Bürgerkrieg oder Vermittlung
Venezuela steht vor entscheidenden Tagen mit neuen Demonstrationen gegen die Regierung von Präsident Nicolás Maduro, der nicht weichen will. Wie geht es weiter? Zwei mögliche Szenarien
Bürgerkrieg und Militärdiktatur Wie in den vergangenen Jahren setzt Venezuelas linksextremer Präsident Nicolás Maduro auf Gewalt, um die Proteste niederzuschlagen. Die gefürchteten „Colectivos“, regierungsnahe paramilitärische Schlägertrupps, greifen massiv die Demonstranten an. Die Sicherheitskräfte gehen brutal gegen die Proteste vor. Zu den 35 Toten und 850 Verhafteten, die seit der Vereidigung von Interimspräsident Juan Guaidó von NGOs gezählt worden sind, kommen neue Opfer. Die Massenproteste ebben aus Angst vor der Gewalt ab, Guaidó wird wie weitere führende Köpfe der Opposition verhaftet und ins Gefängnis gesteckt.
Dafür spricht: Oppositionspolitiker Carlos Delgado von der Guaidó-Partei Voluntad Popular berichtet über seine Verhaftung und den Versuch des Geheimdienstes von ihm belastendes Material gegen Guaidó zu erzwingen. Auch die Machtdemonstration Maduros, der sich seit einigen Tagen nur noch an der Seite von bewaffneten Militärs, nicht aber mehr an der Seite der einfachen Venezolaner zeigt, spricht dafür, dass Maduro für den Verbleib an der Macht über noch mehr Leichen zu gehen bereit ist. Der Widerstand gegen die Regierung verlagert sich in den Untergrund. In Venezuela beginnt ein asymmetrischer Bürgerkrieg, wie in das Nachbarland Kolumbien erlebt hat – nur ideologisch spiegelverkehrt.
Für die Nachbarn Venezuelas hat das verheerende Folgen. Kolumbien hat bereits über eine Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Ecuador, Peru zusammen eine weitere Million. Doch in diesen Ländern kippt angesichts der neuen massiven Flucht nach dem gescheiterten Regierungswechsel die Stimmung. Schon jetzt gibt es ausländerfeindliche Übergriffe gegen die venezolanischen Flüchtlinge. Kolumbien und Brasilien, die rechtsregierten, direkten Nachbarn Venezuelas, erwägen nun mit Hilfe der USA auch ein militärisches Einschreiten gegen Caracas. Maduros Ende und Neuwahl
Der Druck von Millionen von Venezolanern und aus dem Ausland zeigt seine Wirkung. Immer mehr Maduro-Getreue versagen dem Präsidenten die Unterstützung. Auch aus der lateinamerikanischen Linken wächst der Druck. Deren moralische Autoritäten wie Uruguays Ex-Präsident und Ex-Guerillero José „Pepe“Mujica oder Mexikos neuer Präsident Andrés Manuel López Obrador drängen auf eine Verhandlungslösung, weil „der Krieg die schlechteste aller Lösungen ist“wie Mujica sagt. Der Uruguayer, selbst einst Widerstandskämpfer gegen eine rechte Militärdiktatur, hat bereits eine Neuwahl unter strenger Aufsicht der UN sowie eine Übergangsregierung mit Beteiligung aller gesellschaftlichen Sektoren vorgeschlagen.
Auch Venezuelas treuester Partner in Südamerika, Boliviens Präsident Evo Morales, spricht sich für eine „pazifistische Lösung“des Konfliktes aus wie sie Papst Franziskus gefordert hat, sieht allerdings im „imperialistischen Angriff der USA“die größte Gefahr. Trotzdem: Es ist das erste Mal, dass Morales von einer Lösung der Krise spricht. Er fürchtet, dass bei der anstehenden Präsidentschaftswahl in Bolivien eine blutige Niederschlagung der Proteste auch ihm, dem treuen Helfer Maduros, angelastet werden könnte. Maduro akzeptiert eine rein lateinamerikanische Vermittlung unter Führung von Uruguay und Mexiko und zieht sich an deren Ende nach Kuba ins Exil zurück.
Venezolanische Militärs und die führenden Sozialisten erhalten eine Generalamnestie, die übrigen Sozialisten starten einen Neuanfang. Die Neuwahl gewinnt Guaidó klar, der sieht sich allerdings nun mit den Machtansprüchen von aus dem Exil und aus Haft und Hausarrest zurückkehrenden Oppositionspolitikern ausgesetzt. Guaidó leitet einen Kurs der wirtschaftlichen Erneuerung ein, der allerdings wegen der hohen Schuldenlast gegenüber Russland und China deutlich schwieriger ausfällt als erwartet.