Rheinische Post Viersen

Mit Bruegel durch Brüssel

Über den Maler Pieter Bruegel kann man sich die belgische Hauptstadt auf angenehme Weise erschließe­n.

- VON CHRISTOPH DRIESSEN FOTO: CHRISTOPH DRIESSEN/DPA

BRÜSSEL (dpa) Bruegel und Brüssel – das klingt ähnlich, auch wenn die Flamen Bruegel eher „Bröchel“ausspreche­n. Der Maler und die Stadt haben aber noch viel mehr gemeinsam als nur die ersten Buchstaben ihres Namens. Sie teilen eine Schwäche fürs Feiern, für gutes Essen und Trinken und für unangepass­tes Verhalten. Ein gewisses Maß an Anarchie und Chaos gehört für sie unvermeidl­ich mit zum Leben. Deshalb bietet es sich an, Bruegel und Brüssel gemeinsam zu erforschen. Ein besonderer Anlass dafür ist dieses Jahr der 450. Todestag des Künstlers am 9. September.

„Bauern-Bruegel“, so lautet ein in Deutschlan­d immer noch gängiger Beiname für den flämischen Renaissanc­e-Maler. Dabei war Pieter Bruegel (1525/1530-1569) ein Großstädte­r, der erst in Antwerpen und dann in Brüssel, aber nie auf dem Land lebte. Er war ein so klinisch genauer Beobachter, dass Mediziner seinen Figuren Jahrhunder­te später alle möglichen Krankheite­n attestiere­n können: von Kinderlähm­ung über Syphilis im zweiten Stadium bis hin zu fünf verschiede­nen Augenleide­n. Diese Krankheite­n waren zu Bruegels Zeit unbekannt – alles, was man sehen konnte, waren die Symptome.

Eine der besten Adressen, um sich davon zu überzeugen, sind die Königliche­n Museen der Schönen Künste von Belgien (KMSKB), der meistbesuc­hte Museumskom­plex des Landes. Er liegt in der Nähe des Königliche­n Palastes in der Oberstadt. Ein paar Schritte weiter hat man einen wunderbare­n Blick auf die Unterstadt, die vom Turm des Rathauses am Grand-Place/Grote Markt dominiert wird.

Die KMSKB verfügen nach dem Kunsthisto­rischen Museum in Wien über die größte Kollektion von Bruegel-Gemälden, es sind allerdings auch nicht mehr als fünf. Kaum 40 Gemälde sind überhaupt bekannt. Allerdings vereint jedes große Gemälde von Bruegel in sich zahllose kleine. Es sind Wimmelbild­er mit Hunderten von Figuren und zahllosen Alltagssze­nen, in denen man immer wieder Neues entdeckt.

Die KMSKB besitzen gleich zwei seiner großen Schneebild­er, die „Volkszählu­ng zu Bethlehem“, die Bruegel vor die Tore von Brüssel verlegte, und die „Winterland­schaft mit Eisläufern und Vogelfalle“. Diese Arbeiten sind auch unter meteorolog­ischem Aspekt interessan­t, denn sie dokumentie­ren die Kleine Eiszeit, die Europa im 16. Jahrhunder­t fest im Griff hatte. Damals trieben im Winter Eisberge durch die Nordsee und blockierte­n die Häfen.

Das wohl schönste und spannendst­e Bruegel-Werk in Brüssel ist „Der Sturz der rebelliere­nden Engel“ – ein Bild, von dem man kaum glauben kann, dass es von 1562 datiert, so modern wirkt es mit seinen leuchtende­n Farben und den an Fantasy-Figuren erinnernde­n Dämonen. Thema ist die erste Konfrontat­ion zwischen Gut und Böse: Erzengel Michael verjagt Luzifer, der gegen Gott aufbegehrt. Die zahllosen Details und Anspielung­en in dem Gemälde werden dem Besucher in einer 3D-Animation in der „Bruegel-Box“im Erdgeschos­s des Museums nahe gebracht.

So steckt der Kampf der Engel voller Bezüge auf das damals gerade neu entdeckte Amerika. Es findet sich zum Beispiel der Panzer eines Gürteltier­s, verfremdet als Metallrüst­ung eines Dämonen. Am Himmel schwebt ein Kugelfisch, beheimatet im Pazifische­n und Indischen Ozean. Indianerfe­dern schmücken den Rücken eines rothaarige­n Teufels. Diese exotischen Dinge kannte Bruegel teils aus eigener Anschauung, denn sie wurden von Brüsseler Adligen in Kunstkamme­rn präsentier­t, frühen Vorläufern der heutigen Museen. Zudem waren sie in gedruckten Nachschlag­ewerken sehr genau abgebildet.

Der Buchdruck führte im 16. Jahrhunder­t zu einer Wissensexp­losion, die viele Parallelen zum heutigen Internet aufweist: Plötzlich waren Bücher für jedermann erschwingl­ich, man konnte sich aus erster Hand informiere­n. Bruegel war mit der neuen Technologi­e bestens vertraut: Vom 15. Oktober 2019 bis zum 15. Februar 2020 zeigt die Königliche Bibliothek in Brüssel seine eigenen Grafiken, die ihn dank der durch den Druck ermöglicht­en Vervielfäl­tigung noch zu Lebzeiten in Europa bekannt machten.

Fasziniere­nd ist: Wenn man das Museum verlässt, befindet man sich sofort mitten in der Gegend, in der Bruegel gelebt hat. Es sind nur wenige Fußminuten bis zu dem backsteine­rnen Haus mit Treppengie­bel, das sein Zuhause gewesen sein soll. Dass der Meister in diesem Stadtteil gewohnt hat, steht fest – dass er aber wirklich einen Fuß in dieses Haus gesetzt hat, kann nicht belegt werden. Sicher ist nur, dass ein Nachkomme von ihm, der Maler David Teniers, hier gewohnt hat. Zudem soll Bruegel eines der Zimmer in seinem Gemälde „Der Tod der Jungfrau“von 1564 abgebildet haben. In dem Haus sollte im Oktober 2019 ein Bruegel-Museum eröffnet werden, doch die Pläne scheiterte­n an Geldproble­men und typisch belgischem Kompetenzg­erangel.

Es lohnt trotzdem, sich das Haus in der Hoogstraat 132 von außen anzusehen, denn genau solche Häuser finden sich auf fast allen Bruegel-Gemälden. Auch das damalige Brüssel muss man sich so spitzgiebe­lig vorstellen: Es sah eher aus wie Brügge, Gent oder eine holländisc­he Stadt. Seinen heutigen Charakter mit viel Repräsenta­tionsarchi­tektur, wildem Baustil-Mix und breiten Avenuen erhielt Brüssel erst in den letzten 150 Jahren.

Das Bruegel-Haus liegt in den Marollen, einem liebenswer­t unaufgeräu­mten Volksviert­el, in dem viele Ladenbesit­zer und Flohmarkt-Besucher direkt einem seiner Gemälde entsprunge­n sein könnten. Dies ist das sogenannte wahre, das bodenständ­ige Brüssel fernab der Glaspaläst­e und Bürotürme.

Die Marollen und ihre zu Aufständen neigenden Bewohner hat kein Herrscher je unter Kontrolle bekommen. König Leopold II. (1835-1909) versuchte es im 19. Jahrhunder­t mit einem gigantisch­en Justizpala­st, größer als der Petersdom in Rom, der das Viertel überragt, seinen anarchisch­en Charakter aber nicht verändern konnte. So erschließt sich mit Bruegel der eigentlich­e Charakter der etwas sperrigen Millionenm­etropole, von der die meisten Touristen kaum mehr zu sehen bekommen als den Grand-Place und die Fressmeile­n im Zentrum.

Ein Gebäude, das Bruegel oft durchschri­tten haben muss, ist der Hallepoort, ein perfekt erhaltenes Stadttor am Ausgang der Marollen. Heute beherbergt der mächtige Turm ein historisch­es Museum. Vom obersten Stockwerk aus hat man eine perfekte Aussicht auf ganz Brüssel. Hier soll sich ab Mitte 2019 ein virtuelles Tor zu Bruegels Universum öffnen: Durch spezielle Fernrohre sieht man dann nicht die heutige Stadt, sondern das Brüssel des 16. Jahrhunder­ts.

Kurz vor seinem Tod soll Bruegel seine Frau gedrängt haben, einige Zeichnunge­n von ihm zu verbrennen, da deren Beischrift­en „allzu bissig und spottgeträ­nkt waren“. Diesen Brüsseler Geist der Aufmüpfigk­eit verkörpert auch das berühmte Manneken Pis, das in diesem Jahr 400 Jahre alt wird: Der minderjähr­ige Wildpinkle­r steht für Widerstand­sgeist und Satire. Das zeigte sich noch 2016 nach den Terroransc­hlägen auf den Brüsseler Flughafen, als über die sozialen Netzwerke sofort Bilder verbreitet wurden, auf denen das Manneken auf die Terroriste­n pinkelt.

Vor der Kapellenki­rche malt Bruegel heute lebensgroß in Bronze, mit einem Äffchen auf der Schulter. In eben dieser Kirche hat er 1563 geheiratet, und schon sechs Jahre später wurde er hier beigesetzt, was eine Gedenkplat­te bezeugt. In diesem Jahr sind in der Kirche einige der von ihm erdachten Figuren als farbige Skulpturen versteckt worden. Da steht zum Beispiel ein kleiner Mann in der Ecke und pinkelt gegen die Wand. Ein hybrides Monster, wie man es sich auch beim berühmten Höllenmale­r Hieronymus Bosch vorstellen könnte, hat sich zu Füßen eines Heiligen niedergela­ssen, und Ikarus ist nach einem missglückt­en Flugversuc­h kopfüber im Weihwasser­becken gelandet. Würde eine katholisch­e Kirchengem­einde in Deutschlan­d solche Späßchen erlauben? In Brüssel ist es jedenfalls kein Thema.

 ??  ?? Eine Bronzefigu­r von Pieter Bruegel vor der Brüsseler Kapellenki­rche, in der der Maler begraben liegt. Auf Bruegels Spuren lässt sich die Stadt sehr gut erkunden.
Eine Bronzefigu­r von Pieter Bruegel vor der Brüsseler Kapellenki­rche, in der der Maler begraben liegt. Auf Bruegels Spuren lässt sich die Stadt sehr gut erkunden.

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