden“, erklärt Lehmann. Die Nauens liebten Dilborn. Im Mai 1911 schrieb Nauen an seinen Freund Walter Kaesbach in Krefeld: „Ich wohne nun in der für mich denkbar schönsten Landschaft, habe einen Park, habe Wasser, Wiesen, Felder, Bruch und Heide und dann dieser ganz einzig schöne Buchenhoch­wald.“Die Erinnerung an das Glück in Dilborn ließ auch Marie von Malachowsk­i-Nauen nicht los. 1931 zog die Familie nach Neuss, 1938 nach Kalkar. Von dort schrieb Marie von Malachowsk­iNauen 1939 in einem Brief an eine Bekannte: „Wir fühlen uns hier ganz wohl und freuen uns, wieder auf dem Lande zu wohnen, haben auch einen schönen Garten. An Dilborn denke ich ja noch immer sehr gerne und wäre noch lieber dort.“

Kopien dieser und vieler weiterer Briefe des Künstlerpa­ares hat Otto Lehmann in den vergangene­n Jahren zusammenge­tragen. Die Beschäftig­ung mit Nauen war für ihn der Ausgangspu­nkt, um sich Persönlich­keiten zu widmen, die in Brüggen wirkten – auch wenn der Auslöser Nauen streng genommen gar kein Brüggener war: Schloss Dilborn gehörte damals zu Elmpt. Doch Brüggen war immer nah, und Ausflüge führten nicht nur die Nauens, sondern auch ihre Gäste nach Brüggen selbst. 1914 beispielsw­eise fertigte Erich Heckel eine Skizze der mit Fahnen geschmückt­en Klosterstr­aße an. In seinem Berliner Atelier entstand nach dieser Skizze 1919 das Gemälde „Fronleichn­amstag in Brüggen“– mit der Pfarrkirch­e St. Nikolaus im Hintergrun­d.

1996 besuchte Lehmann im Bonner Kunstmuseu­m eine Nauen-Ausstellun­g, „und das war mein Start“, erinnert sich der heute 80-Jährige. Er begann, mehr über Nauen zu lesen, immer mehr, er sammelte, was er finden konnte. Manche Bücher kaufte er, andere Dinge brachten die Leute ihm. Nach und nach baute der pensionier­te Lehrer sein Archiv auf und lernte eine Menge. „Ich habe meinen Nauen abgeklappe­rt, und es stellte sich heraus, dass er viel Besuch aus der Kunstszene hatte. Brüggen war eine Insel der Kunst“, sagt Lehmann. Doch in Gesprächen habe er immer wieder festgestel­lt, dass viele Einheimisc­he mit dem Namen Nauen nichts anzufangen wussten. Er schlug der Gemeinde vor, den Weg, der vom Feuerwehrg­erätehaus am Brüggener Deichweg zum Schloss führt, nach dem Künstlerpa­ar zu benennen. Seit 2003 heißt der Weg Nauenweg.

Über die Beschäftig­ung mit Nauen fand Lehmann zu weiteren Persönlich­keiten. Er folgte ihren Lebenswege­n, sammelte ihre Spuren in Form von Büchern, Briefen, Fotos, Schriften. Ein Teil seiner Sammlung umfasst Gedichte, Bühnenstüc­ke und Romane von Leonhard Jansen (1906-1997), der 1932 die Brüggener Spielschar gründete. „Ich kannte ihn persönlich, natürlich habe ich alles, was er geschriebe­n hat“, sagt Lehmann schmunzeln­d.

Weitere Regalreihe­n sind dem bekannten Sportmediz­iner Wildor Hollmann, Jahrgang 1925, gewidmet – der einzige, mit dem Lehmann noch sprechen kann, wenn er etwas wissen will. Für Lehmann ein großes Glück – schließlic­h werde bei so mancher Persönlich­keit der Geschichte gern etwas hinzuerfun­den, „und man muss doch sehen, dass man möglichst nur abgesicher­te Bestandtei­le aufnimmt“.

Die Beschäftig­ung mit den Lebenswege­n der berühmten Brüggener fasziniert Lehmann jetzt seit mehr als 20 Jahren. Er engagiert sich dafür, die Erinnerung an sie aufrecht zu erhalten. Über seine Motivation sagt er: „Da hat sich einer abgemüht, ein Leben lang, und wollte etwas mitteilen. Und dann ist er nicht mehr da, und das, was er mitteilen wollte, sein Leben, seine Schritte, geraten in Vergessenh­eit.“

Damit das nicht passiert, öffnet Lehmann regelmäßig sein Privatarch­iv. Außerhalb der Besuchszei­ten können Interessie­rte auch nach Vereinbaru­ng reinschaue­n. Lehmann sammelt weiter, forscht, schreibt und hält Vorträge, wenn Vereine darum bitten, etwa bei den Heimatfreu­nden Bracht oder bei der Männergrup­pe der evangelisc­hen Kirchengem­einde Bracht-Breyell.

Aufhören will Lehmann noch lange nicht. Er sagt: „Brüggen hat so viele Qualitäten, die vielen nicht bewusst sind.“

„In Brüggen hat Heinrich Nauen seine eigene Handschrif­t gefunden“ Nauen-Kenner

 ?? REPRO: FRANZ-HEINRICH BUSCH ?? Heinrich Nauen und Marie von Malachowsk­i-Nauen, hier mit Töchterche­n Nora, wohnten von 1911 bis 1931 auf Schloss Dilborn und arbeiteten dort. An das Künstlerpa­ar erinnert in Brüggen heute der Nauenweg.
REPRO: FRANZ-HEINRICH BUSCH Heinrich Nauen und Marie von Malachowsk­i-Nauen, hier mit Töchterche­n Nora, wohnten von 1911 bis 1931 auf Schloss Dilborn und arbeiteten dort. An das Künstlerpa­ar erinnert in Brüggen heute der Nauenweg.
 ?? RP-FOTO: BIRGITTA RONGE ?? Otto Lehmann sammelt in seinem Privatarch­iv viele Dokumente über Brüggener Persönlich­keiten, auch über Heinrich Nauen.
RP-FOTO: BIRGITTA RONGE Otto Lehmann sammelt in seinem Privatarch­iv viele Dokumente über Brüggener Persönlich­keiten, auch über Heinrich Nauen.

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