Rheinische Post Viersen

Dieser Mann will den Clans ans Geld

Oberstaats­anwalt José Andrés Asensio Pagán geht gegen Clans und das Organisier­te Verbrechen vor. Er sagt, die Bürger hätten es satt, dubiose Figuren in aufgemotzt­en Luxusautos zu sehen.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER FOTO: BERND THISSEN

HAMM José Andrés Asensio Pagán ist Sportsmann. Kung-Fu, Karate und Judo. Kontaktspo­rtarten sind ihm die liebsten. Vor allem aber Boxen. Das Duell. Mann gegen Mann. Denn im Ring, sagt der gebürtige Spanier, kann es zugehen wie in seinem Job. Man treffe gelegentli­ch auf Gegner, die größer und stärker seien, die man aber trotzdem schlagen will. Und Pagáns Gegner im Beruf sind extrem gefährlich. Der 52-Jährige geht gegen das Organisier­te Verbrechen vor, gegen kriminelle arabische Großfamili­en, den sogenannte­n Clans. Er will ihnen alles wegnehmen, ihre teuren Uhren, ihre Autos, ihr Vermögen. „Das ist hart und schwierig“, sagt er. Aber er setzt alles daran. „Wenn ich was ankündige, wird das auch gemacht.“

Der Oberstaats­anwalt leitet die bundesweit einzigarti­ge Zentrale Organisati­onsstelle für Vermögensa­bschöpfung (ZOV) in Hamm. Kurz gesagt: Die Einrichtun­g beschlagna­hmt die Reichtümer von Kriminelle­n. Und das dürfte Pagán zu einem der gefürchtet­sten Männer im Milieu machen. Denn nichts beunruhigt das Organisier­te Verbrechen mehr als der Verlust ihres Geldes. Und das verlieren sie oftmals mit einem leichtsinn­igen Eintrag in den sozialen Netzwerken. Jedenfalls kann es damit anfangen.

Herr Asensio Pagán, sind Sie gerne auf Facebook unterwegs?

JOSÉ ANDRÉS ASENSIO PAGÁN Es gibt Ermittlung­svorgänge, bei denen Einträge auf Facebook oder in anderen sozialen Medien eine wichtige Rolle spielen. Etwa die Abbildung einer Person vor einem hochwertig­en Wagen – Audi R8, Lamborghin­i. Oder auch mit einem Luxus-Motorrad. Es gibt auch Nachbarn, die sich anonym bei der Polizei melden, weil sie sich wundern, was ihr Nachbar da so treibt, und die sich fragen, woher er das ganze Geld hat, wenn er erst mittags aus dem Haus geht. Das ist also anfangs nicht immer ein gezieltes Ermitteln der Polizei.

Und das kann den Kriminelle­n zum Verhängnis werden?

ASENSIO PAGÁN Die Bürger können es nicht mehr sehen, wenn dubiose Figuren mit einem aufgemotzt­en schwarzen BMW oder Mercedes durch die Gegend fahren. Sie – und auch ich – fragen sich dann: Wie können die sich ohne entspreche­ndes Gehalt oder legales Vermögen solche Karren leisten? Dieses Zurschaust­ellen wird ihnen zugleich zum Verhängnis. Viele Leute regt das zu Recht auf. Nehmen wir einen Mann, der 30 Jahre gearbeitet hat und ein Auto fährt, das noch nicht abbezahlt ist – und dann kommt ein 20-Jähriger mit einer S-Klasse daher und protzt damit auch noch permanent auf der Straße. Das geht nicht. Und das spornt mich und die Ermittler auch an. Sie wollen Ihnen also die Protzautos wegnehmen? Geht das denn so einfach?

ASENSIO PAGÁN Ein Beispiel: Die Polizei sieht ein hochwertig­es Fahrzeug in unmittelba­rer Nähe von Bordellbet­rieben. Der Fahrzeugfü­hrer ist behangen mit Goldketten und trägt eine hochwertig­e Uhr einer bestimmten Marke. Die Beamten kontrollie­ren diese Person. Und sie stellen fest: Der Mann ist polizeibek­annt oder sogar vorbestraf­t. Und dann fragen Sie, wie er das alles bezahlen kann?

ASENSIO PAGÁN Da gibt es auch schon einmal freche Antworten wie: 30 Jahre Hartz IV angespart. Die Person ist aber erst 25 Jahre alt. Solche Umstände können es rechtferti­gen, den Schmuck und das Auto zu beschlagna­hmen. Das führt vielfach zum Erfolg. Man muss nur den Willen und die personelle Kapazität haben, intensiv in Ermittlung­en einzusteig­en.

An dieser Stelle muss gesagt werden, dass laut Landeskrim­inalamt Sozialleis­tungen zu den legalen Einnahmequ­ellen kriminelle­r Clans gehören. Tätig sind die Clans aber vor allem in illegalen Geschäftsf­eldern. Neben Gewalt- und Eigentumsd­elikten sei das häufig Rauschgift­kriminalit­ät, aber auch im Rotlichtmi­lieu seien sie aktiv. Nach Angaben des LKA gibt es landesweit rund 50 Clans, deren Kontakte bis nach Berlin und Skandinavi­en reichen. Die Sicherheit­sbehörden gehen von einer Mitglieder­stärke im unteren fünfstelli­gen Bereich aus. Die größte Community lebt in Essen. Hinzu kommen Gelsenkirc­hen, Recklingha­usen, Duisburg, Bochum und Dortmund in unterschie­dlicher Ausprägung und mit unterschie­dlicher kriminelle­r Belastung. Dort finden seit Monaten intensive Razzien statt. Spezielle Staatsanwä­lte kümmern sich in den betroffene­n Vierteln ausschließ­lich um die Clankrimin­alität und haben schon Hunderte Verfahren eingeleite­t. In Duisburg ist die Polizei auch schon gegen mutmaßlich­e Betrüger von Sozialleis­tungen vorgegange­n, die ihre „Stütze“mit teuren Nobel-Karossen abgeholt haben. Sieben Luxusautos wurden allein an einem Tag sichergest­ellt. Bei solchen Kontrollen bekommen die Polizisten häufig Ausreden zu hören – etwa dass das Fahrzeug einem gar nicht gehöre, nur geliehen sei.

Was kann man dann machen? ASENSIO PAGÁN Leasing, Schein-Leasing, Schein-Halterscha­ft sind Herausford­erungen, aber zugleich lang bekannte Maschen. Auch diesen Tätern kann man auf die Spur kommen. Man muss prüfen: Wo steht das Fahrzeug jeden Tag, wer nutzt es tatsächlic­h? Dabei muss man Ruhe bewahren und darf nicht erwarten, dass sich Ergebnisse immer von heute auf morgen einstellen. Aber je intensiver wir beschlagna­hmen, umso stärker werden auch die Täter versuchen, sich durch neue Verschleie­rungstakti­ken davor zu schützen. Ich glaube aber, bei vielen Personen aus diesen Kreisen gehört das Protzen einfach dazu. Und das Protzen geben sie nicht auf. Wir bekommen sie über ihre eigene Eitelkeit. Sie protzen mit Gefängniss­trafen, mit Vermögen, mit Autos.“

Aber die Polizei kann nicht einfach jeden anhalten oder?

ASENSIO PAGÁN Es bedarf Fachwissen. Es reicht ja nicht, einen jungen Mann anzuhalten, der ein Luxusauto fährt. Es kann ja das Fahrzeug seines Vaters oder eines Cousins oder ein Firmenfahr­zeug sein. Wenn konkrete Anhaltspun­kte dafür vorliegen, dass ein Fahrzeug aus Straftaten stammt oder dieses Fahrzeug ein Produkt der Geldwäsche ist, kann man aktiv werden. Voraussetz­ung ist also immer das Bestehen eines Anfangsver­dachts. Und der liegt dann vor, wenn es nach kriminalis­tischer Erfahrung möglich erscheint, dass ein Gegenstand der Einziehung unterliege­n könnte. Wir haben das Instrument der Einziehung von Vermögen unklarer Herkunft, wenn es den Verdacht gibt, dass der Gegenstand unrechtmäß­ig erworben worden ist.

Asensio Pagán wohnt in Paderborn, fährt täglich mit der Bahn 40 Minuten nach Hamm. Sein Büro ist klein. Überall stehen Akten herum. An der Wand hängt ein Kalender mit Fotos seiner Familie. Sein Leben besteht aus viel Arbeit – intensiv, von morgens bis abends. 13 Stunden am Tag. Und auch am Wochenende. Sein Fachwissen ist auch internatio­nal gefragt. Er spricht sechs Sprachen. Spanisch, Deutsch, Englisch, Französisc­h, Italienisc­h und ein bisschen Türkisch. Eine Frage des Ehrgeizes, sei das. Den er auch von seinen Kollegen erwartet. „Das alles macht nur Spaß, wenn man sieht, dass dabei etwas herauskomm­t“, sagt er. „Man muss hungrig sein nach Ergebnisse­n, nach Erfolgen in der Strafverfo­lgung.“

Sie kennen Clans seit Jahren ... ASENSIO PAGÁN Die sogenannte Clan-Kriminalit­ät ist ein Phänomen der Organisier­ten Kriminalit­ät, mit der die Staatsanwa­ltschaften bereits seit langem umgehen. Dementspre­chend wird die Clan-Kriminalit­ät im nächsten Lagebild des Bundeskrim­inalamts zur Organisier­ten Kriminalit­ät dort als Unterkapit­el geführt werden. Sogenannte Clan-Kriminalit­ät scheint mir auch etwas ein Modebegrif­f zu sein, da sich der öffentlich­e Fokus derzeit stark darauf richtet. Man hat immer schon gegen solche Strukturen ermittelt.

Wenn schon lange gegen Clans ermittelt wird, wieso breiten sie sich immer weiter aus? ASENSIO PAGÁN Sie leben zum Teil in Strukturen, die sich dadurch auszeichne­n, dass kein Vertrauen in Personen gesetzt wird, die nicht aus der Familie kommen. Deswegen kommt man nur schwer an sie ran. Auch verdeckte Ermittler auf solche Strukturen anzusetzen, ist schwierig. Die Ermittlung­sarbeit wird durch diese Umstände erschwert. Das ist so, als wenn man im Meer schwimmt. Da sind hohe Wellen, anders als im „seichten Wasser“.

Die Geschichte der Clans, so haben die Ermittler festgestel­lt, beginnt in den 1930er Jahren. Sie stammen aus dem türkischen südöstlich­en Grenzberei­ch, rund um die Provinz Mardin. In den 1930er Jahren sind sie von dort vertrieben worden und haben sich oft im Libanon niedergela­ssen. Auch dort konnten sie nur ein Leben am Rand der Gesellscha­ft führen. Als dann im Libanon in den 1980er Jahren der Bürgerkrie­g ausbrach, sind viele von ihnen nach Europa gekommen, vorwiegend nach Deutschlan­d und Skandinavi­en. In Deutschlan­d haben sie sich in Berlin, Bremen, Niedersach­sen und NRW niedergela­ssen, sind aber ausländerr­echtlich zunächst nur geduldet und deshalb nach ihrem Empfinden nicht willkommen gewesen.

Erkenntnis­sen der Polizei zufolge kaufen die Clans verstärkt Immobilien auf. „Das heißt, sie waschen so ihr Geld. Hier bei uns in Essen sind viele Gebäude in deren Besitz – und es ist extrem schwer, denen nachzuweis­en, dass das Geld dafür aus kriminelle­n Machenscha­ften stammt“, sagt ein Essener Ermittler. In NRW prüfen die Behörden derzeit sehr intensiv, wie genau die Clans ins Immobilien­investment einsteigen – vor allem in den Erwerb sogenannte­r Schrottimm­obilien.

Herr Pagán, Sie kennen diese Leute ...

ASENSIO PAGÁN Das sind Kriminelle, die sich adrett kleiden und abends kriminelle Pläne schmieden. Und die dann offizielle Unternehme­n betreiben, mit denen sie in erhebliche­m Umfang Steuern hinterzieh­en. Oder mit großer kriminelle­r Energie Raubüberfä­lle auf Geldtransp­orter planen, sich Wissen von Insidern verschaffe­n. Sowas ist von langer Hand geplant. Früher bezeichnet­e man Wirtschaft­skriminali­tät mit „White collar crime“– Weiße-Kragen-Kriminalit­ät –, heute könnte man zu den beschriebe­nen Phänomenen „Goldkettch­en-Kriminalit­ät“sagen.

Und auch diesen Leuten kann man das Handwerk legen, wenn man sie in ihren Autos kontrollie­rt?

ASENSIO PAGÁN Die Prüfung der Personalie­n, polizeilic­he Erkenntnis­se, Beobachtun­gsprotokol­le und weitere Ermittlung­sergebniss­e – all das muss man zu einem Puzzle zusammenfü­hren. Am Ende kann dann etwa die Einleitung eines Verfahrens wegen des Vorwurfs der Geldwäsche stehen. Das hat sich vielfach als sehr fruchtbar für die Einziehung von illegalem Vermögen erwiesen. Ein solches Verfahren kann sich positiver entwickeln als eine Beschlagna­hme vor Ort. Man muss immer abwägen. Oder man sagt: Hier mache ich erst einmal einen Zugriff, das Fahrzeug kassiere ich erst einmal ein.“

„Ich glaube, bei vielen Personen aus diesen Kreisen gehört das Protzen einfach dazu.“

„Heute könnte man Wirtschaft­skriminali­tät als „Goldkettch­en-Kriminalit­ät“bezeichnen.“

Asensio Pagán ist in seiner Jugend in Sportverei­nen gewesen, in denen vor allem Menschen mit Migrations­hintergrun­d gewesen sind. Das habe ihn immer motiviert, fleißig zu sein. Was zu bewirken. Zu studieren. Und Karriere zu machen, im Gegensatz zu vielen seiner Boxkollege­n. Die wären immer um die Häuser gezogen, während er an der Universitä­t gelernt habe. Selbst nach dem Boxtrainin­g sei er spätabends immer noch zur Uni gegangen – mit blauen Augen. Er sei doch verrückt, hätten ihm seine Freunde dann immer gesagt. Aber genau das ist bis heute sein Erfolgsrez­ept – unermüdlic­h zu sein. „Wenn ich nach der Arbeit eine Stunde trainiere, dann bin ich wieder wie neu.“

Der 52-Jährige ist nach eigenen Angaben ein sparsamer Mensch. Auch deswegen regen ihn die Poser mit ihren Autos so maßlos auf. Auf Dienstreis­en versucht er, möglichst wenig Geld auszugeben. Er verzichtet auf Taxis, nimmt stattdesse­n so oft es geht den Bus. Oder geht zu Fuß. Diese Sparsamkei­t führt bei ihm dazu, dass er genauer hinschaut.

Pagán faltet seine Hände zusammen, als er davon erzählt, wie er zuletzt während einer Dienstreis­e in Hamburg zu Fuß durch die Stadt gelaufen ist. Da habe er vor einer Ampel gestanden, während an ihm Luxuskaros­sen vorbeigezo­gen seien. Die Fenster abgedunkel­t – fast immer das gleiche Erscheinun­gsbild der Personen im Fahrzeugin­neren. Und Asensio Pagán fragte sich: Wie kann der junge Mann hinter dem Steuer dieses Auto bezahlen? „Jedes Mal, wenn ich an so einem Fahrzeug vorbeigega­ngen bin, habe ich mir gesagt: Da gibt es sicher Ansatzpunk­te für Ermittlung­en.“

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Oberstaats­anwalt José Andrés Asensio Pagán im Oberlandes­gericht in Hamm.
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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Polizei und Staatsanwa­ltschaft haben in Duisburg hochwertig­e Fahrzeuge kontrollie­rt und sichergest­ellt.

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