Die Bundeswehr setzt auf 2031
Der Wehrbeauftragte wünscht sich ein frühlingshaftes „Alles wird neu“-Gefühl für die Truppe. Stattdessen blickt er in den Schlund eines „Bürokratiemonsters“– und wohl noch auf viele Jahre Winter.
Infrastruktur und Finanzen „ganz überwiegend noch nicht spürbar sind“: Das sei struktureller Natur und wird von Bartels nach dem Wortgebrauch vieler Soldaten „Bürokratiemonster“genannt.
Verantwortung für alles, was nicht funktioniert, zu spät kommt und zu teuer wird, scheint nach der Analyse des Mannes mit dem wohl intensivsten Einblick in den Alltag der Truppe „in einem Labyrinth verzweigter Zuständigkeiten zu verschwinden.“
Als krasses Beispiel nimmt er einen Piloten, der dringend eine neue Fliegerkombi braucht. Da stellt der Soldat, ganz modern, einfach und digital einen Antrag. Der wird dann aber zunächst von seiner Einheit geprüft, dann prüft ihn der Verband, dann die Division, dann das Kommando. Daraufhin entscheidet das zentrale Beschaffungsamt über den Antrag, woraufhin das Bekleidungsmanagement das Stück an die zuständige Servicestelle liefert, das Kommando die Division informiert und diese dann den Antragsteller. Die Laufzeit dieses neunstufigen Bekleidungsverwaltungsvorgangs betrage bis zu drei Monate. Das vermittelt einen Eindruck davon, was los ist, wenn es nicht um ein einfaches Kleidungsstück, sondern um ein komplexes
Kampfflugzeug geht und gleich zwölf verschiedene Dienststellen einzuschalten sind.
Da gehe es durchaus auch um eine Gefährdung des Einsatzes, wenn die dazu verwendete Software den von Soldaten längst für den Start freigegebenen Jet am Boden halte, weil irgendwo irgendwelche Einträge fehlten. Zudem sorgt sich der Wehrbeauftragte um die Sicherheit im Einsatz, wenn die Bundeswehr mangels eigenen Fluggerätes in Mali und Afghanistan den Lufttransport der Soldaten durch zivile Maschinen abwickeln lässt, die natürlich längst nicht alle über die für Militärflugzeuge vorgeschriebenen besonderen Schutzfunktionen gegen Angriffe verfügen.
Sehr deutlich wächst nach von der Leyens Einschätzung die Personalstärke der Bundeswehr. Sie räumt ein, dass 21.500 Stellen unbesetzt seien, rechnet aber vor, dass sich zugleich 35.000 Männer und Frauen in Ausbildung befänden. Bartels rechnet anders. Er sieht das Wachstum auf dem Rücken der altgedienten Soldaten, die dazu angehalten würden, ihre Verpflichtungen zu verlängern. Tatsächlich
sei die Zahl der Neueintritte auf den niedrigsten Stand in der Geschichte der Bundeswehr gesunken. Das hänge auch damit zusammen, dass jeder vierte bis fünfte neue Soldat schnell feststelle, dass dieser Beruf doch nichts für ihn sei.
Denn er erlebt, wo es überall klemmt und was nicht funktioniert. Deswegen rät Bartels der politischen und militärischen Führung der Bundeswehr dringend dazu, von anderen zu lernen, so lange die Vollausstattung nicht wiederhergestellt sei: Die britische Royal Air Force schaffe zum Beispiel viel mehr Flugstunden mit dem Eurofighter als die Luftwaffe. Das Berliner Studierendenwerk garantiere gute Verpflegung und Unterkunft für Zehntausende junger Leute viel preisgünstiger als der Bundeswehrbetrieb. Und selbst die Polizei bekomme ihre neuen großen Grenzschutzboote schon binnen drei Jahren. Eine Erklärung von Bartels nach intensiver Befragung der Beteiligten: „Die Bundeswehr leidet zugleich an Unterbesetzung und Überorganisation.“Oder kürzer aus Soldatenmund: „Wir verwalten uns zu Tode.“Als Fehler bezeichnet es der Wehrbeauftragte, dass dem Koblenzer BAAIN (Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr) die Verantwortung für die Nutzung des gesamten Wehrmaterials in allen Teilstreitkräften zentral übertragen wurde. „Das Amt ist bekanntermaßen überlastet“, sagt Bartels, und versucht, für ein einfaches Prinzip zu werben. Nicht derjenige, der das Material beschafft, sollte dafür sorgen müssen, dass es für den Einsatz gepflegt werde, sondern derjenige, der es ständig nutze. „Das spart Zeit, Geld und Nerven“, verrät Bartels.
Von der Leyen plädiert für einen „langen Atem“. Ein Vierteljahrhundert des Schrumpfens und Sparens lasse sich nicht in ein paar Jahren umkehren. In ihrem Konzept für den Frühling in der Truppe steht das Jahr 2031 als Ziel für eine Vollausstattung. Bartels mag so lange nicht warten und will ein Sofortprogramm als „Befreiungsschlag“. Zumindest für alle kleinen Dinge, die schon erfunden, getestet und zertifiziert seien. Schließlich habe auch die Koalition beschlossen, dass die Beschaffung schneller werden müsse. Und zwar jetzt, nicht erst 2031.
„Die Bundeswehr leidet zugleich an Unterbesetzung und Überorganisation“Hans-Peter Bartels Wehrbeauftragter