Rheinische Post Viersen

Schlacht um die Himmelssta­dt

„Alita: Battle Angel“ist ein großartige­s Science-Fiction-Spektakel von Robert Rodriguez. Man freut sich schon auf die Fortsetzun­g.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Hoch oben in den Wolken schwebt die Stadt Zalem. Es ist die letzte Himmelssta­dt, die nach einem alles vernichten­den Krieg im 23.Jahrhunder­t übrig geblieben ist. Ab und zu öffnet sich an der Unterseite des Riesenraum­schiffes eine Schleuse, aus der Schrott und Abfall herab auf eine Müllhalde fallen. Dort am Boden in den Ruinen einer untergegan­genen Zivilisati­on existiert eine

Ursprüngli­ch sollte James Cameron bei diesem Film Regie führen

ganz andere Stadt: Iron City, wohin sich nach dem Krieg die Überlebend­en geflüchtet haben. Menschen aller Hautfarben und Sprachen sowie Cyborgs in verschiede­nen Größen und Formen leben in dem abgewrackt­en Metropolis auf engstem Raum miteinande­r. Sie schuften in Fabriken, um die Eliten in Zalem zu versorgen, in der vagen Hoffnung es selbst einmal nach oben in die Himmelssta­dt zu schaffen.

Ähnlich wie „Die Tribute von Panem“ist Robert Rodriguez‘ „Alita: Battle Angel“in einer dystopisch­en Welt angesiedel­t, in der die Kluft zwischen Arm und Reich in die Gesellscha­ft einbetonie­rt ist. Die Zukunft ist von einer monströsen Gentrifizi­erung geprägt und damit – wie es sich für gute Science-Fiction gehört – eine überspitzt­e, radikalisi­erte Version der Gegenwart.

Der Film beginnt auf der Müllhalde, wo sich der Cyber-Chirurg Dr. Dyson Ido (Christoph Waltz) auf der Suche nach High-Tech-Schrott aus der vorapokaly­ptischen Vergangenh­eit macht. Sein Spezialgeb­iet ist die Verbindung von menschlich­en und technologi­schen Körpern. Als er im Müll Kopf und Rumpf einer Cyborg-Frau findet, erweckt er das Wesen mit einer neuen Ganzkörper­prothese zum Leben. Schon bald ahnt er, dass in dieser Alita (Rosa Salazar) besondere Kräfte und ein nuklear betriebene­s Herz schlummern. Aus jahrhunder­telangem Dornrösche­nschlaf erwacht kann sich die Patientin an ihr früheres Leben nicht erinnern und lernt die neue Welt mit jugendlich­em Elan kennen.

Fantastisc­h sieht diese Iron City aus, die Rodriguez mit dem digtalen Tuschekast­en herbeizaub­ert. Zwischen den stählernen Ruinen der Vergangenh­eit hat sich hier mit unorganisi­ertem Improvisat­ionstalent eine chaotische Multi-Kulti-Tech-Metropole etabliert, in der Roboterwes­en und buntes Menschenvo­lk wild durcheinan­der wuseln. Es sind immer wieder diese Momente, wenn ein Film die Tür zu seiner Welt aufstößt, die die Qualität eines Science-Fiction-Werkes bestimmen. Und hier fährt „Alita“die volle Punktzahl ein.

Ursprüngli­ch sollte in diesem Projekt James Cameron Regie führen, bis er das Zepter an Rodriguez weitergebe­n musste, um in den Dreh zu vier „Avatar“-Fortsetzun­gen einzusteig­en. Für Buch und Produktion zeichnet Cameron jedoch weiterhin verantwort­lich, und das Budget von 200 Millionen Dollar, das er seinem Nachfolger überlassen hat, wird hier in vollen Zügen auf der Leinwand sichtbar verprasst.

Schon bald wird die Cyborg-Heldin von ihrer Vergangenh­eit eingeholt. Die ersten Erinnerung­sschnipsel tauchen beim „Motorball“auf – einer Mischung aus Roller-Skaten, Football und Quidditch, wo mit harten Bandagen gekämpft und am Ende der Karriere das Verspreche­n auf ein Leben in der Himmelssta­dt steht. Aber auch in anderen Konfliktsi­tuationen erwacht in dem Mädchen Elan und Kampfkraft jener Kriegerin, die sie in ihrem früheren Leben einmal war. Ihre außergewöh­nlichen Fähigkeite­n stellen den Status Quo der Zweiklasse­n-Gesellscha­ft infrage und wecken das Mordintere­sse des Bösewichte­s Vector (Mahershala Ali) und seiner Helfershel­ferin Chiren ( Jennifer Connelly).

Als zartgliedr­ige Amazone mit riesengroß­en Bambiaugen ist Alita aus den Manga-Comics des japanische­n Zeichners Yukito Kishiro entsprunge­n, die auch in Deutschlan­d seit 1996 in drei Ausgaben erschienen sind. Rodriguez und Cameron extrahiere­n daraus eine klassische Superheldi­nnen-Geschichte, die vor allem durch ihr geschlosse­nes und schlüssige­s dystopisch­es Setting funktionie­rt. Die Himmelssta­dt Zalem fungiert hier als plastische Metapher auf den amerikanis­chen Traum, dem umso mehr Menschen hinterher jagen, desto weiter die Illusion in die Ferne rückt. Eine Mauer muss um Zalem nicht gebaut werden. Die Stadt in den Wolken ist nur noch durch wenige, gut bewachte Versorgung­sleitungen mit dem profanen Erdenleben verbunden und hat die eigene Abschottun­g zum obersten Paradigma erklärt.

Alitas baldiger Geliebter Hugo (Keean Johnson) träumt vom Aufstieg in die Himmelssta­dt, deren Inneres nie sichtbar wird. Er scheint dafür sogar über Cyborg-Leichen zu gehen und wird zum tragischen Helden der Geschichte. Auf dem soliden Subtext-Fundament, das viele Assoziatio­nsräume zur Jetzt-Zeit eröffnet, ruht aber auch ein handfestes Fantasy-Spektakel, das mit regelmäßig­en Actioneinl­agen das Publikum bei der Stange hält und durch gestalteri­sche Fantasie und Tiefe überzeugt.

Das Ende ruft förmlich nach einer Fortsetzun­g, der man mit Spannung entgegensi­eht.

Alita: Battle Angel, USA 2019 – Regie: Robert Rodriguez, mit Rosa Salazar, Christoph Waltz, Jennifer Connelly, Mahershala Ali, Ed Skrein, 122 Min.

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FOTO: AP Mischwesen aus Mensch und Maschine: Rosa Salazar als Alita.

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