Miró und die Leichtigkeit des Malens
VIERSEN Es wirkt heiter und leicht, dieses Blatt von Joan Miró aus dem Jahr 1953: Im Zentrum des Blicks, wenn auch aus dem mathematischen Zentrum des Blattes herausgerückt, liegt eine durch helle Lichteffekte plastisch wirkende rötliche Form. Sie wird von einer Art Aura umrundet, die als glühende Sonne interpretiert wird. An sie schmiegt sich – ein ja, vielleicht – ein Fischwesen? Buntgestreift ist es, hat so etwas wie Ärmchen und einen Kopf. Diese Einheit wird auf der 39 mal 28 Zentimeter großen Farblithografie, die 1963 in die Grafische Sammlung der Stadt Viersen kam, durch rudimentäre Formen und feine, zeichnerische Linien, Punkte und Sterne ergänzt.
„Derrière le miroir“(übersetzt: Hinter dem Spiegel) lautet der Titel der Farblithografie. In Sonderdrucken wurde sie 1953 unter der Bezeichnung „Le Jour“gehandelt.
So kennt man Miró: Sonne, Mond und Sterne, schwierig zu entschlüsselnde Zeichen schwirren über seine Bilder und Blätter, surreale, organische, ganz simple Zeichen und Formen. Der Betrachter ist immer frei in seinen Assoziationen und in seiner Interpretation der Bildwelten.
Bei allem Spielerischem, Leichtem, Heiteren und scheinbar Zufälligen sind Mirós Bilder immer ausgewogen komponiert. Auch in „Derrière le miroir“ist dies zu beobachten: Dem farbigen Schwerpunkt links unten stehen die kräftigen schwarzen Linien rechts oben entgegen. Typisch die punktartigen Verdickungen am Ende der breiten, aber auch der ganz feinen Linien. Sie stellen den offensichtlichen Kontrast zwischen Punkt und Linie her. Ein Spiel, das auch Paul Klee mit Leidenschaft spielte.
Wie Klee wurde auch Miró die Kindlichkeit und die scheinbare Naivität der Zeichen und Zeichnungen vorgeworfen. Dabei ging es beiden Künstlern weniger um Naivität als um die Suche nach dem Ursprünglichen, dem verloren Geglaubten.
Der Zweite Weltkrieg war erst acht Jahre vergangen, als das Blatt aus der Grafischen Sammlung entstand. In den Jahren des Krieges hatte Miró seine Bildwelten um das Kosmische erweitert und ergänzt.
Es ist, als ob er dem unendlichen Schrecken der Realität eine harmonische Utopie entgegensetzen wollte. Das würde auch den Titel „Derrière le miroir“– hinter dem Spiegel erklären. Der Ausdruck „Hinter dem Spiegel“ist symbolisch für eine andere, eine Parallelwelt, die zu finden nicht jedem gegeben ist. Dem kosmischen Themenkreis wird er immer verbunden bleiben. In seinem Spätwerk „illustrierte“Miró mit der Zeichnung von Gestirnen den mittelalterlichen „Sonnengesang“von Franz von Assisi.
Joan Miró wurde 1893 in Barcelona geboren. Seine Familie betrieb ein Geschäft für Goldschmiedekunst und Uhren. Er erhielt eine kaufmännische Ausbildung an der Handelsschule in Barcelona und besuchte parallel die Kunstakademie von La Lonja. Tatsächlich begann er seine berufliche Tätigkeit als Büroangestellter. Eine Arbeit, die er nach einer Typhuserkrankung wieder aufgab, um an die Kunstschule von Francesc Galí zu gehen.
Mirós Interesse galt der Avantgarde in Kunst und Literatur. In Paris begegnete er 1920 Picasso. Ab 1921 verbrachte er seine Zeit sowohl in Spanien als auch in Paris, wo er sich zeitgenössischen surrealistischen Schriftstellern anschloss. Zahlreiche Ausstellungen machten ihn bekannt. 1956 zog er dauerhaft nach Mallorca. Dort wurde 1981 auf Mirós Initiative hin die Fundació Pilar i Joan Miró eröffnet.
Miró starb 1983 in Palma de Mallorca.