Auf Bewährung
Immer freitags treffen sich an der Universität Heidelberg die Liebhaber des Gesellschaftsrechts. Ein edler Club in einem gläsernen Hörsaal, in dem selten einer fehlt. Auch nicht Stephan Harbarth. Der Honorarprofessor gilt als optimaler Lehrer. Verlässlich, missversteht die Fragen nicht, labert nicht rum, sagen sie an der juristischen Fakultät.
Ein Star sei Harbarth, überaus beliebt und, das wird noch wichtig werden, „sehr unbestechlich“.
Für die Heidelberger Fakultät war folgende Nachricht daher nicht rundherum positiv: Stephan Harbarth, der Star des Gesellschaftsrechts, wechselt nämlich in einen anderen edlen Club, der unregelmäßig in einem gläsernen Gerichtssaal tagt. Er ist vom Bundesrat zum Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts gewählt worden und leitet fortan den Ersten Senat. 2020, wenn Andreas Voßkuhles Amtszeit endet, wird Harbarth wohl Präsident werden. So läuft das in Karlsruhe.
Diese Personalie lässt die Republik erstaunlich kalt. Von Stephan Harbarth dürften die meisten Deutschen noch nie etwas gehört haben, obwohl er bislang im Deutschen Bundestag saß, dort stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion war und als Rechtsanwalt in einer überaus angesehenen Sozietät aus Mannheim arbeitete. Abgesehen von Insidern und Politjunkies, nahm die Öffentlichkeit bisher nicht groß Notiz von diesem Stephan Harbarth.
Das wird sich nun, wenngleich nicht radikal, aber immerhin ein wenig ändern. In Deutschland tauchen traditionell die Richter des mächtigsten Gerichts fast nirgends auf. Sie geben kaum Interviews, halten selten Vorträge, lassen sich mit fast nichts zitieren. Die 16 Richter der zwei Senate gehen in einem Kollektiv auf, das lediglich durch seine Entscheidungen spricht: das Bundesverfassungsgericht. Es gibt nur zwei Ausnahmen, und das sind Vizepräsident und Präsident des Gerichts.
Stephan Harbarth wird daher ein öffentliches Amt bekleiden. Er wird zunächst Stellvertreter und später tatsächlich fünfter Mann im Staat. Er wird oberster Repräsentant der Judikative, der dritten Gewalt. Er muss damit wie kein Zweiter für Unabhängigkeit, Unerschrockenheit und Rechtstreue stehen. Denn, das ist längst klar, das Vertrauen in den Rechtsstaat steht auf dem Spiel.
Insofern ist es nicht ganz uninteressant, wer dieser Stephan Harbarth ist, was er vorhat und wo er herkommt. Harbarth, geboren im Dezember 1971, aufgewachsen im beschaulichen Schriesheim an der Bergstraße, Jurastudium in Heidelberg, promovierte 1998 über Anlegerschutz in öffentlichen Unternehmen. Anschließend hängte er ein Aufbaustudium in Yale dran. Seither arbeitete Harbarth als Wirtschaftsanwalt, zuletzt für die Sozietät Schilling, Zutt und Anschütz, bei der er pro Jahr mehr als 250.000 Euro verdiente. Harbarth ist katholisch, verheiratet und hat drei Kinder. CDU-Mitglied ist Harbarth seit 1993. 2009, 2013 und 2017 wählte ihn die Rhein-Neckar-Region direkt in den Bundestag. Er saß für die Union im Rechtsausschuss, zuletzt war er stellvertretender Chef der Fraktion, unter anderem zuständig für Recht.
Aus diesem Lebenslauf erwachsen zwei Umstände, die für einen Vizepräsidenten des Verfassungsgerichts ungewöhnlich sind. Mit Harbarth wechselt nicht nur einer aus der vorderen Reihen des Bundestags in die Judikative, sondern auch ein Rechtsanwalt. Der letzte Anwalt schied 2005 aus dem Gericht aus. Der letzte Politiker, der an das Gericht kam, hieß Peter Müller, ebenfalls CDU, früherer Ministerpräsident des Saarlandes.
Interessanterweise rief Müllers Wechsel 2011 deutlich mehr Kritik hervor, als es nun bei Harbarth der Fall ist. Die Nähe zur Politik, die bei Müller viele eher anrüchig fanden, gilt bei Harbarth
Die Nähe zur Politik, die bei Müller viele eher anrüchig fanden, gilt bei Harbarth plötzlich als befruchtend