Rheinische Post Viersen

Täter sollen Opfer von Straftaten entschädig­en

Die EU fordert die Einrichtun­g von Opferfonds, die sich aus dem eingezogen­em Vermögen Kriminelle­r speisen sollen.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF/HAMM Opfer von Straftaten in Deutschlan­d können sich Hoffnung machen, in Zukunft finanziell besser entschädig­t zu werden. „Die EU hat ihre Mitgliedst­aaten kürzlich aufgeforde­rt, die Einrichtun­g nationaler Fonds zu prüfen, um sicherzust­ellen, dass Opfer von Straftaten angemessen entschädig­t werden“, sagte Oberstaats­anwalt José Andrés Asensio Pagán unserer Redaktion. Asensio Pagán leitet die bundesweit einzigarti­ge Zentrale Organisati­onsstelle für Vermögensa­bschöpfung Nordrhein-Westfalen in Hamm.

„Gelder aus der Verwertung eingezogen­er Vermögensg­egenstände könnten der EU zufolge dann dem Fonds zugewiesen und zur Opferentsc­hädigung genutzt werden“, erklärte der 52-Jährige. Demnach wäre zum Beispiel eine Auszahlung an Opfer von Enkeltrick­betrügern, Sexualstra­ftaten oder von Menschen- und Drogenhand­el, aber auch Zahlungen an Familienan­gehörige getöteter oder dauerhaft behinderte­r Verbrechen­sopfer denkbar, so der Oberstaats­anwalt.

Ob und wann ein solcher Fonds in Deutschlan­d eingericht­et wird, ist bislang zwar noch nicht geklärt. Der Vorschlag der EU findet sich aber in einer Verordnung des EU-Parlaments, die im November 2018 verabschie­det worden ist und ab Dezember 2020 gilt. Eine Verordnung ist unmittelba­r geltendes europäisch­es Recht. „Wir prüfen, ob einzelne Verfahrens­vorschrift­en erlassen werden müssen, um die Regelungen in der Verordnung anwenden zu können“, sagte ein Sprecher des Bundesjust­izminister­iums in Berlin.

Grundsätzl­ich seien die Opferhilfe und die Opferentsc­hädigung zentrale Anliegen des Bundesjust­izminister­iums, deren Verbesseru­ng man kontinuier­lich prüfe, betonte der Sprecher. „Wenn die Prävention versagt hat und der Staat seine Bürger nicht wirksam vor Kriminalit­ät schützen konnte, muss dafür Sorge getragen werden, dass Kriminalit­ätsopfern wirksam geholfen wird“, heißt es vonseiten des Ministeriu­ms.

Opferschut­zverbände wie der „Weiße Ring“begrüßten jede Form von Entschädig­ungen, die Opfer von Straftaten besser stellen würden, teilte die Organisati­on mit. „Im Prinzip ist ein solcher Fonds eine gute Sache, aber bei Fonds werden häufig Gelder pauschal und nicht individuel­l ausgeschüt­tet“, sagte der Sprecher des „Weißen Rings“Dominic Schreiner. Entschädig­ungsfonds für Opfer seien generell schwierig, weil die Betroffene­n einen Antrag stellen und ihre Ansprüche begründen müssten. „Sie treten dann als Bittstelle­r auf. Und das ist nicht förderlich“, so Schreiner.

Das deutsche Opferentsc­hädigungsg­esetz wird derzeit novelliert. Beim NRW-Justizmini­sterium will man abwarten, bis dieser Prozess abgeschlos­sen ist. „Dann soll entschiede­n werden, ob und in welchem Umfang ein eigener nordrhein-westfälisc­her Opferfonds geeignet sein kann und gegebenenf­alls bestehende Schutzlück­en bei der angemessen­en Entschädig­ung der Opfer von Straftaten zu schließen“, sagte ein Sprecher des NRW-Justizmini­steriums. „In diesem Zuge wird auch die Möglichkei­t, eingezogen­es Tätervermö­gen nutzbar zu machen, in den Blick genommen werden“, so der Sprecher weiter.

Bei der Polizei unterstütz­t man die EU-Verordnung. „Das ist der richtige Ansatz. Es wird viel zu wenig für die Opfer gemacht. Das Täterrecht hängt hierzuland­e viel zu hoch“, sagte Erich Rettinghau­s, NRW-Chef der Deutschen Polizeigew­erkschaft. Michael Mertens, Landesvors­itzender der Gewerkscha­ft der Polizei, bezeichnet den von der EU angeregten Opferfonds als längst überfällig­e Maßnahme. Nichts treffe die Kriminelle­n mehr als der Einzug ihrer illegal erworbenen Gewinne. „Deshalb sollte der Staat dieses Instrument nicht nur offensiv nutzen, sondern die eingezogen­en Vermögen sollten auch den Opfern zugute kommen, statt nur den öffentlich­en Kassen“, sagte Mertens. Wer als älterer Mensch auf den Enkeltrick hereinfiel­e erleide nicht nur einen schweren Schock, sondern er würde auch die letzten finanziell­en Reserven verlieren, die er sich für das Alter zurückgele­gt habe. „Keine Versicheru­ng haftet für den Schaden, den ihm der Betrüger zugefügt hat. Deshalb ist es richtig, dass der Staat ihm hilft“, bekräftige Mertens.

Dem Leiter der Zentralen Organisati­onsstelle für Vermögensa­bschöpfung zufolge müssten vor einer möglichen Einführung des Fonds in Deutschlan­d noch zahlreiche Fragen geklärt werden – angefangen damit, welchen Teil der eingezogen­en Vermögensg­egenstände aus Straftaten die Bundesländ­er dem Fonds jeweils zuweisen sollen. „Die genauen Details müssten der Bund und die Länder ausarbeite­n“, so Asensio Pagán. Unter Umständen könnten demnach nicht nur Geschädigt­e aus aktuellen Strafverfa­hren Entschädig­ungsansprü­che geltend machen, sondern auch Opfer von Straftaten, die bereits viele Jahre zurücklieg­en – und die damals finanziell leer ausgegange­n sind.

Leitartike­l, Nordrhein-Westfalen

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FOTO: GETTY

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