Macron geht wegen „Gelbwesten“auf Zuhörtour
PARIS Zwei Tage lang hatte sich Emmanuel Macron in seinem Büro im Elysée-Palast eingeschlossen, um den Franzosen einen Brief zu schreiben. Heraus kamen sechs Seiten, die der Präsident handschriftlich mit den Worten „im Vertrauen“beendete. Vertrauen muss Macron vor allem darauf, dass seine Landsleute an der nationalen Debatte teilnehmen, für die sein am Montag veröffentlichtes Schreiben den Rahmen absteckt. Die bisher unbekannte Demokratieübung soll die Proteste der „Gelbwesten“eindämmen, die seit zwei Monaten gegen soziale Ungleichheit demonstrieren und damit Macrons Reformen weitgehend blockieren.
Der 41-Jährige ist nicht der erste Präsident, der sich in einem Brief an seine Bürger richtet. Doch im Gegensatz zu François Mitterrand und Nicolas Sarkozy, die auf diesem Weg eine zweite Amtszeit ankündigten, steht für Macron der Erfolg seiner Präsidentschaft auf dem Spiel. Denn die Bewegung der „Gilets jaunes“, die von rund 55 Prozent der Franzosen unterstützt wird, offenbarte einen weit verbreiteten Hass auf den einstigen Investmentbanker. Der Bürgerdialog soll nun den als realitätsfremd empfundenen Präsidenten seinen Landsleuten wieder näherbringen und „die Wut in Lösungen verwandeln“, wie Macron schreibt. Er eröffnete die auf zwei Monate angesetzte Debatte am Dienstag in der Normandie und sagte für kommende Termine seine Teilnahme am Weltwirtschaftsforum in Davos ab.
Um die Diskussion zu strukturieren, sind thematisch vier Bereiche vorgegeben: Steuern und öffentliche Ausgaben, Organisation des Staates, Energiewende, Demokratie und Bürgertum. „Für mich gibt es keine verbotenen Fragen“, versicherte der Präsident, der insgesamt 35 Fragen formulierte. Die Franzosen sollen sich über die Einführung des Verhältniswahlrechts ebenso äußern wie über Referenden, die die „Gelbwesten“vehement fordern. Die Debatte selbst sei „keine Wahl und kein Referendum“, ermahnte Macron all jene, die ihn selbst am liebsten per Volksabstimmung absetzen würden.