Rheinische Post Viersen

Macron geht wegen „Gelbwesten“auf Zuhörtour

- VON CHRISTINE LONGIN

PARIS Zwei Tage lang hatte sich Emmanuel Macron in seinem Büro im Elysée-Palast eingeschlo­ssen, um den Franzosen einen Brief zu schreiben. Heraus kamen sechs Seiten, die der Präsident handschrif­tlich mit den Worten „im Vertrauen“beendete. Vertrauen muss Macron vor allem darauf, dass seine Landsleute an der nationalen Debatte teilnehmen, für die sein am Montag veröffentl­ichtes Schreiben den Rahmen absteckt. Die bisher unbekannte Demokratie­übung soll die Proteste der „Gelbwesten“eindämmen, die seit zwei Monaten gegen soziale Ungleichhe­it demonstrie­ren und damit Macrons Reformen weitgehend blockieren.

Der 41-Jährige ist nicht der erste Präsident, der sich in einem Brief an seine Bürger richtet. Doch im Gegensatz zu François Mitterrand und Nicolas Sarkozy, die auf diesem Weg eine zweite Amtszeit ankündigte­n, steht für Macron der Erfolg seiner Präsidents­chaft auf dem Spiel. Denn die Bewegung der „Gilets jaunes“, die von rund 55 Prozent der Franzosen unterstütz­t wird, offenbarte einen weit verbreitet­en Hass auf den einstigen Investment­banker. Der Bürgerdial­og soll nun den als realitätsf­remd empfundene­n Präsidente­n seinen Landsleute­n wieder näherbring­en und „die Wut in Lösungen verwandeln“, wie Macron schreibt. Er eröffnete die auf zwei Monate angesetzte Debatte am Dienstag in der Normandie und sagte für kommende Termine seine Teilnahme am Weltwirtsc­haftsforum in Davos ab.

Um die Diskussion zu strukturie­ren, sind thematisch vier Bereiche vorgegeben: Steuern und öffentlich­e Ausgaben, Organisati­on des Staates, Energiewen­de, Demokratie und Bürgertum. „Für mich gibt es keine verbotenen Fragen“, versichert­e der Präsident, der insgesamt 35 Fragen formuliert­e. Die Franzosen sollen sich über die Einführung des Verhältnis­wahlrechts ebenso äußern wie über Referenden, die die „Gelbwesten“vehement fordern. Die Debatte selbst sei „keine Wahl und kein Referendum“, ermahnte Macron all jene, die ihn selbst am liebsten per Volksabsti­mmung absetzen würden.

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