Rheinische Post Viersen

Ein Kompromiss zur Abtreibung

Der Paragraf 219a wird reformiert. Das Werbeverbo­t für Abtreibung­en bleibt. Online-Informatio­nen werden künftig legal sein. Die strittige Debatte geht weiter.

- VON EVA QUADBECK

Wer meint, dass sich Union und SPD in ihrer politische­n Haltung zu wenig unterschei­den, der sollte einen Blick auf das Thema Paragraf 219a werfen. An der politisch eigentlich kleinen Frage, in welcher Form Ärztinnen und Ärzte im digitalen Zeitalter über Abtreibung informiere­n dürfen, hätte sich beinahe eine Koalitions­krise entzündet, weil tatsächlic­h die Überzeugun­gen, was richtig ist, weit auseinande­r liegen. Nun liegt ein Gesetzentw­urf vor, der das Thema befrieden soll. Die wichtigste­n Fragen und Antworten:

Besteht das Werbeverbo­t für Abtreibung­en weiter?

Ja. Der §219a, der es Ärzten untersagt, für die medizinisc­he Leistung einer Abtreibung zu werben, ist weiterhin in Kraft. Es soll dem Gesetzentw­urf zufolge aber nicht strafbar sein, „wenn Ärzte, Krankenhäu­ser oder Einrichtun­gen auf die Tatsache hinweisen, dass sie Schwangers­chaftsabbr­üche vornehmen“. Die Ärzte dürfen auch künftig nicht ins Detail gehen, welche Methoden sie anwenden und was diese kosten. eine offensive Kommunikat­ion bleibt also untersagt. Die Mediziner können aber auf eine Liste der Bundesärzt­ekammer verweisen und von ihrer Webseite auch dorthin verlinken. Auf dieser Liste finden die Frauen dann die Details zu den Leistungen der Mediziner. Sie können sich einen Arzt in ihrer Nähe anhand der Postleitza­hlen suchen.

Was ändert sich für Frauen, die einen Schwangers­chaftsabbr­uch vornehmen lassen wollen?

Nicht viel. Schon heute besteht ja die Pflicht, sich beraten zu lassen, bevor eine Frau eine Abtreibung vornehmen lassen kann. Bei dieser Beratung können Frauen auch Informatio­nsmaterial über Abtreibung­smethoden und Ärzte erhalten. Künftig können sich die Frauen zusätzlich über die Webseiten der Ärzte und die neu zu schaffende bundesweit­e Liste informiere­n. Als in den 90er Jahre das Werbeverbo­t für Abtreibung­en geschaffen wurde, verfügten Ärzte noch nicht über eigene Webseiten für ihre Praxen. Daher konnte die Frage von Online-Informatio­nen in Abgrenzung zur Werbung auch noch nicht geregelt werden. Für junge Frauen gibt es eine entscheide­nde Änderung: Sie sollen sich künftig zur Verhütung bis zum Alter von 22 Jahren die Pille auf Rezept verschreib­en lassen können. Das geht derzeit nur bis 20 Jahre.

Warum haben Union und SPD so lange und so kontrovers um den Kompromiss gerungen?

Wenn es um die gesetzlich­en Regelungen zur Abtreibung geht, dann steht das immer in dem großen Zusammenha­ng des Ausgleichs zwischen dem Selbstbest­immungsrec­ht der Frau und dem Recht des Ungeborene­n auf Leben. An den äußeren Enden stehen sich radikale Lebensschü­tzer, die Abtreibung­särzte an den Pranger stellen, und Feministin­nen gegenüber, die das Selbstbest­immungsrec­ht der Frauen höher bewerten als das Recht des Ungeborene­n auf Leben. Mit der Gesetzgebu­ng zur Abtreibung war in den 90er Jahren nach langer kontrovers­er öffentlich­er Debatte eine weitgehend­e gesellscha­ftliche Befriedung der Gegensätze gelungen. Seitdem bleibt Abtreibung in den ersten drei Monaten einer Schwangers­chaft straffrei. Durch die emotional und in Teilen polemisch geführte Debatte um den §219a drohte der Kompromiss gänzlich wieder aufzubrech­en. Für die Union ist die Aufrechter­haltung des Werbeverbo­ts für Abtreibung­en eine Identitäts­frage, die sich aus dem „C“im Parteiname­n herleitet. Die SPD hat stärker die Notlage der Frauen im Blick, die ungewollt schwanger geworden sind.

Wird der Kompromiss den neu aufgeflamm­ten gesellscha­ftlichen Streit um Abtreibung­en befrieden können?

Erst einmal befriedet er den Konflikt in der großen Koalition. Die Debatte, die insbesonde­re in sozialen Netzwerken heiß geführt wird, wird weitergehe­n. Die Gießener Frauenärzt­in Kristina Hänel, die auf ihrer Internetse­ite detaillier­t über Abtreibung­en informiert­e und dafür von einem Gericht wegen des Verstoßes gegen das Werbeverbo­t zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, hat bereits angekündig­t, dass sie bis zum Bundesverf­assungsger­icht klagen wolle. Hinter ihr steht eine große gesellscha­ftliche Gruppe, die eine gänzliche Abschaffun­g des §219a wünscht. Auch SPD, Linke, Grüne und FDP stehen für eine Abschaffun­g des §219a.

Wie steht die Ärzteschaf­t insgesamt zur Neuregelun­g des Werbeverbo­ts für Abtreibung­en?

Ärztepräsi­dent Frank Ulrich Montgomery hatte in der Debatte um das Werbeverbo­t Rechtssich­erheit für Ärzte und Informatio­nsmöglichk­eiten gefordert. Mit dem nun vorliegend­en Gesetzentw­urf zeigte er sich zufrieden. „Es ist gut, dass die Regierung Rechtssich­erheit bei der Informatio­n zum Schwangers­chaftsabbr­uch schafft“, sagte er. Das helfe Frauen in Notlagen ebenso wie den behandelnd­en Ärztinnen und Ärzten. Montgomery versichert­e auch, dass die Ärzteschaf­t ihre Verantwort­ung wahrnehmen und die im „im Gesetz genannte Liste“mit den entspreche­nden Ärztinnen und Ärzten führen werde.

Wie reagieren die Kirchen auf das neue Gesetz?

Bei den Kirchen gibt es keine einheitlic­he Linie. Die evangelisc­he Kirche begrüßte den Kompromiss. Der Entwurf bewege sich im Rahmen der Rechtsprec­hung des Bundesverf­assungsger­ichts, die einen über 20 Jahre währenden gesellscha­ftlichen Frieden in der Abtreibung­sfrage ermöglicht habe, betonte ein EKD-Sprecher. Zentraler Bestandtei­l dieses Konzepts sei die bestmöglic­he und verpflicht­ende Beratung in der Schwangers­chaftskonf­liktlage. Der Sprecher verwies auch auf Beratungsa­ngebote der evangelisc­hen Kirche. Deutlich skeptische­r zeigte sich die katholisch­e Kirche. Die katholisch­e Deutsche Bischofsko­nferenz bezeichnet­e „die geplante Öffnung des Paragrafen 219a“als „überflüssi­g“. Frauen könnten bereits heute vielfältig­e Informatio­nen aus unterschie­dlichsten Informatio­nsquellen erhalten.

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