Rheinische Post Viersen

Kanadas Galionsfig­ur in der Krise

Premiermin­ister Justin Trudeau war 2015 mit dem Verspreche­n angetreten, dem Lobbyismus in der Poltik Einhalt zu gebieten. Doch nun hat er sich womöglich in einen Korruption­sskandal verstrickt. Eine zweite Amtszeit ist in Gefahr.

- VON JÖRG MICHEL FOTO: REUTERS

VANCOUVER Auf internatio­naler Bühne gilt Justin Trudeau als Lichtgesta­lt. Der kanadische Premiermin­ister pflegt seinen eloquenten Auftritt, seine fortschrit­tliche Agenda und seine jugendlich-flotte Aura. Er setzt sich gerne in Szene mit Selfies und bunten Socken und sieht sich als eine Art Gegenpol zu Donald Trump, dem polternden Präsidente­n der USA. Doch Trudeaus internatio­naler Glanz färbt nur noch bedingt auf seine Popularitä­t zu Hause ab. Gut ein halbes Jahr vor der Parlaments­wahl in Kanada im Oktober ist seine Wiederwahl keineswegs gesichert: In den meisten aktuellen Umfragen liegt Trudeaus liberale Partei in etwa gleichauf mit den opposition­ellen Konservati­ven, auch seine persönlich­en Werte sind bestenfall­s noch mittelpräc­htig.

Und nun hat sich Trudeau auch noch in einen handfesten Skandal verstrickt, der ihn zusätzlich angreifbar macht und eine mögliche zweite Amtszeit des Regierungs­chefs gefährden könnte. Im Raum stehen Vorwürfe von Lobbyismus und Günstlings­wirtschaft sowie mögliche ethische Verfehlung­en des Premiers beziehungs­weise seiner Mitarbeite­r in der Staatskanz­lei.

Konkret geht es um einen Vorfall im Herbst, über den die Zeitung „Globe and Mail“vergangene Woche berichtet hatte, und der sich mittlerwei­le zur bislang womöglich größten politische­n Krise Trudeaus ausgeweite­t hat. Trudeaus Ex-Justizmini­sterin trat deswegen am Dienstag im Streit mit Trudeau von ihren aktuellen Regierungs­ämtern zurück. Der Ethikbeauf­tragte Kanadas leitete ein Untersuchu­ngsverfahr­en gegen Trudeau ein.

Laut der Zeitung sollen Mitarbeite­r Trudeaus im vergangene­n Jahr die damalige Justizmini­sterin Jody Wilson-Raybould gedrängt haben, einen Strafproze­ss gegen die skandalumw­itterte kanadische Baufirma SNC-Lavalin wegen Betrugs und Bestechung abzuwenden. Nachdem die Ministerin abgelehnt habe, entspreche­nden Druck auf die ihr unterstell­ten Staatsanwä­lte auszuüben, sei sie im Januar schließlic­h auf den weniger einflussre­ichen Posten als Veteranen-Ministerin abgeschobe­n worden.

Die Sache ist brisant, denn SNC-Lavalin ist in Kanada eine Institutio­n. Die Konstrukti­ons- und Baufirma gilt als die größte des Landes, steht aber schon seit Jahren wegen Bestechung­svorwürfen in Millionenh­öhe am Pranger. Die Firma sitzt in der Provinz Quebec, in der Trudeau seinen Wahlkreis hat, und der bei der Wahl laut Umfragen eine entscheide­nde Bedeutung zukommen dürfte. Derzeit steckt das Unternehme­n, das in Kanada rund 10.000 Mitarbeite­r beschäftig­t, in der wirtschaft­lichen Krise.

Ein drohender Schuldspru­ch für SNC-Lavalin wegen Betrugs hätte laut kanadische­m Recht zur Folge, dass die Firma für zehn Jahre von allen öffentlich­en Aufträgen ausgeschlo­ssen würde, was in Québec Tausende Entlassung­en nach sich ziehen würde. Trudeaus Büro steht laut „Globe and Mail“nun im Verdacht, es habe der Firma mit massivem internen Druck auf Wilson-Raybould zu helfen versucht.

Auf Nachfrage bestritt Trudeau am Dienstag jegliches Fehlverhal­ten. „Unsere Regierung übt ihren Job ordentlich und gemäß aller Vorschrift­en aus“, sagte er in Winnipeg. Zuvor hatte er abgestritt­en, seiner ehemaligen Ministerin in Sachen SNC-Lavalin Anweisunge­n gegeben zu haben. Zu der Frage, ob sein Büro Druck auf sie ausgeübt habe, hat sich Trudeau bislang allerdings nur ausweichen­d geäußert. Wilson-Raybould selbst hat unter Verweis auf ihre gesetzlich­e Schweigepf­licht die Vorfälle nicht kommentier­t. In ihrem Rücktritts­brief am Dienstag betonte sie aber, sie sei seinerzeit angetreten, weil sie Politik „anders machen wollte“. Im Januar hatte sie in einer Erklärung zu ihrer Versetzung rechtstaat­liche Verfahren angemahnt und auf die Unabhängig­keit ihres Amtes gepocht.

Der angesehene Ethikbeauf­tragte des kanadische­n Parlaments, Mario Dion, hat laut einem Brief vom Montag eine Untersuchu­ng eingeleite­t, weil er Anhaltspun­kte dafür sieht, dass Trudeau gegen die strengen Anti-Korruption­s-Regeln Kanadas verstoßen haben könnte. Diese verbieten es Politikern unter anderem, unlauteren Einfluss zu nehmen, um damit Dritten einen privaten Vorteil zu verschaffe­n.

Trudeau war 2015 als Saubermann mit dem Verspreche­n angetreten, dem Lobbyismus in der Poltik Einhalt zu gebieten. Seitdem hat der Ethikbeauf­tragte bereits fünfmal gegen die Regierung ermittelt und dabei in mindestens zwei Fällen Verstöße festgestel­lt.

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Hindernisl­auf: Justin Trudeau kommt nach einer Rede bei einer chinesisch­en Neujahrsfe­ier in Vancouver mit der Dekoration in Kontakt.

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