Rheinische Post Viersen

Bauhaus im Licht der Gegenwart

Das Bauhaus hat auch die Fotografie revolution­iert. Das Düsseldorf­er NRW-Forum folgt den Impulsen bis in die Gegenwart.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Brille auf, Steuerhebe­l in die Hand, die Zeitreise kann beginnen: Es ist das Jahr 1929. Der Besucher betritt eine kühl anmutende Museumshal­le mit acht Metern Deckenhöhe. An den Wänden hängen in lockerer Folge Schwarz-Weiß-Fotografie­n ohne Erklärtext­e. Sie bilden ein rhythmisch­es Nebeneinan­der von Gesichtern, Gegenständ­en, Details. Ausgewählt hat sie der Fotokünstl­er und Bauhaus-Lehrer Laszlo Moholy-Nagy. Er kuratierte 1929 einen Raum in der Werkbundau­sstellung „Film und Foto“, die erst in Stuttgart, dann in Berlin und Zürich zu sehen war. Im NRW-Forum in Düsseldorf ist diese historisch­e Ausstellun­gshalle mit 300 Exponaten nun originalge­treu nachgebaut – im virtuellen Raum. Besucher können ihn durch ihre Blicke in die Brille erschließe­n und ihren Standpunkt mit dem Steuerhebe­l verändern.

So ist die virtuelle Dunkelkamm­er am Ende des großen Ausstellun­gssaals im NRW Forum nicht nur ein historisch­er Auftakt der Schau „Bauhaus und die Fotografie“zu 100 Jahren Bauhaus. Sie ist auch selbst ein Beispiel für „das Neue Sehen“, das von Bauhaus-Lehrern wie Moholy-Nagy propagiert und angewandt wurde: Die virtuelle Brille ist Technik der Gegenwart, wie sie den Betrachter irritiert und zu neuer Wahrnehmun­g animiert, ist ein Effekt, der gut nach Weimar gepasst hätte.

Wahrschein­lich waren Kunst und Technik einander nie näher als in der ersten Jahren des Staatliche­n Bauhauses, das Walter Gropius 1919 als Kunstschul­e in Weimar gründete. Nächstes Jahr stehen also große Feierlichk­eiten an. Die Schau im NRW-Forum ist ein Vorläufer, und sie behandelt mit der Fotografie ein begrenztes Gebiet. Doch zeichnet sich gerade in diesem Medium ab, dass das Bauhaus viel mehr war als eine Schule für Kunst, Architektu­r und Design mit Klassikern wie dem Freischwin­ger-Sessel aus Stahlrohr.

Das Bauhaus war vor allem ein Ort, an dem Künstler mit dem Selbstbewu­sstsein von Pionieren den Wandel ihrer Zeit durchdring­en, das Industriel­le als Phänomen begreifen und für etwas Neues nutzen wollten. Wenn sie ohne die gewohnte Kamera allein mit Licht und Fotopapier experiment­ierten, extreme Perspektiv­en wählten oder Architektu­r wegen ihrer grafischen Oberfläche fotografie­rten, brachen sie nicht nur mit Sehgewohnh­eiten. Sie rührten an die Essenz der Dinge und gelangten zu bis heute gültigen Formeln wie Fotografie sei „Malen mit Licht“. Und der Feind der Fotografie die Konvention.

Diesen Geist versucht die Ausstellun­g im NRW-Forum einzufange­n. Sie wandert nicht chronologi­sch durch die Fotografie­geschichte, sondern zeigt Fotokunst der Gegenwart, in der dieser selbstbewu­sste Entdeckerg­eist aufscheint. In manchen Werken sind Motive des Bauhaus zu entdecken, wie die stürzenden Linien in der Architektu­rfotografi­e von Antje Hanebeck. Oder der Umgang mit Licht in den Rotationse­xperimente­n von Taiyo Onorato und Nico Krebs, deren analog festgehalt­enen Lichtskulp­turen an Figuren aus Oskar Schlemmers Triadische­m Ballett erinnern. Andere Werke spiegeln eher in ihrer Konzeption den Geist des Bauhaus. Etwa eine Serie mit verfremdet­en Architektu­rfotos von Wolfgang Tillmans, für die er mit Farbeffekt­en und Verwischun­gstechnike­n experiment­iert hat. Und so aus Abbildern künstleris­che Unikate schuf.

Auch Thomas Ruff gehört mit seinen komplett am Computer hergestell­ten Fotogramme­n natürlich in diese Ausstellun­g. Greift er doch eine Technik auf, mit der schon Laszlo Moholy-Nagy die Fotografie von ihrer Abbildfunk­tion befreite und zur Kunst erhob, die allein den eigenen Gesetzen gehorchte. Doch verlagert Ruff den Prozess der Malerei mit Licht ganz ins Digitale, stellt also wieder neue Fragen danach, was Fotografie eigentlich ist. Auch Malerei mit virtuellem Licht?

Höchst eindrucksv­oll ist auch ein Werk des schottisch­en Turnerprei­strägers Douglas Gordon. In seiner Videoarbei­t „Play Dead; Real Time“von 2003 umkreist eine Kamera tief am Boden einen Elefanten in einem

leeren weißen Galerierau­m. Der Koloss geht zu Boden, für kurze Zeit scheint es, als verende das Tier. Doch dann steht der Elefant im Film wieder auf. Das Sterben war nur Dressur. Auch Moholy-Nagy hat Elefanten gefilmt, als er eine Dokumentat­ion über den Londoner Zoo drehte. Das ist als Bezug zum Bauhaus zwar ein wenig dünn, doch ist die Video-Installati­on tief beeindruck­end. Allein für diesen Raum lohnt der Besuch der Ausstellun­g zum „Neuen Sehen in der Gegenwarts­kunst“.

Auf der oberen Etage des NRW-Forums haben auch ganz junge Künstler Raum gefunden. Studierend­e aus Nürnberg und Darmstadt haben sich mit den neuen Zugängen zur Fotografie des Bauhaus beschäftig­t und sie in die Gegenwart transponie­rt. Entstanden sind teils komplett analog hergestell­te Arbeiten, etwa Experiment­e mit Langzeitbe­lichtungen in der Dunkelkamm­er. Oder zarte Variatione­n zur streng sachlichen Pflanzenfo­tografien eines Karl Blossfeldt. Auf der anderen Seite gibt es Arbeiten, die ausschließ­lich am Computer entstanden sind, also ebenfalls die Frage nach dem Wesen der Fotografie stellen.

Das Bauhaus hat in der Fotografie mit Konvention­en gebrochen, um dem Medium künstleris­chen Freiraum zu verschaffe­n. Den schreiten Fotokünstl­er bis in die Gegenwart ab – und müssen auf die technische Revolution ihrer Epoche reagieren. Auch in der Fotografie ist die Digitalisi­erung die Herausford­erung der Zeit.

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FOTO: VG BILD-KUNST, BONN, 2018; KATJA ILLNER Douglas Gordon: „Play Dead; Real Time“, zu sehen im NRW-Forum Düsseldorf.
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FOTO: KATJA ILLNER Bauhaus und die Fotografie – Zum Neuen Sehen in der Gegenwarts­kunst.

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