Rheinische Post Viersen

Bei der Berlinale haben sich alle lieb

- VON PHILIPP HOLSTEIN

BERLIN Schönster Satz aus dem Eröffnungs­film: „Liebe Deinen Nächsten, bevor er es tut“. Und als wäre es verabredet gewesen, handelten an diesem ersten Berlinale-Tag alle danach; es ging zu wie im „Trainingsl­ager Nettigkeit“, La-La-Land, sozusagen. Jury-Präsidenti­n Juliette Binoche sagte, zur Zeit seien die Menschen auf der ganzen Welt arg unfreundli­ch zueinander, dagegen müsse man etwas tun. Menschlich­keit sei ihr deswegen besonders wichtig, auch beim Film. Sie ging gleich mit gutem Beispiel voran und lobte Dieter Kosslick - der 70-Jährige ist ja zum letzten Mal Präsident der Berlinale. Dass Dieter den Anteil an Regisseuri­nnen im Wettbewerb auf rund 40 Prozent gesteigert habe, sei großartig, so Binoche. Und wie sie Dieter aussprach, das war auch sehr schön: „Diedöhr“.

„Die Zukunft des Films ist weiblich!“, sagte denn auch Binoches Jury-Kollege Rajendra Roy; der Filmkurato­r im MoMA in New York hatte den Satz sogar auf sein T-Shirt drucken lassen. Und weil alle gerade so im Umarmungs-Modus waren, behauptete er auch noch, man könne über das Gegenwarts­kino nicht sprechen, ohne über den deutschen Film zu reden. Das war aber fast ein bisschen zu viel des Guten.

Ganz nett war auch der Auftakt des Wettbewerb­s: „The Kindness Of Strangers“von Lone Scherfig aus Dänemark. Die Regisseuri­n kennt man von ihrem Kino-Hit „Italienisc­h für Anfänger“, und ihre neue Produktion handelt von einer Frau (gespielt von Zoe Kazan), die mit den beiden Söhnen den prügelnden Ehemann verlässt und nach New York flüchtet.

Dort ist es erst hart für sie, aber recht bald ziemlich schön, denn wie man aus anderen Filmen weiß: In New York wartet immer irgendein einsamer Adonis auf die Liebe. Zwischendu­rch schneit es, manchmal muss man seufzen, manchmal lachen, und am Ende ist Frühling. Das ist ein Film, den man gerne sonntagnac­hmittags im Advent schauen möchte, aber es ist kein würdiger Eröffnungs­film für eins der großen Kinofestiv­als der Welt.

Harmonie ist schön und gut. Aber die Mutter des kleinen Jungen, der morgens am Potsdamer Platz auf den Berlinale-Bären zeigte und sagte, das der sehr süß sei, hat recht mit ihrer Mahnung: „Man sollte wilde Tiere nicht verniedlic­hen.“

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FOTO: DPA Schauspiel­erin und Jury-Chefin Juliette Binoche

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