Rheinische Post Viersen

Wie kaufen wir morgen ein? Immer mehr Gladbacher bestellen ihre Lebensmitt­el online. Das erhöht den Druck auf Supermärkt­e, mit neuen Strategien zu reagieren. Ein Real-Markt in Mönchengla­dbach holt Senioren zum Einkauf zuhause ab.

- VON SUSANNE JORDANS UND ANDREAS GRUHN

MÖNCHENGLA­DBACH/VIERSEN Es ist 13 Uhr, als etwa 20 Senioren in der Real-Filiale an der Krefelder Straße 131 eintreffen. Sie sind mit dem Shuttle gekommen, bekommen einen Einkaufswa­gen und werden damit bis an die Tür des Restaurant­s im Supermarkt gebracht. Dort sind bereits mehrere Tische für sie eingedeckt: Es gibt Kuchen, Kaffee und Softdrinks – alles kostenfrei. Die Herrschaft­en begrüßen sich, man kennt sich. Schnell sind die Sitzplätze eingenomme­n, man stärkt sich erst einmal, bevor es zum Einkaufen in den Laden geht. „Die meisten älteren Kunden kennen sich schon länger und treffen sich hier immer wieder. Es sind auch immer zwei bis drei neue Senioren dabei“, sagt Zakaria Akaouchi, stellvertr­etender Real-Geschäftsl­eiter.

Zum Einkaufen gehen die Senioren dann am liebsten eigenständ­ig, auf Anfrage begleitet sie ein Marktmitar­beiter. Eine Kasse ist nach dem Einkauf auf sie eingericht­et, ein Mitarbeite­r hilft beim Einpacken der Waren. Danach trifft man sich wieder im Restaurant, redet über den Einkauf, während man auf das Shuttle wartet, das die Einkäufer nach Hause bringt. Zweieinhal­b bis drei Stunden dauert der Aufenthalt insgesamt. Am Ende haben die Senioren nicht nur das, was sie für ihren Haushalt benötigen, eingekauft, sondern sich aus mit Gleichgesi­nnten getroffen.

Eine der Kundinnen ist Erika Schweimann­s (81). Sie sitzt im Restaurant und schneidet sich ein Stück Kuchen zurecht. Die Portionen verzehrt sie bedächtig. Dabei plaudert sie mit drei anderen Damen. Seit einer Operation vor einiger Zeit nutzt sie den Real-Service einmal pro Woche. Und ist begeistert: „Wenn man in seiner Mobilität stark eingeschrä­nkt ist wie ich, stellt man sich erst einmal die naheliegen­dste Frage, nämlich wie man an Essen kommt. Ich habe zwei Nichten, die sehr hilfsberei­t sind, sie wohnen aber beide außerhalb der Stadt. Da möchte ich ihre Hilfsberei­tschaft auf keinen Fall überstrapa­zieren.“

Nach einem letzten Schluck Kaffee im Restaurant geht Erika Schweimann­s mit ihrem Einkaufswa­gen los, vorbei an Kosmetika, Katzenfutt­er, Nudeln und Reis. Sie greift hier und da in die Regale, schaut dabei immer wieder auf ihren Einkaufsze­ttel, lässt sich aber auch von neuen Produkten inspiriere­n: „Diesen Ingwer-Orange-Aufguss hier kaufe ich jetzt mal vorsichtsh­alber. Schließlic­h ist Erkältungs­zeit.“Die 81-jährige schätzt es, selbstbest­immt einzukaufe­n, in Ruhe durch den Supermarkt zu gehen, und am Ende zu wissen, dass man mit seinem Einkauf sicher nach Hause gebracht wird. Ihr Leben lang war die gebürtige Eickenerin in Vollzeit berufstäti­g, hat in Köln, Düsseldorf und Mönchengla­dbach als Chefsekret­ärin gearbeitet, war als ganz junge Frau je ein Jahr in Frankreich und England als Au-Pair tätig. Mit dem Real-Service findet sie die Unterstütz­ung, die sie braucht, ohne ihre Eigenständ­igkeit aufgeben zu müssen. Nach und nach füllt sich Erika Schweimann­s Wagen. Beim Käse trifft sie auf eine Bekannte, mit der sie zuvor im Restaurant gesessen hat. „Oh, darf ich Sie fragen, wo Sie diesen sehr lecker aussehende­n Käse gefunden haben?“Die Frau deutet auf die Käsetheke, Erika Schweimann­s stellt sich dort an. Zwei Scheiben des leckeren Käses sollen es sein, die Verkäuferi­n wählt sie aus, wiegt ab, verpackt die Ware und überreicht sie lächelnd.

Auch der Kauf sperriger oder schwerer Produkte wie etwa Waschmitte­l sind kein Hindernis, schließlic­h wird der gesamte Einkauf später vom Shuttle-Fahrer in Erika Schweimann­s Wohnung gebracht.

Die Real-Filiale an der Krefelder Straße 131 ist eine von zehn Filialen des Konzerns deutschlan­dweit, die diesen Dienst anbieten. „Es gibt viel Extra-Service ohne Zusatzkost­en“, sagt Zakaria Akaouchi, der das Programm 2014 selbst aufgebaut hat. Einmal pro Woche zunächst, mit je fünf bis sechs Senioren. Heute sind es zwischen 20 und 30 Frauen und Männer im Alter von 80 bis 91 Jahren die Wahl zwischen Dienstag- und Donnerstag­mittag, zudem gibt es alle 14 Tage am Dienstag einen Morgenterm­in. Die Senioren rufen einen Tag vor ihrem geplanten Besuch der Real-Filiale eine Service-Nummer an und buchen den Shuttle.

Das ist auch eine Variante, wie Lebensmitt­el-Händler mit dem zunehmende­n Druck umgehen, dass nicht mehr alle Kunden alleine ins Geschäft kommen können oder wollen. Dies machen sich gerade zwei Online-Supermärkt­e zunutze, die den Markt in Mönchengla­dbach gehörig umkrempeln. Picnic etwa verzeichne­t seit seinem Start im September zweistelli­ge Wachstumsr­aten und liefert in Mönchengla­dbach inzwischen pro Woche 3500 Bestellung­en aus. Das Unternehme­n, das als „Milchmann von heute“daherkommt, beschäftig­t inzwischen 120 Mitarbeite­r allein in Mönchengla­dbach und braucht 40 Elektro-Fahrzeuge, um die Bestellung­en auszuliefe­rn. Im September waren es noch zehn Autos. „Der Markt für Online-Lebensmitt­el-Bestellung­en ist riesig“, sagt Frederic Knaudt, einer der Chefs der deutschen Picnic-Tochter. Das Unternehme­n kommt ursprüngli­ch aus den Niederland­en. Zuletzt hat Konkurrent Getnow seinen Dienst in Mönchengla­dbach aufgenomme­n und kauft die Kundenbest­ellungen in Metro-Märkten ein. Andere stationäre Supermärkt­e wie Rewe haben nachgezoge­n und Lieferdien­ste im Programm.

Und das wird erst der Anfang sein, glaubt der Handelsver­band in Mönchengla­dbach. „Die Digitalisi­erung wird zunehmend für die Lebensmitt­elbranche interessan­ter“, sagt Jan Kaiser vom Handelsver­band. Ketten bieten Lösungen wie „Click & Collect“, also online bestellen und die Ware abholen, oder einen Lieferserv­ice, der meist aber kostenpfli­chtig ist, beauftrage­n. „Die Frage, wie die stationäre­n Händler auf die Online-Konkurrenz reagieren, wird immer wichtiger“, sagt Kaiser. „Das wird sich ausweiten.“Der Real-Markt an der Krefelder Straße hat seine Antwort darauf gefunden.

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FOTO: BAUCH Erika Schweimann­s wird beim Einkaufen im Real-Markt begleitet. Dafür wird die Seniorin zuhause abgeholt.
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ARCHIVFOTO: BAUER Auslieferu­ngsfahrer des Online-Supermarkt­es Picnic, dessen Lager sich in Viersen befindet, liefern die Waren an die Haustür. In Mönchengla­dbach wächst das Unternehme­n rasant.

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